"Kann es sinnvoll sein, Großprojekte zu stoppen?"
Ja! 76%
Nein! 24%
Foto:Christian Holl
Es rumort in Hamburg, Köln, Berlin-Brandenburg und Stuttgart: Nicht allein Verteuerungen der Elbphilharmonie, der neuen U-Bahn-Linie, des neuen Flughafens und vom Bahnhof Stuttgart 21 verdrießen die Menschen. Bei manchen Großprojekten zweifeln sie an deren Sinn, an deren Konzeption, an deren Tauglichkeit für eine sich ändernde ländliche oder städtische Umgebung. Es stellt sich auch die Frage, ob Aufwand und Nutzen des jeweiligen Großprojektes überhaupt in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen. Und es schließt sich die Frage an, wie die Dynamik von Großprojekten zu entwickeln und zu nutzen ist, damit sie in bestimmten Phasen noch änderbar oder reversibel sind.Die konkreten Beispiele verdeutlichen dies. Der Elbphilharmonie in Hamburg fliegen die Herzen der Architekturkritiker, der Hamburger, der Musiker, der Touristen zu. Also: So schnell es geht fertig bauen, koste es, was es wolle?
Kölns neue U-Bahn-Linie ließ nicht nur das Stadtarchiv einstürzen, sondern verursacht mit Bahnen bei üblicher Fahrgeschwindigkeit möglicherweise auch Schäden am Dom. Also: Sofort abbrechen, für das bislang Gebaute eine sinnfällige Nutzung suchen – aus die Maus.
Der neue Hauptstadt-Flughafen ist auf nicht absehbare Zeit weder genehmigungsfähig, noch mit neuen Landebahnen erweiterbar. Also: Eine kreative Umnutzung finden und einen neuen Flughafen mit professioneller Projektsteuerung, notwendiger Bürgerbeteiligung, transparenten politischen Entscheidungen komplett neu beginnen.
Stuttgart 21 erweist sich vor eigentlichem Baubeginn als Fass ohne Boden, nach Planungsjahrzehnten stellt sich heraus, dass der Bahnhof ungeeignet für die Adaption an heutige Bahntechnik und städtische Mobilitätssysteme ist. Also: Sofort aufhören, konsequent und mit professionellem Management den noch vorhandenen Bahnhof in einem Maße ertüchtigen, in dem er neuer Mobilität angepasst werden kann.
Es wird erkennbar werden, dass Großprojekte nicht alle über einen Kamm geschoren werden dürfen. Manche sind bautechnisch zu riskant (Köln und vielleicht Stuttgart), politisch entschiedene Fehlgeburten (Berlin, Stuttgart), zu ambitioniert begleitete Verfügungsmasse (Hamburg und wohl auch Berlin). Als Problem erweist sich so oder so die Eigendynamik von Großprojekten mit bürokratischen, wirtschaftlichen und haftungsrechtlichen Folgen, die scheinbar nicht beherrschbar sind.
Von dieser Eigendynamik profitieren die Bauwirtschaft, zunächst auch die Planer, einige Juristen sowie Politiker, die mit Visionen begeistern wollen, ohne wirklich Verantwortung übernehmen zu müssen. In ihr manifestiert sich auch, dass nicht nur die politische Vernunft systemisch der Macht von Wirtschaftsinteressen unterliegt.
Deshalb fragen wir: Kann es sinnvoll sein, Großprojekte zu stoppen?
Die Gastredaktion dieser Debatte übernahm frei04 publizistik. Ursula Baus, Christian Holl und Klaus Siegele gründeten 2004 in Stuttgart die Partnerschaftsgesellschaft frei04 publizistik für die Themengebiete Architektur, Städtebau und Bautechnik. Petra Bohnenberger und Simone Hübener kamen als "Freie" zu uns "Freien". Uns motiviert die Verantwortung, die man in freier Publizistik wahrnehmen kann. Eine vielfältige Interpretation des Wertes, den Architektur und Stadt für unser Leben haben, wird von uns informativ und kritisch begleitet.
Unter www.frei04-publizistik.de finden Sie weitere Informationen und Links zum Thema „Großprojekte“.
frei04 publizistik ist seit Juni 2005 redaktionell für den "Bau der Woche" und das "eMagazin" des Internetportals www.german-architects.com verantwortlich.
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Pauschal gegen große Infrastrukturprojekte zu agitieren, ist eine populistische Attitüde – jeder Fall ist unter Kosten-Nutzen-Aspekten, unter ästhetischen wie unter ökologischen Gesichtspunkten für sich zu betrachten. Derzeit umstrittene Projekte haben gemeinsam, dass der angestrebte oder behauptete Nutzen den Kostenaufwand ganz offenbar nicht rechtfertigt, aber auch, dass der Zusammenfall einer immensen Komplexität mit fehlender Aufsicht und eklatanten Managementfehler die Kosten lachhaft in die Höhe getrieben hat. Sämtliche Planungsvorgänge müssen systemisch unter die Lupe genommen werden, nicht zuletzt, weil unter dem vieldeutigen Signum „Energiewende“ neue Großprojekte anstehen.
Bei diesem aus ökologischen Gründen zwingenden Vorhaben droht ein neuer, technikgetriebener Gigantismus – ganze Wohnviertel werden verpackt, riesige Windparks an Land und auf der See errichtet, auf Verdacht Stromtrassen geschlagen. Dieser Aktivismus belegt ein mentales Infrastrukturproblem: Wir können uns nicht lösen aus der Pfadabhängigkeit einer technisch-industriellen Zivilisation, die ständig teurer wird und den ökologischen Fußabdruck permanent vergrößert. Exemplarisch ist die Infrastruktur der individuellen Auto-Mobilität, von der so gut wie alle Bereiche der Lebenswelt abhängen.
Natürlich müssen Großprojekte effizienter werden. Aber generell lautet die Devise: Weniger ist mehr! Dazu gehören Dezentralisierung, Revisionsklauseln und mehr Bürgerbeteiligung bei den Vorhaben der „großen Transformation“.
Claus Leggewie, geb. 1950, studierte Geschichte und Sozialwissenschaften in in Köln und Paris. Als Sozial- und Politikwissenschaftler war Claus Leggewie Professor an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland. Seit 2007 ist er Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts KWI in Essen, seit 2012 Co-Direktor des Käte Hamburger-Kollegs „Politische Kulturen der Weltgesellschaft“ an der Universität Duisburg-Essen und seit 2008 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Am KWI entsteht gerade ein Forschungsverbund zur Bürgerbeteiligung in der Energiewende.
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