"Brauchen wir eine Bodenreform?"
Ja! 88%
Nein! 12%
Reinhardtstr. 31, Berlin, Copyright 2011 Matthew Griffin
In den letzten fünf Jahren sind die Mieten in deutschen Städten durchschnittlich um 1,8 Prozent pro Jahr gestiegen, in den attraktiven Großstädten sogar um 5 bis 10 Prozent, so eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW). Die Preise für Eigentumswohnungen stiegen sogar um 6,5 Prozent im Durchschnitt, in München sogar um 12 Prozent. Als wichtigsten Grund für diese Entwicklung sieht das DIW die Wohnungsknappheit: Denn die Preise stiegen am meisten in Großstädten, die seit Anfang der 2000er Jahre einen starken Bevölkerungszuzug erleben, aber nur wenig in Wohnungsbau investiert haben. Ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht, die Spekulationsblase dagegen wächst stetig. In Spanien und in den USA ist sie vor wenigen Jahren geplatzt, und beide Volkswirtschaften leiden bis heute unter den Auswirkungen. Der Markt stößt offenkundig an seine Grenzen, die Ressource Boden als Lebensgrundlage der globalen Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts so zu organisieren, dass sie für die gesamte Bevölkerung eine menschenwürdige Daseinsvorsorge ermöglicht. Das Prinzip der Bodenspekulation ist volkswirtschaftlich nicht nachhaltig, weil es die Lebensversorgung auf ein Fundament stellt, das den ständigen Fluktuationen und Unsicherheiten des Kapitalmarktes ausgesetzt ist und die soziale Segregation unserer Städte verschärft.
Doch gleichzeitig ist Boden- beziehungsweise Wohneigentum ein wirksames städtebauliches Instrument, um Menschen in ihre Stadt einzubinden. Es motiviert Unternehmen und Personen, in ihr Umfeld zu investieren und bindet diese Investitionen langfristig. Menschen gehen mit ihrem eigenen Besitz sorgfältiger um als mit Mietflächen. Und angesichts der fortschreitenden Auflösung des staatlichen Rentensystems ist die Eigentumswohnung (die in Deutschland auch automatisch den Besitz von Grund und Boden bedeutet, anders als zum Beispiel in England) eine sinnvolle Form der Altersvorsorge. Doch funktioniert diese Immobilienrente nur für einen Teil unserer immer dramatischer überalterndenden Bevölkerung.
Notwendig ist deshalb eine gesellschaftliche Neubetrachtung des Prinzips unserer Bodenwirtschaft. Um die negativen Folgen der Bodenspekulation für die Stadt zu entkräften, muss der spekulative Wert eines Grundstücks von seinem Nutzwert entkoppelt werden. Eine Möglichkeit wäre eine Bodenreform, die Eigentumsrechte an Boden in langfristige Nutzungsrechte umwandelt. Ähnlich wie beim Erbbaurecht würde dies dem Staat eine Planungshoheit über die Ressourcen für die Grundversorgung geben, die eine genauere Steuerung im Interesse des Gemeinwohls erlauben würde. In Amsterdam zum Beispiel gehört der Stadt 80 Prozent des Bodens. Durch Erbbaurecht sichern sich private Unternehmen Rechte, um Gebäude zu errichten. Doch da die Stadt weiterhin Eigentümer ist, kann sie dafür sorgen, dass der Boden auf eine Weise genutzt wird, die im Interesse der ganzen Gesellschaft ist – und nicht nur einiger privater Nutzer.
Die Weltwirtschaftskrise, die im Kern ein Bodenspekulationskrise ist, macht es unverzichtbar, unsere Bodenpolitik zu überdenken. Einige Länder haben bereits angefangen, ihr Bodenrecht zu verändern. In der Schweiz hat eine Volksabstimmung (http://www.zweitwohnungsinitiative.ch) dazu geführt, dass der Bau von Zweitwohnungen eingedämmt wird, um unnötiger Zersiedelung der knappen Landschaft einen Riegel vor zu schieben. In England haben die Liberalen ein ähnliches Vorhaben für London lanciert. In Deutschland ist es deshalb Zeit zu fragen: „Brauchen wir eine Bodenreform?“
Diese Debatte wird von den beiden Gastredakteuren Britta Jürgens und Matthew Griffin geführt. Matthew Griffin (1969) und Britta Jürgens (1963) haben 1992 das Architekturbüro Deadline gegründet. Ihr Schwerpunkt liegt auf strukturellen Veränderungen - technologische, soziale und ökonomische - am Ende des industriellen Zeitalters und deren Auswirkungen auf Architektur und Stadtplanung. Sie sind Mitbegründer zahlreicher Initiativen unter anderem www.teameleven.org.
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Ja ...
Wenn nicht jetzt politische Steuerungsmaßnahmen ergriffen werden, führen die gegenwärtigen Entwicklungen in Deutschland – immer höhere Arbeitslosenzahlen, sich verschlechternde Einkommensverhältnisse, steigende Mieten und Lebenshaltungskosten – zu Verdrängung und Ausgrenzung und letztendlich zu sozialen Konflikten, wie wir sie aus anderen Großstädten wie Paris kennen.
Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die in den 1990er Jahren den Ausverkauf aller landes- und stadteigenen Unternehmen in der Energie-, Wasser- und Verkehrswirtschaft propagierten und auch realisierten, hat eindrücklich gezeigt, dass die Betriebe kaputt gespart wurden bei gleichzeitiger Verteuerung der Versorgungsleistungen. Die Überschüsse wurden privatisiert, statt sie wieder in den öffentlichen Haushalt zurückfließen zu lassen. Nicht wenige Städte – auch Berlin – wachen gerade auf und versuchen, die Verträge aufzukündigen und zurückzukaufen, was einst den öffentlichen Haushalten gehörte. Wie schwierig das ist, da sich die privaten Versorger nicht gerne von ihren gewinnbringenden Quellen trennen, zeigen viele Verhandlungen.
In dieser Zeit des Aufwachens und Umdenkens weiterhin den Grund- und Boden der Bürgerinnen und Bürger zu verkaufen, ist geradezu fahrlässig. Die einmalig zu tätigenden Einnahmen stehen in keinem Verhältnis zum nachhaltigen Verlust an Gestaltungsfreiheit und Steuerungsmöglichkeiten. Eine Gesellschaft und jede Stadt muss auch für zukünftige Generationen Freiräume vorhalten, damit es für sich verändernde Bedürfnisse und Maßstäbe auch Realisierungsmöglichkeiten geben wird. Zukunfts-Ideen wie die Local Community Areas der japanischen Architekten Riken Yamamoto & Field Shop, die Wohnen und Arbeiten in modulartiger, flexibler Weise denken, damit sich der Raumbedarf den wechselnden objektiven (finanzielle, familiäre, gewerbliche und soziale) Bedingungen anpassen lässt, würden viele Probleme beantworten. Der Sehnsuchtsort, zu dem die „Prinzessinnen-Gärten“ in Berlin-Kreuzberg in wenigen Jahren geworden ist, zeigt z.B. eindrücklich, wie notwendig wir nicht-kommerzielle Begegnungsorte in Zukunft für städtisches Zusammenleben benötigen, die Alternativen zu pflegebedürftige Parkanlagen mit restriktiven Benutzungsordungen sind. Begegnungen ermöglichen, Kommunikationsräume eröffnen, Wohnen für alle Bürgerinnen und Bürger einräumen in allen Bereichen der Stadt wird ohne die Verfügungsgewalt über Boden nicht gehen.
Leonie Baumann ist Autorin, Kuratorin, Kunstvermittlerin und Rektorin der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Zuvor war sie Geschäftsführerin der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst Berlin (NGBK), 1997- 2009 Vorstandsmitglied und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) und seit 2008 Beiratsmitglied des Projektfonds Kulturelle Bildung. Sie ist u.a. Mitgründerin der Initiative Stadt Neudenken.
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