"Brauchen wir noch IBAs?"
Ja! 68%
Nein! 32%
Seit über hundert Jahren gibt es Internationale Bauausstellungen, doch ihre Attraktivität scheint ungebrochen. Gleich vier deutsche IBAs sind derzeit in Planung oder realisiert. Doch zugleich ist dieses Instrument der Stadtplanung in Fachwelt und Bevölkerung hoch umstritten. Das zeigt sich in besonderer Weise an der aktuell laufenden Bauausstellung in Hamburg-Wilhelmsburg: Die einen sehen in ihr den erfolgreichen Versuch, einen allumfassenden Wandel in einem abgehängten Stadtteil einzuleiten. Die anderen geißeln sie als staatlich gelenkte Urbarmachung eines attraktiven, aber stigmatisierten Stadtbereichs für Spekulanten und Investoren. Die Befürworter sehen in dieser IBA 2013 eine Bauausstellung neuen Typs, die weniger auf Architekturspektakel setzt und stattdessen mit innovativen Maßnahmen in den Bereichen Soziales, Bildung, Kultur und Nachhaltigkeit in Abstimmung mit den Bürgern eine integrierte Stadtentwicklung betreibt. Die Gegner hingegen kritisieren eine thematische Beliebigkeit und halten die Bürgerbeteiligung für vorgeschoben – letztlich werde hier Stadtplanung im Zeichen des Neoliberalismus gegen die Interessen der Einwohner betrieben und die soziale Spaltung verschärft. Auch bei den Befürwortern auf der Elbinsel bleibt die Angst, dass lediglich ein einmaliges Feuerwerk abgebrannt wird und die Stadt nach dem Ende der IBA Wilhelmsburg wieder sich selbst überlässt.
Die IBA Hamburg zeigt: Es muss diskutiert werden. Werden IBAs austauschbar und inflationär? Lassen sich Stadtentwicklungsprozesse nur noch mit dem Ausnahmezustand Bauausstellung vorantreiben, um dicht gewachsene Regelwerke zu lichten und genügend staatliche und private Gelder freizusetzen? Sind die Ziele heutiger IBAs – Verbesserung von städtischer Infrastruktur, von Wohnmöglichkeiten und Bildungschancen, das Vorantreiben des energetischen Wandels etc. – nicht ohnehin Pflichtaufgaben von Kommunen und Ländern und müssten im Rahmen der Stadtentwicklung behandelt werden? Ist der internationale Anspruch einer IBA gerechtfertigt oder ist die globale Relevanz lokaler Fragestellungen nicht eine Fiktion? Führt die heute unumgängliche Einbindung privater Investoren und Projektentwickler dazu, dass IBAs wenig Visionäres und vor allem Marktgängiges produzieren? Und: Was bleibt, wenn die Fördertöpfe geleert, die Projektgesellschaften abgewickelt und die Kameras abgebaut sind? Kurzum: Brauchen wir überhaupt noch IBAs?
Gastredakteur dieser Debatte ist Claas Gefroi
Geb. 1968 studierte Claas Gefroi Architektur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hamburgischen Architektenkammer, Redakteur des „Jahrbuch Architektur in Hamburg“ und freier Architekturjournalist. Gefroi ist außerdem Mitglied der Kunstkommission der Behörde für Kultur, Sport und Medien Hamburg.
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Resümee
„Ja, aber“ – mit dieser Antwort lässt sich die dreiwöchige Diskussion der Frage „Brauchen wir noch IBAs?“ recht gut zusammenfassen. Auffällig ist, dass vor allem Hamburger Fachjournalisten und Autoren das Instrument Internationale Bauausstellung grundsätzlich in Frage stellten. Ganz offensichtlich ist hierfür der kritische Blick auf die aktuelle IBA in Hamburg-Wilhelmsburg der Auslöser. Sie leide, so der Architekturkritiker Dirk Meyhöfer, unter einer Eventisierung und ihre Projekte seien wenig innovativ. Auch sei zweifelhaft, ob ihren lokalen Lösungen internationale Relevanz besitzen. Seine Empfehlung: Statt Geld in IBAs zu stecken sollte man besser die geschwächten Planungsämter stärken. Für Christoph Twickel, Journalist und Aktivist der „Recht auf Stadt“-Bewegung, sind IBAs ohnehin einzig Stadtmarketingmaßnahmen, die im Zeitalter der Metropolenkonkurrenz dazu dienten, Investoren anzulocken und Stadtgebiete aufzuwerten. Den wirklichen Herausforderungen der Stadtentwicklung - Großsiedlungen, lokale Ökonomie, neue Genossenschaftsmodelle, Segregation der Städte – stellten sie sich nicht. Gert Kähler wiederum moniert die überbordende Themenfülle der Hamburger IBA und fragt, ob ohne IBA entwickelte Großprojekte wie die „Neue Mitte Altona“ denn so viel schlechter seien. Auch Julian Petrin weist auf das Problem inhaltlicher Beliebigkeit heutiger Bauausstellungen hin und fordert eine stärkere thematische Eingrenzung: „Es muss eine Fokusaufgabe geben. Etwas, das der zwingende Auslöser ist und für das der IBA-Ort in ganz herausragender Weise steht.“
Andere sehen das deutlich optimistischer. Christa Reicher betont die Chancen, die der „Ausnahmezustand auf Zeit“ während einer IBA bietet: Der Laborcharakter „befördere das Experiment und ermutige, das scheinbar Unmögliche zu denken und zu erproben“ – eine Sichtweise, die auch von den IBA-Machern Engelbert Lütke Daldrup, Michael Braum und Uli Hellweg geteilt wird. Michael Braum und Till Briegleb weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Erprobung neuer, origineller Konzepte nur bei einer größtmöglichen Unabhängigkeit der IBA-Verantwortlichen möglich sei – „möglichst unbefangen von städtischen Planungsroutinen und alten Kameradschaften“ (Briegleb). Viele Kommentatoren betonen die Schwierigkeit, die verschiedenen teilnehmenden Parteien einer IBA unter einen Hut zu bekommen: Cordelia Polinna von der Initiative „Think Berl!n“ betont, eine IBA müsse „eine Balance finden zwischen der Einbindung gesellschaftlicher Bewegungen und Initiativen von unten, privaten Akteuren aus „der Wirtschaft“ sowie der Verwaltung, zwischen künstlerischen oder bürgerorientierten Ideenfindungsprozessen und Fachwissen, zwischen Kulturevent und professioneller Auseinandersetzung.“ Julian Petrin nennt noch eine weitere Bedingung für den Erfolg von Stadtentwicklung mit den Mitteln einer IBA - der lange Atem: „Post-IBA ist mindestens so wichtig wie IBA selbst. Denn eine IBA kann in ihren wenigen Jahren kaum mehr als den politisch-programmatischen Boden bereiten und erste Symbole schaffen. Ob sich eine Stadt durch eine IBA tatsächlich und bleibend verändert, zeigt sich meist erst viel später.“
Starke Konzepte, Ausbalancierung der Interessen, Unabhängigkeit und langer Atem: Die Bedingungen für den Erfolg von Internationalen Bauausstellungen sind schwer und die Chance des Scheiterns ist hoch. Die Stadt Berlin wollte offenbar diese Last nicht mehr schultern: Noch während der laufenden Diskussion auf bkult meldeten die Zeitungen, dass die IBA Berlin 2020 mit Verweis auf die klamme finanzielle Lage abgesagt werde. Umso gespannter darf man sein, ob und wie die anderen IBA-Städte und –Regionen ihre Aufgabe bewältigen werden.
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