"Kann es sinnvoll sein, Großprojekte zu stoppen?"

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Foto:Christian Holl

Es rumort in Hamburg, Köln, Berlin-Brandenburg und Stuttgart: Nicht allein Verteuerungen der Elbphilharmonie, der neuen U-Bahn-Linie, des neuen Flughafens und vom Bahnhof Stuttgart 21 verdrießen die Menschen. Bei manchen Großprojekten zweifeln sie an deren Sinn, an deren Konzeption, an deren Tauglichkeit für eine sich ändernde ländliche oder städtische Umgebung. Es stellt sich auch die Frage, ob Aufwand und Nutzen des jeweiligen Großprojektes überhaupt in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen. Und es schließt sich die Frage an, wie die Dynamik von Großprojekten  zu entwickeln und zu nutzen ist, damit sie in bestimmten Phasen noch änderbar oder reversibel sind.Die konkreten Beispiele verdeutlichen dies. Der Elbphilharmonie in Hamburg fliegen die Herzen der Architekturkritiker, der Hamburger, der Musiker, der Touristen zu. Also: So schnell es geht fertig bauen, koste es, was es wolle?
Kölns neue U-Bahn-Linie ließ nicht nur das Stadtarchiv einstürzen, sondern verursacht mit Bahnen bei üblicher Fahrgeschwindigkeit möglicherweise auch Schäden am Dom. Also: Sofort abbrechen, für das bislang Gebaute eine sinnfällige Nutzung suchen – aus die Maus.
Der neue Hauptstadt-Flughafen ist auf nicht absehbare Zeit weder genehmigungsfähig, noch mit  neuen Landebahnen erweiterbar. Also: Eine kreative Umnutzung finden und einen neuen Flughafen mit professioneller Projektsteuerung, notwendiger Bürgerbeteiligung, transparenten politischen Entscheidungen komplett neu beginnen.
Stuttgart 21 erweist sich vor eigentlichem Baubeginn als Fass ohne Boden, nach Planungsjahrzehnten stellt sich heraus, dass der Bahnhof ungeeignet für die Adaption an heutige Bahntechnik und städtische Mobilitätssysteme ist. Also: Sofort aufhören, konsequent und mit professionellem Management den noch vorhandenen Bahnhof in einem Maße ertüchtigen, in dem er neuer Mobilität angepasst werden kann.

Es wird erkennbar werden, dass Großprojekte nicht alle über einen Kamm geschoren werden dürfen. Manche sind bautechnisch zu riskant (Köln und vielleicht Stuttgart), politisch entschiedene Fehlgeburten (Berlin, Stuttgart), zu ambitioniert begleitete Verfügungsmasse (Hamburg und wohl auch Berlin). Als Problem erweist sich so oder so die Eigendynamik von Großprojekten mit bürokratischen, wirtschaftlichen und haftungsrechtlichen Folgen, die scheinbar nicht beherrschbar sind.

Von dieser Eigendynamik profitieren  die Bauwirtschaft, zunächst auch die Planer, einige Juristen sowie Politiker, die mit Visionen begeistern wollen, ohne wirklich Verantwortung übernehmen zu müssen. In ihr manifestiert sich auch, dass nicht nur die politische Vernunft systemisch der  Macht von Wirtschaftsinteressen unterliegt.

Deshalb fragen wir: Kann es sinnvoll sein, Großprojekte zu stoppen?


Die Gastredaktion dieser Debatte übernahm frei04 publizistik. Ursula Baus, Christian Holl und Klaus Siegele gründeten 2004 in Stuttgart die Partnerschaftsgesellschaft frei04 publizistik für die Themengebiete Architektur, Städtebau und Bautechnik. Petra Bohnenberger und Simone Hübener kamen als "Freie" zu uns "Freien". Uns motiviert die Verantwortung, die man in freier Publizistik wahrnehmen kann. Eine vielfältige Interpretation des Wertes, den Architektur und Stadt für unser Leben haben, wird von uns informativ und kritisch begleitet.
Unter www.frei04-publizistik.de finden Sie weitere Informationen und Links zum Thema „Großprojekte“.
frei04 publizistik ist seit Juni 2005 redaktionell für den "Bau der Woche" und das "eMagazin" des Internetportals
www.german-architects.com verantwortlich.

 

Ursula Baus und Christian Holl / 2.3.2013 / 16:28

frei04, Gastredaktion dieser Debatte

Jein ...

 Resümee Die Aktualität des Themas „Großprojekte“, das seit Beginn der bkult-Debatte am 11. Februar 2013 täglich in allen Zeitungen, Fernsehnachrichten und Agenturmeldungen Toppositionen besetzte, veranlasste die bkult-Redaktion dazu, die Debatte von zwei auf drei Wochen auszuweiten. Genau der richtige Zeitpunkt, ein Resümee zu ziehen. 19 Hauptbeiträge, 10 fundierte Kommentare auf der bkult-Website, Daumen-raufs und Daumen-runters und "Likes" en masse  bei Facebook  – die Großprojekte haben ein Interesse an Baukultur in allen gesellschaftlichen Kreisen geweckt, das dezidiert über die Kostenexplosionen wachgerufen worden ist. Genereller Tenor: Probleme sind politischen Kreisen anzulasten, die sich im Vorfelde jedes Großprojektes in Schönrechnerei und -rednerei üben.Es wurde betont, dass der dramatische Verlauf von Großprojekten nicht primär unseren Ingenieuren und Planern anzulasten ist. Diese arbeiten in der Regel gut und zuverlässig. Die Dramatik nimmt aber ihren Lauf, wenn sich das politisch Schöngeredete (=Billiggeredete) bautechnisch nicht vernünftig umsetzen lässt. Dazu erreichte uns auch ein Hinweis, der nach europäischen Regelungen rief.Alle Diskussionsbeiträge „pro“ Großprojektabbruch hoben argumentativ auf diese Diskrepanz zwischen politischem Kalkül und technischer Machbarkeit ab. Ein Abbruch eines Großprojektes wird dort für sinnvoll erachtet, wo ein vernünftiges Abwägen aller Vor- und Nachteile – also auch ein Vergleich von Äpfeln und Birnen – einen klaren Schluss rechtfertigt. Das Argument benennen auch die allermeisten Gegner des Projektabbruches, genauer gesagt: sie sprechen es im Sinne einer Verfahrensverbesserung an, um in Zukunft Scherereien zu vermeiden.Zur Gretchenfrage mausert sich deswegen bei Großprojekten über die Landesgrenzen hinaus der Aspekt der Verfahrenstransparenz. In Demokratien reden bei Großprojekten nun einmal viel mehr Beteiligte und Betroffene mit als in autoritären Staaten. Die Demokratie einzuschränken, um Großprojekte zügig durchziehen zu können: So weit geht jedoch niemand. Vielmehr dominiert eine gewisse Ratlosigkeit in der Frage, wie Transparenz und auch Flexibilitäts- und Alternativfaktoren in effiziente Verfahren integriert werden können. Weltweit wird das Scheitern deutscher Großprojekte nicht den deutschen Technikern angelastet – was gern im Sinne eines Renommee-Verlustes behauptet wird –, sondern der Komplexität der Verfahren. Die gilt es zu analysieren und entsprechend differenziert zu strukturieren.Die vermeintliche Angst der Deutschen vor dem „Großen“ kam genauso zur Sprache wie die Kritik am fortschrittsgläubigen Wachstumsdogma. Oder die Notwendigkeit, unsere gesamte Infrastrukturmodernisierung und die Energiewende als Großprojekt zu begreifen und dafür neue Strukturen zu entwickeln. Oder der Hinweis auf Fälle, in denen der Abbruch sich als richtig erwiesen hat.Ein bemerkenswertes „Nein“ kam aus einer unerwarteten Ecke: Der Historiker argumentierte mit einer „langue durée“, der wir den Petersdom mit seiner desaströsen Entstehungsgeschichte verdanken.Dass es bei der Großprojekte-Frage nicht um „Ja“ oder „Nein“, sondern um das „Wie“ geht, darf man als Konsens der Debatte betrachten. Aber das Bkult-Journal der BSBK hat sich nun einmal der „Ja-Nein-Jein“-Fragekultur im Sinne des „Gefällt-mir“ - „Gefällt-mir-nicht“ fest verschrieben. Ja! meinten 73%, Nein! 27%.Eine andere Debatte fängt also gerade erst an: Was können Großprojekte zur Erneuerung unserer Demokratie beitragen?
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David Vaner / 1.3.2013 / 20:53

Architekt, Mexico City

Jein ...

Ein Projekt abbrechen kann man immer – aber:Aus 9737 km Entfernung sticht mir vor allem das Thema der Transparenz ins Auge - sie ist Segen und Fluch zugleich. Genau damit und mit dem hohen europäischen Qualitätsanspruch haben meiner Meinung nach solche Grossprojekte zu kämpfen.Hier in Mexico vermissen wir diese Qualität und Transparenz natürlich sehr, aber da diese hier nur bis zu einem bestimmten Grad oder gar nicht vorhanden ist, werden Grossprojekte viel schneller realisiert.Die Stadtautobahn "Periferico", der Mexico City mittlerweile auf 3 Niveaus durchkreuzt, hat seine 3. Etage innerhalb von nur einem Jahr erhalten. Das ist in gewissser Weise spektakulär – aber auf wessen Kosten? Wem kommt das wirklich zugute? Niemand kann sich einmischen - nur diejenigen, die die Fäden in der Hand haben.Daher stellt sich mir eher die Frage, wie kann die in Europa zurecht geforderte Transparenz während des Planungs-und Bauprozesses von Grossprojekten erhalten bleiben? Behält ein Prozess diese Transparez, kommt es wohl kaum zu dem Punkt,  an dem man sich die Frage nach dem Abbrechen des Projekts stellen muss.In Europa dürfen alle mitbestimmen; Politiker, Individualpersonen, Verbände aus allen Bereichen der Gesellschaft. Bei jedem neuen Grossprojekt sind also noch mehr Beteiligte involviert. Wenn man eine Form fände, diese gesellschaftliche Teilhabe an der Entstehung von Großprojekten wirklich transparent zu gestalten, würde sich die Frage nach ihrem Abbruch erübrigen.  David Vaner, geb.1975 studierte Architektur an der GHK Kassel und ist seit 2010 Partner des Architekutbüros Tatiana Bilbao SC. in Mexico City. Ab März 2013 ist er Gastprofessor an der Peter Behrens School of Architekture (PBSA) in Düsseldorf.
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Gabor Kovacs / 28.2.2013 / 18:56

freischaffender Architekt

Nein ...

Nein, es kann nicht sinnvoll sein Großprojekte zu stoppen. Was wir brauchen ist einerseits die Transparenz auf der Entscheiderebene, Fachkompetenz ebenso, andererseits eine Bildungskultur auf breiter Ebene, damit man solche Projekte versteht, anstatt immer nur auf das nüchterne Zahlenwerk zu schielen. Man denke nur an François Mitterrands "Grands Projets" in Paris. Sorry für den Ausdruck, aber wir brauchen auf der ganzen Ebene "Eier in der Hose" und nicht Politiker oder Fachbeteiligte, die sofort beim kleinsten Gegenwind einknicken. Man trifft solche Entscheidungen vor dem Hintergrund reiflicher Überlegungen und Kalkulationen. Dass etwas teurer wird, als ursprünglich kalkuliert, läßt Schönrechnerei im Vorfeld vermuten. Was wir vielmehr brauchen ist das Kulturverständnis des breiten "Nicht-Fachpublikums", was zwingend eine Bildung in Baukultur als selbstverständlichem Teil schulischer Erziehung voraussetzt. Ich wundere mich nur, dass große Straßenbauprojekte seltener so unter Druck stehen. Aber da kann man auch weniger über Kulturgut und Schönheit diskutieren. Autofahren wollen alle, gleich welcher politischer Couleur und der Privatmann ebenso.
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Alexander Gutzmer / 28.2.2013 / 18:25

Chefredakteur des „Baumeister“

Nein ...

Die Deutschen haben ein, sagen wir, diffiziles Verhältnis zum Thema Größe. Auf der einen Seite neigten sie in der Geschichte immer mal wieder zur Planung des ganz Großen. Sei es nun ein Dom, seien es diverse reichlich massive Ruhmeshallen, oder sei es eine gigantomanische neue Hauptstadt mit Protztoren, die bei Fertigstellung schlicht im märkischen Sand versunken wären. Andererseits wird bei uns nicht erst seit dem Biedermeier immer wieder die Ästhetik der kleinen Form gepflegt und besungen. Small is good, hat man häufig den Eindruck. Groß hingegen bedeutet automatisch unmenschlich oder sinnlos pompös, gilt als Ausdruck einer anthropozentrischen Hybris.In letzterem Duktus werden auch die aktuellen metropolitanen Baudramen in Stuttgart, Hamburg und Berlin verhandelt. Da ist immer mal wieder von Gigantomanie die Rede. Das mag bezogen auf Stuttgart 21 ja sogar noch stimmen – wenigstens ein Stück weit. Doch schon das Hamburger Konzerthaus ist von so einzigartigen Dimensionen nicht. Primär trägt ihm wohl die städtebauliche Sonderstellung als symbolischer Höhepunkt der Hafen City seine Ausnahmewahrnehmung ein. Und Berlin? Nun, natürlich ist in hauptstädtischer Wahrnehmung alles, was dort passiert, weltbewegend und exzeptionell. Der geplante Flughafen allerdings wäre dies eindeutig nicht. Auf 27 Millionen Passagiere jährlich ist er ausgelegt. Das wäre in Deutschland noch wenigstens Champions League-Qualifikation, in europäischen Maßstäben aber schon eher ein Fall von „ferner liefen“. Der weltgrößte Flughafen (Atlanta) schickt pro Jahr 92 Millionen Passagiere auf die Reise, Frankfurt immerhin noch 56 Millionen. In Istanbul plant man gerade einen neuen Flughafen für 150 Millionen Passagiere.Die anhaltende Pannenserie in Berlin ist also nicht zwangsläufiges Resultat von hauptstädtischer Großspurigkeit. Sie ist die Folge sehr realer – und analysierbarer Fehler. In der Märzausgabe des Baumeister schauen wir uns diese genauer an. Im wesentlichen geht es dabei um die (vergebliche) Suche nach einem Generalunternehmer, um permanente Planänderungen und den politisch motivierten Zwang, den Bau zu beschleunigen.Es ist wichtig, den BER-Planungsprozess seit 1997, als der ursprüngliche vorgesehene Generalunternehmer Hochtief den Zuschlag bekam, genau zu analysieren. Aber nicht, um die grundsätzliche Problematik von Großprojekten zu beweisen. Sondern um öffentlich deutlich zu machen: Wir (als Land) sind in der Lage, die Probleme von Pannenprojekten ganz nüchtern, aber auch schonungslos herauszuarbeiten – und daraus zu lernen. Wir sind von Großprojekten nicht grundsätzlich überfordert. Und deshalb müssen wir uns auch nicht in die Lobpreisung des Kleinen flüchten – oder in die bauliche Stagnation. Dr. Alexander Gutzmer , geb. 1974, ist Chefredakteur des Architekturmagazins Baumeister sowie Editorial Director des Münchner Callwey-Verlags. Zuvor arbeitete Gutzmer als Editorial Director bei der Burda Creative Group. Für die Welt am Sonntag berichtete er aus Berlin und London. Gutzmer wurde am Centre for Cultural Studies des Goldsmiths College (University of London) mit einer Arbeit über die Virtualisierung städtischer Räume promoviert. In London studierte er Kulturwissenschaft, an der FU Berlin und der Warwick Business School BWL. Sein wissenschaftliches wie journalistisches Interesse gilt der Architektur- und Kulturtheorie sowie speziell dem sich intensivierenden Verhältnis von Architektur und Medien.
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Wolfgang Kil / 26.2.2013 / 21:32

Architekturkritiker und Publizist, Berlin

Ja ...

Zwar gilt es heute allgemein als schick, „die Moderne“ für das Grundübel des 20. Jahrhunderts zu halten, aber ausgerechnet an ihren Vorwärts-Kriterien „Höher! Schneller! Weiter!“ wird unbeirrt festgehalten. Doch spätestens, seit uns 1972 die „Grenzen des Wachstums“ schriftlich bescheinigt wurden, ist unsere Welt eine andere. Weil wir nun ganz anders über sie nachdenken müssen. Die neuerdings immer wieder aufwallende Zukunftsskepsis hat aus den Kollateralschäden der bisherigen Modernisierungen Lehren gezogen. In den öffentlichen Protesten von Stuttgart oder Berlin-Schönefeld, aber auch Gorleben oder Heiligendamm regt sich das Wissen um eine endliche Welt. Es sind eben nicht nur notorische Pessimisten und ewige Querulanten, die gegen Milliardenbahnhöfe auf die Straße gehen, gegen kontinentale Flugdrehkreuze oder strahlenden Müll. Die sich nicht mehr kindlichen Herzens an Hochhäusern erfreuen, denen nicht mehr jeder landverschlingende Tagebau einleuchtet – ja, man darf sie gerne „moderneverdrossen“ nennen, solange damit eine Moderne naiven Technikvertrauens gemeint ist und des selbstberauschenden Machbarkeitswahns.Doch nicht nur Ressourcen und Technologien sind das Thema, es geht auch um Politik. Am besten gedeihen Megaprojekte unter einer starken Hand. Jener unlängst hämisch platzierte Vergleich zwischen dem „Unvermögen“ der Berliner Flughafenplaner und ihren chinesischen Kollegen, die angeblich zwei Dutzend Flughäfen pro Jahr zustande bringen, müsste eigentlich aufhorchen  lassen: Großbaustellen der Brachialmodernisierung lassen sich am effektivsten in top-down-Manier durchsetzen, notfalls noch mit der Schwungkraft des ganz großen Geldes. Gemessen an den exekutiven Möglichkeiten von Imperatoren und Finanz-Moguln erweist sich die Demokratie tatsächlich als umständlichste und fragilste aller Organisationsformen. Aber zu den unbedingt schätzenswerten Faktoren dieser „Umständlichkeit“ gehört eben die Fähigkeit zu Reflexion, Einsicht, Selbstkorrektur. Eine aus ihren Fehlern lernende, das heißt praktische Konsequenzen ziehende Gesellschaft gewinnt unvergleichlich mehr Glaubwürdigkeit, als wenn sie verbissen und „Koste es was es wolle!“ auf den einmal ausgegebenen Direktiven beharrt.Wahrscheinlich bedarf es der allermutigsten Entscheidung nur ein einziges Mal. Damit für alle Hasardeure der Präzedenzfall gilt: Eine großkotzige Grundsteinlegung schafft noch keine Einweihungsgarantie. Es gehört ja inzwischen zum Spiel, mit gezinkten Zahlen möglichst früh schon den „point of no return“ zu erreichen. Doch ein Exit sollte jederzeit möglich sein. Weil er nicht nur ein Scheitern anzeigt, sondern vor allem eine Tugend: Vernunft.  Wolfgang Kil, geb. 1948, ist Architekt, freier Kritiker und Publizist in Berlin. Nach dem Studium in Weimar war er Projektant im Wohnungsbaukombinat Berlin, 1978-82 Chefredakteur der Zeitschrift „Farbe und Raum“, danach freier Autor und Kurator und 1992-94 Redakteur bei der „Bauwelt“. Seitdem ist er wieder freiberuflich als Publizist mit Arbeitsschwerpunkten DDR-Baugeschichte, demografischer Wandel, Stadtumbau und Bauen in Osteuropa tätig. Zahlreiche eigene Bücher, darunter „Luxus der Leere“ (2004) und „Das Wunder von Leinefelde“ (2007). 1997 erhielt er den Kritikerpreis des BDA.
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Dr.-Ing. Jens Karstedt / 25.2.2013 / 15:50

Präsident , Baukammer Berlin

Nein ...

... es kann nicht sinnvoll sein, in einem Rechtsstaat große Infrastrukturprojekte, die alle rechststaatlichen Instanzen bei Bürgebeteiligungen und Transparenz durchlaufen haben, zu stoppen. Es handelt sich dabei nämlich um die Realisierung von wichtigen Versorgungssystemen, die den Menschen in unserem Staat zugute kommen. Die Probleme der Realisierung sind mir bekannt, sie lassen sich aber nicht durch Ideologisierung oder oberflächliche Dokumentation ohne technischen Sachverstand vom Tisch wischen. Lassen Sie uns fair und weitsichtig die wahren Ursachen der populären Missstände aufzeigen. Ich hoffe jedenfalls, dass durch die Diskussion der Zeit- und Kostenfaktor bei der Realisierung von Versorgungssystemen in der BRD offen diskutiert wird. Es ist nicht selbstverständlich, was uns in unserem Paradies mit Trinkwasser, Abwasser, Energieversorgung, Mobilitätsmöglichkeiten auf dem Boden, dem Wasser und in der Luft umgibt. Teile dieses Systems sind uralt und marode. Es wird Milliarden kosten, diesen Standard zu halten. Er ist Grundlage unseres Sozialsystems. 
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Wolf Reuter / 25.2.2013 / 9:52

Professor am Institut für Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart

Ja ...

... kann es. Die Sinnfälligkeit hängt von Erkenntnissen und Urteilen ab. Beide sind von Interessen geleitet und an Wertsystemen orientiert. Kontroverse Positionen sind selbstverständlich. Die endgültige Entscheidung hängt zudem von der Verteilung von Macht ab.Wenn wir unterstellen, dass zu Beginn eines Großprojektes das Urteil unter den verschiedenen Aspekten (wie z. B. Funktionalität, Bedarf, Nachhaltigkeit, ökonomischer Effizienz, Ästhetik et. al.) „sinnvoll“ hieß, dann kann ein Stopp heute nur begründet werden, wenn es einen gewichtigen Unterschied zu genau dieser damaligen Entscheidungsbasis gibt. Gegner von Stopps führen oft an, dass durch die bereits vollzogenen Arbeiten und Ausgaben und Verträge ein Zwang gegeben sei. Die mit dieser Art „Sachzwang“ argumentieren, verkennen, dass aus Fakten nach gültiger Logik grundsätzlich nicht auf ein Soll gefolgert werden kann. Erst wenn ich eine übergeordnete Sollaussage, einen Wert z. B. hinzufüge, ist das möglich. So ein höherer Wert wäre etwa lebenswerte Umwelt, wirtschaftliche Effizienz, Bedarfsdeckung, Schönheit. Dann wird man darüber streiten können, wieviel Geld einer Gesellschaft ein Schönheitsgewinn wert sein soll oder ob das Bauvorhaben überhaupt einer wäre. Aber dann gibt es kein Zwang-Argument mehr, sondern widerstreitende Urteile.Soweit zur Struktur von Stopp-Sinn und seiner Debatte. In der Wertabwägung wiegt in Berlin die Bedarfserfüllung für den Großraum höher als die finanziellen Verluste durch eine miserable Durchführungsplanung. Der ästhetische Zeichengewinn und der Marketing Effekt für Hamburg wiegt höher als der Geldaufwand. Anders als bei dem Berliner und dem Hamburger Projekt steht im Fall Stuttgart 21 die 1994 eingeleitete Projektentscheidung durch mehrere inzwischen eingetretene  Änderungen der Entscheidungsbasis in Frage. Damals galt noch die Image-Änderung der Deutschen Bahn hoch, der Gewinn an Zeit hoch, der städtebauliche Gewinn hoch, die Finanzierung (oberirdischer Verkauf finanziert (fast) unterirdische Gleise) als bestechend, der Tiefbahnhof als funktional besser als der Bestehende, der ästhetische Wert des Tiefbaus dem oberirdischen Altbau überlegen. Heute erscheint die Image-Änderung obsolet, der geringe Zeitgewinn vernachlässigbar, die Finanzierung fragwürdig, die ökonomische Effizienz negativ, die Funktionalität fragil, der Wert des Altbaus als Teil der Identität der Stadt und ihres Gedächtnisses höher. Die ökonomische Ineffizienz als dem vermutlich mächtigsten Aspekt würde vermutlich nicht ziehen, wenn die anderen Aspekte nicht auch so negativ belastet wären. Die Entscheidungsbasis hat sich über die Zeit gravierend geändert. Ein Stopp ist sinnvoll. Das angeführte Argument der bereits investierten Gelder fällt unter den oben widerlegten Sachzwang-Schluss. Der Stopp wäre zudem ein Zeichen in der Landschaft politischen Handelns: Die Taktik niedriger Erstkalküle und dann stückweiser Information über längst bekannte höhere Kosten ist eine unmoralische Umgangspraxis mit demokratischen Entscheidungsträgern (einschließlich dem Volk selbst). Prof. Dr. Wolf Reuter, geb. 1943, studierte Architektur in Braunschweig, Stuttgart und Berkeley, arbeitete 1972-82 mit der Studiengruppe für Systemforschung in Heidelberg, lehrte Entwurfs- und Planungstheorie an der Universität Stuttgart, Gastprofessor an der Tongji Universität in Shanghai, an der Chung Yuan University, Taiwan und an der Hochschule für Gestaltung, Schwäbisch Gmünd (Design Theorie). Seit 1998 Professor am Institut für Wohnen und Entwerfen der Universität Stuttgart. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Diskurs und Machthandeln. 
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Peter Cachola Schmal / 22.2.2013 / 10:08

Chefkurator und Leitender Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM), Frankfurt am Main

Nein ...

Diese Frage ist falsch gestellt und lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten.Natürlich kann man Großprojekte beginnen, jahrelang diskursiv behindern, am Ende politisch nicht mehr richtig wollen und auf fragwürdige Weise eine Exit-Strategie suchen – so wie derzeit bei Stuttgart 21 zu beobachten. Man kann ein Großprojekt aber auch einfach durchziehen, wie letztens in der Schweiz beim Gotthard-Basis-Tunnel zu sehen war (Baubeginn 1996, Inbetriebnahme voraussichtlich 2016, Kosten voraussichtlichknapp 15 Milliarden Eur) oder beim Frankfurter Flughafen mit seinem neuen Terminal 1-Z, in Größe und Umfang immerhin die Hälfte des BER und: von denselben Architekten.Derzeit machen wir weltweit brutta figura, und enttäuschen alle jene, die von uns saubere, pflichtbewusste Terminarbeit bei gleichbleibend hoher Qualität erwarten. Einen Audi der  Stadtplanung und Architektur. Davon leben Exportmeister wie Albert Speer & Partner, gmp, HPP, KSP Engel Architekten oder RKW. Das mit Fassungslosigkeit zu beobachtende Versagen bei der Realisierung von Großprojekten ist schlecht für Deutschlands Ruf, es ist schlecht für den Export und damit schlecht für die Aufrechterhaltung des wunderbar hohen Status Quo, den wir vor und besonders seit der Krise genießen. Auf diesem Glauben beruht unsere 'Planned in Germany' Reputation – und wird von planenden Politikern in Hamburg, Berlin und Stuttgart mutwillig zerstört. Sie bringen Deutschland damit reellen Schaden, werden aber nirgends erkennbar zur Rechenschaft gezogen. Natürlich sind auch die beteiligten Architekten nicht schuldlos – vor Gericht wird deren Anteil am Misslingen wohl ermittelt werden.Natürlich kann man jederzeit aussteigen, auch aus Großprojekten. Jederzeit, auch kurz vor Vollendung, sogar noch danach, wie beim schnellen Brüter in Kalkar oder bei der Transrapidtechnologie, die wir ganz den Chinesen überlassen haben. Das ist eine politische Entscheidung. Man kann ja auch von heute auf morgen aus der Atomenergie aussteigen. Entscheidend ist, wie man einigermaßen heil aus der Sache kommt. Daraus kann dann ein neues, epochales Großprojekt werden, genannt "Energiewende", auf dessen geglückten Ausgang wir alle hoffen sollten.Man kann Großprojekte aber auch trotz großer Probleme noch zu einem guten Ende führen. Das wäre in Hamburg und Berlin jetzt dringend nötig. Erinnern wir uns noch an den fatalen Start der Autobahnmaut, mit den sogenannten 'Onboard Units'? Inzwischen spielt das Mautsystem leise Milliarden jährlich ein. Und weckt Begehrlichkeiten, wie man es auf den Autoverkehr ausweiten könnte. Vielleicht ist es auch schon zu einem Exportschlager geworden? Wer weiß? Die Presse schreibt nicht mehr darüber. Großprojekte sind offenbar nur interessant, wenn sie zu scheitern drohen. Eine masochistische Lust am eigenen Versagen. Wenn Großprojekte gelingen, haben sie keinen Nachrichtenwert mehr. Wir schätzen unsere eigenen Erfolgsgeschichten nicht, weder als recherchierende Journalisten noch als nachfragende Leser. (Wie man übrigens an der Fragestellung schon sehen kann. Warum wurde nicht gefragt, wie man Großprojekte besser zu Ende bringen kann?)Es wird Zeit, dass Ruhe in diese verfluchten Projekte kommt, dass Profis die Elbphilharmonie und den Flughafen in Berlin lautlos zu Ende bringen, und dass über Stuttgart 21 eine Entscheidung getroffen und konsequent durchgezogen wird. Die für Deutschland langfristig bessere Entscheidung wäre die, den Bahnhof, wie von Ingenhoven entworfen, einfach fertig zu bauen. Koste es, was es wolle, damit nicht durch Kleinrechnen entstandene schlechte Qualität uns länger belasten als Mehrkosten während des Baus. Allein unseren Ruf als verlässliche Weltingenieure der Nachhaltigkeit zu reparieren, würde die sicherlich enormen Kosten rechtfertigen. Das Geld ist da. Wir setzen derzeit ganz andere Summen in politische Verpflichtungen (etwa in die Euro-Rettung oder das Engagement in Nato-Kriegen).Kurzfristig populärer und daher nicht unwahrscheinlich wäre dagegen der verschleiernde Ausstieg. Er würde nachdenklich beginnen, mit dem Verhängen eines 'Moratoriums' mit Baustopp, um die finanziellen Risiken gründlich neu zu ermitteln. Und irgendwann käme das Eingeständnis, dass es politisch wie auch finanziell nicht mehr "darstellbar" sei. Den Schaden müssten wir alle ausbaden. Aber das kennen wir ja. Peter Cachola Schmal, geb. 1960, ist Architekt, Architekturkritiker und seit 2006 Chefkurator und Leitender Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main. Von 1981 bis 1989 studierte er Architektur an der TU Darmstadt, war 1992 bis 1997 dort wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Fachgebiet Baukonstruktion. Von 1997 bis 2000 Lehrauftrag "Entwerfen" an der Fachhochschule Frankfurt, seit 2000 ist er Kurator am DAM. 2007 war er Generalkommissar des Deutschen Beitrags der VII. Internationalen Architekturbiennale Sao Paulo 2007.
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Prof. Frank R. Werner / 19.2.2013 / 15:42

AGT, Institut für Architekturgeschichte und Architekturtheorie, Universität Wuppertal

Nein ...

Natürlich können Grossprojekte ungeachtet politischer und finanzieller Implikationen jederzeit gestoppt werden. Mitunter gibt eigentlich gar keine andere Option. Honi soit qui mal y pense! Andererseits: als Architekturhistoriker belehrt mich schon ein kurzer Blick in die Baugeschichte, dass viele der bewunderten Großbauten unserer Welt nicht entstanden wären, wenn man ernsthaft über den Abbruch der Bauarbeiten nachgedacht hätte. Dabei denke ich noch nicht einmal an die sich mitunter über viele Jahrhunderte erstreckende Bauzeit gotischer Kathedralen mit all ihren Planänderungen, Konstruktionsmängeln, Finanzierungsproblemen und Bauunterbrechungen. Nein, ich denke da nur eines der chaotischsten Großprojekte der jüngeren Baugeschichte, nämlich den Neubau des Petersdomes in Rom. Selten ist ein metropolitanes Großprojekt dilettantischer und stümperhafter angegangen worden als dieses. Auf Drängen eines baufreudigen Renaissance-Papstes fängt Bramante an, den Chorbereich der großen intakten frühchristlichen Basilika Alt St. Peter abzubrechen und dort die gewaltigen Vierungspfeiler eines gigantischen neuen Zentralbaus zu errichten – ohne genauen Plan und ohne detaillierte Kostenschätzungen wohlgemerkt. Nach Bramantes frühem Ableben weiss keiner mehr, wie es nun weitergehen soll. Schafe und Kühe weiden alsbald zwischen Bramantes Vierungspfeilern, die sich längst als viel zu klein erwiesen haben. Zentralisierte und längsgerichtete Weiterbaukonzepte werden heftig diskutiert, doch auf der Baustelle tut sich jahzehntelang nichts. Über die Baustelle wächst Gras. Zwischenzeitlich wird sogar ernsthaft erwogen, den teilweise abgebrochenen Altbau von Alt St. Peter wieder zu rekonstruieren. Bis Michelangelo den Knoten zerbricht, Bramantes Zentralbaukonzeot wieder aufgreift, strafft, monumentalisiert und tatsächlich mit dem Bau beginnt. Aber wieder erweist sich der Zentralbau aus liturgischen Gründen wenig brauchbar. So dauert es noch einmal fast ein ganzes Jahrhundert bis die Kuppel, Madernos "verunglückter" Längsbau und Berninis Kolonnaden fertiggestellt sind. Letztendlich hat der Bau mehr als das Hundertfache dessen gekostet, was Julius als erster Bauherr ursprünglich an Baukosten angesetzt hatte. Und trotzdem möchte sich heute wohl niemand den Petersdom als eines der Hauptwahrzeichen von Rom wegdenken. Deshalb hat Louisa Hutton kürzlich in einem Zeit-Interview vermutlich zurecht angemerkt, dass in wenigen Jahrzehnten wohl niemand mehr über die exorbitanten Bauverzögerungen und Kostensteigerungen der Elbphilharmonie reden werde – vorausgesetzt, der Bau werde als Ikone Hamburgs auch wirklich fertiggestellt. Es könnte also auch sinnvoll sein, Grossprojekte nicht zu stoppen, selbst wenn das angesichts des Berliner Flughafendesasters und der trostlosen Bauruine von Stuttgart 21 schwer vorstellbar erscheint. Architekturstudium an der Universität Stuttgart, 1972-82 Wiss. Assistent, 1988/89 Gastprofessur an der SCIARC, 1990-93 Lehrstuhl für Architektur- und Designgeschichte an der Kunstakademie Stuttgart, 1994-2012 Lehrstuhl und Leitung des AGT-Institut für Architekturgeschichte und Architekturtheorie an der Universität Wuppertal, zahlreiche Gastprofessuren, Publikationen und Ausstellungen. 
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Ludwig Weitz / 18.2.2013 / 15:06

Organisationsberater, Moderator, Trainer und Coach; Bonn

Jein ...

Ja, es kann Sinn machen, ein konkretes Projekt zu stoppen. Dabei ist das „Groß-“ in einem solchen „Projekt“ eher ein zweitrangiges Kriterium. Vielmehr ist wichtig, ob sich im Projektverlauf die Planungsgrundlagen durch neue Erkenntnisse verändern, neue Entwicklungen in Planungen zu berücksichtigen sind, wenn sich also Kontexte, Fakten, Planungsvariablen oder Nutzerverhalten und -erwartungen verändern, die eine Neubewertung eines Projektes erforderlich machen. Dann darf, muss und soll neu nachgedacht werden, ob Aufwand und Nutzen noch im richtigen Verhältnis zueinander stehen, ob das Projekt – im wahrsten Sinne des Wortes – Sinn macht. Und dann kann es im konkreten Beispiel Sinn machen, das Projekt zu beenden. Es hat keinen Sinn, weiter zu machen.Nein: Prinzipiell Großprojekte zu stoppen, macht hingegen auch keinen Sinn. Hier wäre zunächst zu klären, wann ein Projekt  „groß“ ist. Ein großes Projekt zu sein, stellt an sich kein hinreichendes Bewertungskriterium dar. Hier wäre auch einzubeziehen, dass es doch auch viele gelungene Beispiele großer Projekte gibt, die, abseits der persönlichen Geschmacksfragen, Sinn machen, die echten Nutzen stiften, die sich im Kostenrahmen bewegen und Akzeptanz bei der Bevölkerung haben. Ich verzichte auf Beispiele, weil eine Diskussion über die Projekte, die ich dabei im Kopf habe, von der konkreten Frage ablenkt.Machen Großprojekte Sinn? Die interessante Frage ist, ob große Projekte tatsächlich anfälliger sind für chaotische Verläufe, ob sie uns öfter während der Umsetzung neu vor die Frage stellen, ob sie nun nicht besser zu stoppen seien.  Hier müssten wir zunächst unsere Wahrnehmung überprüfen, ob das tatsächlich oft oder generell so ist. Begnügen wir uns hier mit der Erfahrung: oft genug!  Und wenn es passiert, dann mit erheblichen Folgen – weil die Projekte ja groß sind. Als Berater ist  meine Hypothese: Sie sind deswegen störanfällig und schwierig zu handhaben, weil sie in Ihrer Komplexität überfordern. Sie zeigen uns wohlmöglich Grenzen auf in den klassischen Instrumentarien des Projektmanagements, Grenzen von Komplexität, die ein System und im speziellen der Mensch bewältigen kann. Zumindest entziehen Sie sich offensichtlich oft der gängigen Allmachtsphantasie, man könnte alles beherrschen, wenn es nur „richtig“ gemanagt wird.Partizipation macht Sinn! Wir stünden wahrscheinlich seltener vor der Frage, ob da was zu stoppen ist, wenn wir vorher offen und transparent über die Rahmenbedingungen aufklären würden, wenn wir Menschen zu Beteiligten einer Diskussion über Sinn und Zweck eines Projektes machten, wenn wir offen und ehrlich klären würden, was es uns kostet – finanziell, sozial, ökologisch … kurzum: wenn wir redlich und ehrlich über den Sinn sprechen würden – vorher! Das wäre echte Partizipation!  So gelingen auch große Projekte, wie Beispiele zeigen.Ludwig Weitz, systemischer Organisationsberater, Moderator, Trainer Coach mit langjährige Erfahrung im Bereich der Bürgerbeteiligung, Mediation, Gruppen- und Prozesssteuerung.  Begleitung von Beteiligungsverfahren in großen und kleinen Projekten, im In- und Ausland! Gründer und Geschäftsführer von ViS!ON, Beratung - Moderation - Training - Coaching ... für Menschen und Organisationen, Bonn. 
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Andreas Hild / 17.2.2013 / 14:00

Architekt, München

Jein ...

Ich denke, dass man das pauschal nicht bejahen kann. Vermutlich haben alle genannten Projekte zwar ähnliche Gründe, warum sie nicht funktionieren; wie diesen Gründen beizukommen ist, lässt sich leider nur im Einzelfall entscheiden. Im Prinzip muss ich als Steuerzahler, nicht als Architekt, davon ausgehen, dass die Infrastrukturprojekte eine geprüfte Begründung haben. Dies vorausgesetzt, ist es nicht sinnvoll, diese Projekte zu stoppen, um sie gar nicht zu realisieren. Es kann aber durchaus sinnvoll sein, einen Moment innezuhalten und die  Versagensgründe zu bearbeiten beziehungsweise zu beheben. Dabei sollte man natürlich bedenken, dass ein Teil der Fehler nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. In jedem Falle muss die Analyse dazu führen, in Zukunft Fehler zu vermeiden, die zu solchen organisatorischen, aber eben auch kommunikativen Desastern führen. Ich bin sicher, dass eine Schlussfolgerung lauten wird, bereits im Vorfeld sehr viel mehr Geld in Planung und Kommunikation von Großprojekten zu investieren. Ob das politisch und damit gesellschaftlich durchsetzbar sein wird, wird darüber entscheiden, ob wir als Gemeinschaft  in der Lage sind, solche Projekte in Zukunft noch verwirklichen zu können. Andreas Hild, geb. 1961, studierte Architektur an der ETH Zürich und an der TU München. 1992 gründete er mit Tillmann Kaltwasser ein eigenes Büro. Seit 1999 wird das Büro Hild und K von ihm und Dionys Ottl geleitet. Hild hatte Gastprofessuren und Lehraufträge an im In- und Ausland.
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Peter Conradi / 15.2.2013 / 16:33

Architekt und Politiker, Stuttgart

Ja ...

Natürlich kann man Grossprojekte abbrechen: Whyl, Wackersdorf und der Schnelle Brüter wurden abgebrochen, weil der massive Widerstand aus der Bevölkerung anhielt und die Kosten immer grösser wurden. Deshalb arbeiten Projektträger nach dem Prinzip: Die Kosten herunterrechnen, die Wirtschaftlichkeit schön rechnen und das Projekt vorantreiben, bis soviel Geld verbaut ist, dass Abbruch und Rückbau teurer werden als die Fertigstellung.Nach diesem Muster arbeitet die Deutsche Bahn AG bei "Stuttgart 21". Zu den explodierenden Kosten und der zweifelhaften Wirtschaftlichkeit des Projekts kommen technische und rechtliche Probleme, die einen Projektabbruch, mindestens einen Baustopp bis zur Klärung der offenen Fragen nahelegen: Mehrere Abschnitte sind noch nicht planfestgestellt, die Stilllegung des Bahnhofsvorfelds und des vorhandenen Kopfbahnhofs ist rechtlich umstritten, die Kapazitätsrechnungen der DB AG für den neuen Tiefbahnhof sind zweifelhaft, und die Brandschutzauflagen der Stuttgarter Feuerwehr für den Tiefbahnhof sind bislang nicht erfüllbar.Die DB AG gehört dem Bund; ob die Bundesregierung als Vertreterin der Eigentümer oder der DB-Aufsichtsrat das Projekt unter diesen Umständen weiterführen, ist derzeit offen. Es gibt realistische und preisgünstigere Alternativen, die einen wesentlichen Vorteil haben: Sie lassen sich in einzelnen, von einander unabhängigen Abschnitten realisieren, wobei jeder fertig gestellte Abschnitt eine Verbesserung für den Bahnverkehr bringt. "Stuttgart 21" hingegen ist ein Alles-oder-Nichts-Projekt, das nur funktioniert, wenn alle Abschnitte fertiggestellt sind. Was lässt sich aus "Stuttgart 21" lernen? - Projekte dieser Grösse lassen sich nur realisieren, wenn die Öffentlichkeit von Anfang an ehrlich über Kosten und Folgen informiert und beteiligt wird. - Das alte Spiel, zuerst die Kosten  herunter zu rechnen und zu erwarten, der öffentliche Bauherr werde spätere Kostensteigerungen schon tragen, funktioniert nicht mehr. - Der Bauträger und die zuständigen Aufsichtsbehörden (hier: das Eisenbahnbundesamt) brauchen ausreichendes und qualifiziertes Fachpersonal zur kritischen Begleitung der Planung und des Baus. Peter Conradi, geb. 1932, machte 1961 an der TH Stuttgart sein Architektur-Diplom und war anschließend u.a. Regierungsbaumeister in Baden-Würtemberg. Von 1972 bis 1998 war er für die SPD Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1999 bis 2004 Präsident der Bundesarchitektenkammer. Von 2007 bis 2012 gehörte er zum Stiftungsrat der Bundesstiftung Baukultur. Im übrigen engagierte sich Peter Conradi für das Projekt K21 (Kopfbahnhof Stuttgart).
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Christa Reicher / 14.2.2013 / 20:02

Professorin für Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung an der TU Dortmund

Ja ...

Natürlich kann jedes Projekt – ob groß oder klein – gestoppt werden! Alternativen in Form von abgespeckten Projekten oder Umplanungen gibt es jederzeit; denn nichts ist ‚alternativlos’.Im Rahmen des Städtebaulichen Kolloquiums an der TU Dortmund am 22. Januar 2013 mit den Referenten Klaus Grewe (London), Prof. Dr. Dieter Läpple (Hamburg) und Prof. Dr. Klaus Selle (Aachen) wurde nach dem (Erfolgs)Rezept von Großprojekten wie der Olympiade in London, der EXPO in Hannover oder auch der IBA Hamburg,gefragt. Dabei sind immer wieder zwei Brücken geschlagen worden: zur Rolle der Bürgerschaft und zur Professionalität von Planung.Klaus Grewe, Koordinator der Olympischen Spiele 2012 in London, bestätigt deren Erfolgsbilanz: „Vier Monate früher fertig und eine Milliarde Euro günstiger als geplant!“ Und die Planung für das olympische Gelände und den neuen Stadtteil hat in einem engen Schulterschluss mit den Anwohnern stattgefunden. Von Anfang an war sich der Olympia-Koordinator bewusst: „Bürgeropposition ist das größte Risiko für das Projekt“. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass das gesamte Vorhaben akribisch durchgeplant und in einem langfristigen Prozess in vielen Gesprächen mit den betroffenen Bürgern, unter Beisein von allen verantwortlichen Fachplanern, vorbereitet worden ist.Anders verhält es sich mit dem Format einer Internationalen Bauausstellung (und hierfür steht auch die IBA Hamburg), das quasi in einem offenen Prozess seine Projektfamilien und thematischen Schwerpunkte justieren und präzisieren muss, in einer Kombination aus Top-down- und Bottom-up-Prozessen. Das Großprojekt als solches nimmt erst im Laufe der Zeit Form und Kontur an.Demgegenüber ist die Weltausstellung in Hannover, die EXPO 2000, die von den Zeiten der Bewerbung bis heute mangels Synergieeffekten für die Stadtentwicklung in der Kritik steht, charakterisiert durch eine Unschärfe in den Entscheidungsstrukturen und in der Finanzierung. Alle Entscheidungen sind getroffen worden in dem Wissen darum, dass die veranschlagten Kosten nicht auskömmlich für die Realisierung sein werden. Aber man wollte einfach in der fast einhundertfünfzigjährigen Geschichte der Weltausstellungen auch einmal eine Weltausstellung in Deutschland haben, koste es was es wolle. Dies scheint ein bewährtes Prinzip zu sein, wenn man wichtige politische Entscheidungen herbeiführen will, die zunächst einmal den Weg für das Großprojekt ebnen sollen.Welche Erkenntnisse lassen sich nun aus dieser erweiterten Palette von Großprojekten – abseits des Berliner Flughafens und Stuttgart 21 – gewinnen?Projekte müssen entsprechend ihren Typologien (denn eine Olympiade in London unterscheidet sich grundsätzlich von einer Elbphilharmonie oder einer IBA in Hamburg) langfristig und akribisch ‚abgearbeitet’ werden. Bei allen Unterschieden teilen sie doch eine wichtige Gemeinsamkeit: Großprojekte haben eine Katalysatorwirkung für ihr Umfeld, ihren Stadtteil oder die Stadt und Region in Gänze, und sie brauchen deshalb auch die Akzeptanz in diesem Kontext. Akzeptanz aber setzt Transparenz voraus. Darüber hinaus ist eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Realisierung eines Großprojektes die Gewährleistung der demokratischen Kontrolle.Genau hier setzt meine Kritik gegenüber der Durchführung von Großprojekten an: (1) Wir haben ein Demokratie-Problem. Politische Entscheidungen werden von Politikern getroffen, die möglichst nach vier Jahren wieder gewählt werden wollen. Hierdurch entsteht ein Mangel an demokratisch gewählten Instanzen, die über eine Wahlperiode hinweg die notwendigen Weichen stellen können. (2) Wir brauchen mehr Transparenz bei den großen Planungsvorhaben. Der Anspruch an eine ‚direkte Demokratie’ lässt sich nur durch eine verbindliche Kommunikation mit der Bürgerschaft einlösen. Aus mangelnder Information und Einsicht in die Planungsvorhaben von Großprojekten entsteht ein Akzeptanzproblem, das sich in Scheingefechten über Details oder in massiven Protesten seinen Ausdruck verschafft. (3) Wir binden zu wenig Fachexpertise auf der Entscheidungsebene ein. Dies führt dazu, dass Planungs- und Ausführungsprozesse ohne das notwendige fachliche Knowhow gesteuert werden. Vielfach sind die Aufsichtsräte falsch besetzt, nämlich mit Politikern, die keinerlei Fachkompetenz haben. Auch wenn derzeit die Oper in Sydney immer wieder als Beispiel dafür zitiert wird, wie wichtig es ist, Großprojekte zu Ende zu bringen, trotz steigender Baukosten und einer vorab nicht einschätzbaren Bauzeit von 14 Jahren, muss dennoch bei jedem Projekt auch das Stoppen als ernsthafte Alternative in Erwägung gezogen werden. Obwohl uns allen klar ist: Jeder Baustopp verursacht Kosten – ohne direkten Nutzen –, aber das Weiterbauen kann in der Gesamtbilanz entschieden teurer werden, wie dies bei der gerade aufbrechenden Diskussion über Stuttgart 21 offensichtlich zu werden scheint.   Prof. Christa Reicher, geb. 1960, studierte Architektur und Städtebau an der RWTH Aachen und der ETH Zürich. Sie leitet seit 2002 das Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung der Fakultät Raumplanung an der TU Dortmund. Von 2010 bis 2012 war sie Dekanin der Fakultät Raumplanung. Zuvor war sie von 1998–2002 Professorin für Städtebau und Entwerfen am Fachbereich für Architektur an der Hochschule Bochum. Seit 2010 ist sie Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des BBSR. Sie ist Mitgründerin und Partnerin des Planungsbüros RHA – reicher haase architekten + stadtplaner. Dazu ist sie als Preisrichterin tätig sowie in mehreren Gestaltungsbeiräten (u.a. in Dortmund und Zürich).
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Michael Knipper / 13.2.2013 / 20:54

Rechtsanwalt und Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e. V., Berlin

Nein ...

In der Diskussion über ausufernde Kosten und verzögerte Fertigstellungstermine bei Groß­projekten wird immer wieder die Forderung laut, das Projekt unverzüglich zu stoppen, bevor noch größerer finanzieller und ideeller Schaden angerichtet wird, getreu dem Motto „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“. Aber Großprojekte sind vergleichbar mit großen, schweren Tankern, die man auf hoher See auch nur auf langer Strecke zum Stehen bringt. Kommt es bei einem Großprojekt zum Baustopp, entstehen zusätzliche Kosten, die die Mehrkosten des realisierten Projekts noch übersteigen können, denn mit dem Abzug der Bautrupps und dem Zuschütten der Gruben ist es keineswegs getan. Mit einem Baustopp wird in ein laufendes Vertragsverhältnis eingegriffen, was in der Konsequenz zu Entschädi­gungsansprüchen und Ausfallhonoraren führt, um die oft jahrelang vor Gericht gestritten wird. Hinzu kommt, dass die öffentliche Hand als Bauherr großer Infrastrukturprojekte im Gegensatz zur Privatwirtschaft durch die gesetzlichen Vergabebedingungen stark an das Projekt gebunden ist. Darüber hinaus muss natürlich bedacht werden, dass bei einem Stopp großer Infrastrukturprojekte, wie Flughafen Berlin-Brandenburg oder eben Stuttgart 21, auch der damit ursprünglich gewollte Ausbau und die Ertüchtigung der Infrastruktur nicht erfolgt. Schließlich gab es einmal gute Argumente, die für das Projekt gesprochen haben. Und in aller Regel gelten diese selbst bei langen Realisierungszeiträumen von zehn oder gar zwanzig Jahren fort oder werden sogar noch stärker. So ist allein in den vergangenen zwanzig Jahren der Güterverkehr auf der Bahn um 73 Prozent gestiegen und die Passagier­zahlen auf deutschen Flughäfen um 150 Prozent. Soll unser Land wettbewerbsfähig bleiben, brauchen wir auch weiterhin Großprojekte und wir brauchen sogar mehr! Allerdings müssen wir bereit sein, aus den unübersehbaren Pannen Konsequenzen für die künftige Umsetzung von Großprojekten zu ziehen. Das heißt: Wir müssen viel mehr Zeit und auch Geld in die Vorbereitung und Planung von Großprojekten investieren. Hier zu sparen ist fatal. Zudem sind öffentliche Auftraggeber auch gut beraten, die Bürger besser zu informieren und stärker zu beteiligen. Transparenz z. B. durch Vorerörterungstermine, Mediationsverfahren und Planungsdialoge erhöhen die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit. Hierzu gehört es auch, ein Bewusstsein für mehr Kostenehrlichkeit und -transparenz in Politik und Verwaltung zu entwickeln, damit das Vertrauen der Bürger erhalten bleibt. Für die konkrete Umsetzung können wir nur empfehlen, sich der Projektmanagement­kompetenz eines Generalunternehmers zu bedienen, vor allem wenn die Projektmanage­mentkompetenz auf Auftraggeberseite begrenzt ist. Auch die Einbindung ausführungs­bezogenen Fachwissens bereits während der Planungs­phase ist eine Chance, die Projekt­qualität zu verbessern. Für eine solche frühzeitigere Zusammenarbeit von Auftraggeber und Auftragnehmer sind kooperative Vertragsformen entwickelt worden, die jedoch in Deutsch­land noch viel zu selten eingesetzt werden. Hier hat die deutsche Bauindustrie mit Partnering-Modellen, wie sie im Ausland vielfach Anwendung finden, gute Erfahrungen gemacht. Auch Öffentlich Private Partnerschaften zeigen Wege, wie Zeitpläne und Budget eingehalten werden können. Mit anderen Worten: Großprojekte zu stoppen, ist kein Weg; wir brauchen aber dringend neue kooperative Formen der Zusammenarbeit auf deutschen Baustellen. RA Michael Knipper, geb. 1952, hat Rechtwissenschaften an der Universität des Saarlandes studiert und ist Rechtsanwalt mit Schwerpunkt öffentliches und privates Baurecht. Er hat Anfang der Neunzigerjahre den Bauindustrieverband Berlin-Brandenburg e. V. aufgebaut und geleitet. 1996 wurde er Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e. V.. Michael Knipper ist Vorstandsmitglied im Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen, im Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerbsrecht und er ist Kuratoriumsmitglied im Institut für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen sowie im Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München.
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Prof. Dr. Engelbert Lütke-Daldrup / 12.2.2013 / 19:53

Stadtplaner, Berlin

Jein ...

Obwohl es einzelne schlechte Großprojekte gibt, deren frühzeitiger Stopp sinnvoll gewesen wäre, sollten wir uns hüten, Großprojekte generell zu verteufeln. Große Projekte waren und sind wesentlicher Motor der Wachstums- und Umbauprozesse in unseren Städte. Die Konkurrenz der Standorte führte in vielen Städten zu vermehrten Anstrengungen, mit großen städtebaulichen Projekten im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Die Städte müssen die Chancen des Strukturwandels nutzen und ihre (Konversions-) Flächen entwickeln. Gleichzeitig müssen sie aber auch nach einer neuen Balance zwischen sozialem Ausgleich im Inneren und der auf internationale Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten Standortentwicklung suchen.In Deutschland steht eine neue Generation großer Städtebauprojekte – von der Hafencity in Hamburg, über die Messestadt München-Riem bis zum französischen Viertel in Tübingen – fur eine Renaissance der Stadt. Denn dort geht um städtische Vielfalt und soziale Heterogenität, um Umgang mit Geschichte und um gute Gestaltung. Diese Städtebauprojekte setzen sich in der Regel aus vielen kleinen Stadtbausteinen zusammen und sind deshalb anpassungsfähiger, als die eher monolithischen Großstrukturen einiger umstrittener großer Infrastrukturprojekte. Große Projekte können mit ihren Qualitäten Maßstäbe setzen, ihre Mängel fördern notwendige Lernprozesse.Dass es eine Renaissance großer Projekte gibt, ist unübersehbar. Kaum eine Stadt nimmt nicht die Herausforderungen und Chancen des Strukturwandels auf: Ehemals industriell oder militärisch genutzte Flächen, brachfallende Hafen- und Bahnanlagen, ehemalige Flughafenareale werden neu genutzt. Dort entsteht eine ganze Bandbreite unterschiedlicher und überwiegend erfolgreicher großer und kleiner Projekte.  Prof. Dr.-Ing. Engelbert Lütke Daldrup, Jahrgang 1956, ist Stadtplaner in Berlin. Er war zehn Jahre Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig (Stadtbaurat) und bis Ende 2009 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Berlin. Lütke Daldrup ist Honorar-Professor an der TU Berlin und an der Universität Leipzig sowie Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste. Zusammen mit Peter Zlonicky hat er 2009 das Buch: "Große Projekte in deutschen Städten"herausgegeben.
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Heiko Langanke / 12.2.2013 / 18:42

Unternehmer

Ja ...

Es bleibt in dieser Art Lobbyismus-Demokratie z.Zt. kaum eine andere Möglichkeit.Ob man es mag oder nicht, spielt da keine Rolle mehr.Egal welches Großprojekt man sich ansieht (S21, ElbPhli, BER, Elster-Verfahren [die völlig unzureichende Software kostete über 400 Mio. € und vernichtet mehr Geld als sie derzeit - trotz Steuerehrlichkeit der meisten Bürger - bringt] auch andere ...): in den Aufsichträten sitzen eitle und wahlkampforientierte Politiker, die sich im Ernstfall nicht verantwortlich sehen. Im guten Fall aber war es ihr vermeintliches Können. Und die Bürger sind die Schafe. Mähhhhh
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Lorenz Brugger / 11.2.2013 / 14:56

Diplom Ingenieur, Stuttgart

Jein ...

ja, es kann sinnvoll sein und nein, es passiert zu selten. Großprojekte, die bereits im Bau sind, werden auch fast immer auf Biegen und Brechen realisiert, siehe Elbphilharmonie oder auch der Flughafen Berlin. Das grundsätzliche Problem an Großprojekten ist ihre Dauer und ihre Unflexibilität auf geänderte Situationen zu reagieren. Ein Projekt wie Stuttgart 21, das vor über über 20 Jahren das erste Mal diskutiert wurde, kann natürlich aus heutiger Sicht nicht mehr ganz der Zeit entsprechen. Die letzten 20 Jahre haben unsere Welt grundsätzlich verändert, das Projekt S21 dagegen nur minimal, das Grundkonzept blieb dasselbe! Solche Großprojekte, vor allem wenn die politischen Entscheidungsprozesse ständig verändert weden und mögliche Widerstände einkalkuliert werden, können kaum eine wirtschaftlich stabile Chance auf Realisierung haben.Großprojekte scheitern also oft an ihrer Größe und Trägheit. Planer müssen heute Konzepte entwickeln, die flexibel genug sind, mehrere Jahrzehnte aktuell zu bleiben bzw. Planungen müssen her, die sowohl einen Stopp als auch jegliche finanzielle und zeitliche Verzögerung auffangen können! Heute wird ein Projekt berechnet. Die Zahl, die dabei herauskommt wird als fix angenommen und der Bevölkerung unterbreitet. Erst wenn Projekte, dann tatsächlich gebaut werden, kommen auch die finanziellen Probleme ans Licht. Aber da man ja schon angefangen hat, kann man doch jetzt nicht einfach aufhören, das geht doch nicht!! Der Mensch belügt sich selbst, um seine eigenen Fehler nicht zugeben zu müssen... Manchmal erinnern mich Großprojekte an die Antike oder das Mittelalter: trotz Widerstände und trotz hoher Verluste, welcher Art auch immer, wurden mit reiner Gewalt Monsterprojekte auf die Beine gestellt, völlig ungeachtet der menschlichen Verluste, der finanziellen Bedrohung oder der wirtschaftlichen Bedeutung! Heute sind zwar die Entscheidungsprozesse wesentlich komplexer geworden, die menschlichen Verluste gehen gen 0, trotzdem, sobald entschieden wurde, wird ungeachtet einer veränderten Situation gebaut. Eines wissen wir seit der Eskalation des Widerstandes gegen S21: Großprojekte werden in Zukunft wesentlich schwieriger akzeptiert werden, da die Grundskepsis an solchen Projekten sehr groß geworden ist. Nimmt man das Elbphilharmonie Desaster und die Katastrophe Berlin Flughafen dazu, kann man sich ausmalen, wohin die Grundstimmung weitergehen wird: lieber keine Großprojekte mehr machen. Und eine große, aktive Bürgerschaft kann nicht nur Großprojekte ins Wanken bringen und stoppen, sie kann Regierungen stürzen!Von daher müssen sich Architekten, Planer und die Entscheidungträger heute immer wieder die Frage nach dem Sinn ihrer Projekte stellen und die Bürger maßgeblich in die Entscheidungsprozesse mit einbeziehen bzw. auch mitentscheiden lassen. Politik und Bauherr stehen bei Großprojekten wie S21 in der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, die diese Projekte mitträgt und die massiven Veränderungen miterleben wird.
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Claus Leggewie / 10.2.2013 / 20:53

Kulturwissenschaftler

Jein ...

Pauschal gegen große Infrastrukturprojekte zu agitieren, ist eine populistische Attitüde – jeder Fall ist unter Kosten-Nutzen-Aspekten, unter ästhetischen wie unter ökologischen Gesichtspunkten für sich zu betrachten. Derzeit umstrittene Projekte haben gemeinsam, dass der angestrebte oder behauptete Nutzen den Kostenaufwand ganz offenbar nicht rechtfertigt, aber auch, dass der Zusammenfall einer immensen Komplexität mit fehlender Aufsicht und eklatanten Managementfehler die Kosten lachhaft in die Höhe getrieben hat. Sämtliche Planungsvorgänge müssen systemisch unter die Lupe genommen werden, nicht zuletzt, weil unter dem vieldeutigen Signum „Energiewende“ neue Großprojekte anstehen.Bei diesem aus ökologischen Gründen zwingenden Vorhaben droht ein neuer, technikgetriebener Gigantismus – ganze Wohnviertel werden verpackt, riesige Windparks an Land und auf der See errichtet, auf Verdacht Stromtrassen geschlagen. Dieser Aktivismus belegt ein mentales Infrastrukturproblem: Wir können uns nicht lösen aus der Pfadabhängigkeit einer technisch-industriellen Zivilisation, die ständig teurer wird und den ökologischen Fußabdruck permanent vergrößert. Exemplarisch ist die Infrastruktur der individuellen Auto-Mobilität, von der so gut wie alle Bereiche der Lebenswelt abhängen.Natürlich müssen Großprojekte effizienter werden. Aber generell lautet die Devise: Weniger ist mehr! Dazu gehören Dezentralisierung, Revisionsklauseln und mehr Bürgerbeteiligung bei den Vorhaben der „großen Transformation“. Claus Leggewie, geb. 1950, studierte Geschichte und Sozialwissenschaften in in Köln und Paris. Als Sozial- und Politikwissenschaftler war Claus Leggewie Professor an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland. Seit 2007 ist er Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts KWI in Essen, seit 2012 Co-Direktor des Käte Hamburger-Kollegs „Politische Kulturen der Weltgesellschaft“ an der Universität Duisburg-Essen und seit 2008 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Am KWI entsteht gerade ein Forschungsverbund zur Bürgerbeteiligung in der Energiewende.
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Benno Loderer / 10.2.2013 / 20:46

Stadtwanderer, Biel

Ja ...

Die Frage scheint mir falsch gestellt. Sind die einzelnen Grossprojekte sinnvoll? scheint mir sinnvoller. Leider beantworten diese Fragen meistens die Erfinder der Grossprojekte gleich selbst. Dass sie ihren Sinn darin finden, ist naheliegend. Sie treiben die Planung voran, wenn möglich bis zum Point of no Return. Denn sie wollen bauen. Das ist der wahre Sinn des Grossprojektes.Daher auch der Wille, die Probleme durch Bauen zu lösen. Möglichst viel Bauen. Das Suchen nach Alternativen ist ein Scheingefecht. Sie müssen schon ganz am Anfang mit Expertisen und Geldzählen „wissenschaftlich“ ausgeschlossen werden. Es gilt der Grundsatz: Das teuerste Projekt ist das Beste, warum sonst wäre es so teuer?Die Gegner schlafen. Sie erwachen erst, wenn für die Planer und Politiker der Sinn längst feststeht. Das hat System. Möglichst lange vage bleiben, möglichst lange nur von Planung und naher Zukunft reden, möglichst keine schlafenden Hunde wecken. Dann alles als längst beschlossen und fertig präsentieren. Dann beleidigt sein, wenn die Hunde bellen und beissen.Jetzt geht es nicht mehr um den Sinn des Projektes, um seinen Nutzen und Aufwand, jetzt ist die Frage, ob man es stoppen dürfe. Selbstverständlich nicht, denn man hat ja darin schon so viel investiert. Die Planungsmaschine rechtfertigt sich durch die zurück gelegte Strecke, nicht durch ihr Ziel.   Darum ist meine Antwort: Es ist sinnvoll, Grossprojekte zu stoppen, wenn sie sinnlos sind. Benedikt Loderer, geb. 1945, ist „Stadtwanderer“ und lebt in Biel. Er studierte Architektur an der ETH Zürich, arbeitete als Architekt, an der Hochschule und als Journalist. 1988 wirkte er an der Gründung der Zeitschrift „Hochparterre“ mit, Chefredaktor war er bis 1997. 2012 erschien sein Buch „Die Landsverteidigung“ – ein Plädoyer gegen die Zersiedelung der Schweiz.
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Klaus Selle / 10.2.2013 / 20:44

Professor für Planungstheorie und Stadtentwicklung, RWTH Aachen

Ja ...

... unbedingt! Wer ein Vorhaben verfolgt und erkennt, dass sich die Bedingungen geändert haben – etwa die Kosten steigen, unerwünschte Wirkungen sichtbar werden, Beteiligte ihr Interesse verlieren – wird innehalten und sein Projekt überdenken. Vielleicht wird es modifiziert oder gestoppt und durch ein ganz anderes ersetzt. Ein solches Verhalten wird man als klug bezeichnen, ein stures Festhalten an alten Absichten hingegen nicht.Warum sollte das, was im Alltagsleben gilt, nicht auch bei großen (Bau-)Vorhaben der Stadtentwicklung Geltung haben? Schließlich verdanken wir der Aufgabe von Projekten den Erhalt vieler historischer Altstädte und heute begehrter Gründerzeitviertel – sie alle wären durch Flächensanierungen, monströse Verkehrstrassen und andere Großvorhaben zerstört worden, hätte man die Realisierung der alten Pläne nicht irgendwann gestoppt. Das geschah allerdings weniger aus Klugheit. Ohne Bürgerwiderstand hätten sich diese Projekte nicht aufhalten lassen. Auch milliardenschwere Technologievorhaben – der Schnelle Brüter hier, die TransrapidBahn dort – wurden aufgegeben.Großprojekte lassen sich also stoppen. Die Antwort ist klar: Ja, selbstverständlich kann und wird es Situationen geben, in denen ein Abbruch »sinnvoll« ist und klug wäre…Warum also dann die Frage? Legt sie nahe, dass es Gründe gibt, an einem Projekt festzuhalten, obwohl man es nicht sollte? Könnten etwa Kostengründe einen Abbruch »sinnlos« machen? Schließlich ist das ein zentrales Argument der Projektbetreiber: Ein Stopp würde zu viel Geld kosten… , der wirtschaftliche Schaden, der durch Nichtfertigstellung entstünde, sei zu erheblich… Das kommt einem bekannt vor: Wurde nicht so auch die öffentliche Intervention zur Rettung »systemrelevanter« Banken begründet? Sie seien »too big to fail« hieß es, zu groß, um Scheitern zu dürfen. Also griff man in die Staatsschatulle. Und beteuerte zugleich, dass man solchen Entwicklungen in Zukunft vorbeugen müsse – durch Zerschlagung der Banken, auf dass sie auch einmal scheitern können.Das ist lehrreich: Ein Projekt das zu groß ist, um scheitern zu können, ist demnach ein schlechtes Projekt.Aber wann kann man ein Projekt stoppen? Jederzeit, lautet die Antwort, aber es wird von Tag zu Tag schwieriger. Ein Mitglied des »inner circle« der Weltausstellung in Hannover hat das einmal so umschrieben: »Inzwischen ist das Projekt ziemlich unabhängig geworden von den Menschen, die es einmal in die Welt gesetzt haben. Einem Elefanten ähnlich stampft es weiter und lädt mit einer eleganten Bewegung seines Rüssels auf seinen Rücken, was sich ihm in den Weg stellt«. Das hat viele Gründe: Planungs- und Genehmigungsverfahren werden in Gang gesetzt, die ihre eigene unerbittliche Konsequenz haben. Institutionen, die das Projekt steuern, entstehen und entfalten ihrerseits eine Eigendynamik. Verträge werden unterschrieben und binden die Akteure. Und nicht zuletzt entstehen mit jedem Tag Kosten, die sich schnell zu siebenstelligen Vorausinvestitionen addieren.Auf die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt gibt es also nur eine Antwort: So früh wie möglich. Am besten vor Projektstart. Hier ist das »Ob« eines Projektes ergebnisoffen und auf der Grundlage umfassender Information zu erörtern und zu beschließen. Später dann das »Wie« auf ähnliche Weise. Auch hier wäre noch einmal eine Sollbruchstelle.Von einer solchen politischen Kultur im Umgang mit Großprojekten sind wir aber in Deutschland sehr weit entfernt. Erst wenn sich das ändert wird es auch »richtige« Zeitpunkte geben, um ein Vorhaben zu stoppen. Prof. Dr. Klaus Selle studierte 1969-1974 Architektur mit dem Studienschwerpunkt Städtebau an der RWTH Aachen, war 1975-1987 wissenschaftlicher Assistent und Oberingenieur am Lehrstuhl Städtebau und Bauleitplanung (Peter Zlonicky) / Fachbereich Raumplanung der Universität Dortmund, Promotion und Habilitation. 1987–2001 Hochschullehrer am Fachbereich Landschaftsarchitektur und Umweltentwicklung der Universität Hannover; seit April 2001 Lehrstuhl Planungstheorie und Stadtentwicklung, RWTH Aachen. Mitgründer von WohnBund und WohnBundBeratung NRW GmbH, 1988–2001 Bürgerbüro Stadtentwicklung Hannover, berät seit den 90ern Kommunen und Verbände. Einer seiner Arbeitsschwerpunkte liegt auf der kommunikativen Gestaltung von Planungsprozessen und kooperativer Projektentwicklung.
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Ursula Baus und Christian Holl / 2.3.2013 / 16:28

frei04, Gastredaktion dieser Debatte

Jein ...

 

Resümee

 

Die Aktualität des Themas „Großprojekte“, das seit Beginn der bkult-Debatte am 11. Februar 2013 täglich in allen Zeitungen, Fernsehnachrichten und Agenturmeldungen Toppositionen besetzte, veranlasste die bkult-Redaktion dazu, die Debatte von zwei auf drei Wochen auszuweiten. Genau der richtige Zeitpunkt, ein Resümee zu ziehen. 19 Hauptbeiträge, 10 fundierte Kommentare auf der bkult-Website, Daumen-raufs und Daumen-runters und "Likes" en masse  bei Facebook  – die Großprojekte haben ein Interesse an Baukultur in allen gesellschaftlichen Kreisen geweckt, das dezidiert über die Kostenexplosionen wachgerufen worden ist. Genereller Tenor: Probleme sind politischen Kreisen anzulasten, die sich im Vorfelde jedes Großprojektes in Schönrechnerei und -rednerei üben.

Es wurde betont, dass der dramatische Verlauf von Großprojekten nicht primär unseren Ingenieuren und Planern anzulasten ist. Diese arbeiten in der Regel gut und zuverlässig. Die Dramatik nimmt aber ihren Lauf, wenn sich das politisch Schöngeredete (=Billiggeredete) bautechnisch nicht vernünftig umsetzen lässt. Dazu erreichte uns auch ein Hinweis, der nach europäischen Regelungen rief.

Alle Diskussionsbeiträge „pro“ Großprojektabbruch hoben argumentativ auf diese Diskrepanz zwischen politischem Kalkül und technischer Machbarkeit ab. Ein Abbruch eines Großprojektes wird dort für sinnvoll erachtet, wo ein vernünftiges Abwägen aller Vor- und Nachteile – also auch ein Vergleich von Äpfeln und Birnen – einen klaren Schluss rechtfertigt. Das Argument benennen auch die allermeisten Gegner des Projektabbruches, genauer gesagt: sie sprechen es im Sinne einer Verfahrensverbesserung an, um in Zukunft Scherereien zu vermeiden.

Zur Gretchenfrage mausert sich deswegen bei Großprojekten über die Landesgrenzen hinaus der Aspekt der Verfahrenstransparenz. In Demokratien reden bei Großprojekten nun einmal viel mehr Beteiligte und Betroffene mit als in autoritären Staaten. Die Demokratie einzuschränken, um Großprojekte zügig durchziehen zu können: So weit geht jedoch niemand. Vielmehr dominiert eine gewisse Ratlosigkeit in der Frage, wie Transparenz und auch Flexibilitäts- und Alternativfaktoren in effiziente Verfahren integriert werden können. Weltweit wird das Scheitern deutscher Großprojekte nicht den deutschen Technikern angelastet – was gern im Sinne eines Renommee-Verlustes behauptet wird –, sondern der Komplexität der Verfahren. Die gilt es zu analysieren und entsprechend differenziert zu strukturieren.

Die vermeintliche Angst der Deutschen vor dem „Großen“ kam genauso zur Sprache wie die Kritik am fortschrittsgläubigen Wachstumsdogma. Oder die Notwendigkeit, unsere gesamte Infrastrukturmodernisierung und die Energiewende als Großprojekt zu begreifen und dafür neue Strukturen zu entwickeln. Oder der Hinweis auf Fälle, in denen der Abbruch sich als richtig erwiesen hat.

Ein bemerkenswertes „Nein“ kam aus einer unerwarteten Ecke: Der Historiker argumentierte mit einer „langue durée“, der wir den Petersdom mit seiner desaströsen Entstehungsgeschichte verdanken.

Dass es bei der Großprojekte-Frage nicht um „Ja“ oder „Nein“, sondern um das „Wie“ geht, darf man als Konsens der Debatte betrachten. Aber das Bkult-Journal der BSBK hat sich nun einmal der „Ja-Nein-Jein“-Fragekultur im Sinne des „Gefällt-mir“ - „Gefällt-mir-nicht“ fest verschrieben. Ja! meinten 73%, Nein! 27%.

Eine andere Debatte fängt also gerade erst an: Was können Großprojekte zur Erneuerung unserer Demokratie beitragen?

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