Causa Cardillo: "Geht’s noch ohne Hochstapelei?"
Ja! 50%
Nein! 50%
Ellipse 1501 House, Antonino Cardillo architect 2007
2010 hat die Zeitschrift H.O.M.E. im Rahmen eines 11-seitigen Berichts ein Wohnhaus eines jungen italienischen Architekten in Spanien veröffentlicht. Entwurfsverfasser und Fotograf ist darin Antonino Cardillo, ein 37 Jahre alter römischer Architekt, der zuvor außerdem in der Zeitschrift Wallpaper zu einem der 30 wichtigsten jungen Architekten gekürt worden war. Er hatte zahlreiche Medien erfolgreich mit seinen Entwürfen versorgt, wie die umfangreiche Liste der Veröffentlichungen auf seiner Website zeigt. Jedoch handelte es sich bei den Abbildungen um perfekte photorealistische Animationen. Im Mai hat der Wiener Falter mit „Schöner Klonen“ (Peter Reischer) dann den großen Bluff thematisiert. Im August griff der Spiegel die Story auf und konfrontierte Cardillo direkt mit den Täuschungsvorwürfen. Weitere Presseartikel sowie Diskussionen im Netz folgten. Besprochen wurde Cardillo dabei in der Regel immer nur als Person – als Felix Krull (Spiegel) oder „Meister der Illusionen“ (NZZ) – nie jedoch als System.
Dabei hält Cardillo, der alle diese Presseberichte akribisch auf seiner Website aufführt, den Architekturmedien doch nur den Spiegel vor und verweist auf ein grundlegendes Problem: Wie sollen junge Architekten an einen Bauherren geraten, ohne vorher veröffentlicht zu haben? Solange aber noch nichts Gebautes vorzuweisen ist, ist auch keine Veröffentlichung in Sicht. Ein Teufelskreis, der nur mit geschickter Hochstapelei oder – professionell formuliert – mit PR-Talent durchbrochen werden kann. Dabei kommt dem tektonischen Präkariat um Cardillo & Co eine denkwürdige Schizophrenie der Architekturpresse zu Pass: Während die meisten Zeitschriften heute nur noch realisierte Projekte veröffentlichen wollen, halten sie eine Originalberichterstattung immer öfter für überflüssig. Statt Autoren dafür zu bezahlen, sich die Gebäude anzuschauen, um sie auch aus der eigenen Erfahrung authentisch besprechen zu können, fabrizieren viele Redaktionen Artikel rein aus Pressemeldungen der Architekten und dem von ihnen mitgelieferten Bildmaterial. Aber weil Fotografen heute oft nicht mehr analog fotografieren, ist ihr Produkt genauso digital wie die Renderdatei eines Architekten.
Und genau diese Sollbruchstelle zwischen realer Repräsentation und virtueller Antizipation von Architektur hat sich Cardillo zunutze gemacht. Eine weitere Variante des Profi-Bluffs ist die Methode, sich mit all seinen Freunden unter einem Label zusammen zu schliessen, sämtliche (Studien-)Projekte auf eine Website zu stellen und sich so als global-Player zu präsentieren. Selbstverständlich gehörte es immer schon zum Geschäft der Architekten, sich als größer darzustellen, als man ist. Gebäude wie der Flughafen Tegel oder das Fernsehstudio VPRO wären sonst nie gebaut worden, und die betreffenden Architekturbüros hätten womöglich eine ganz andere Entwicklung genommen. Doch macht die Causa Cardillo deutlich, dass sich die Situation verschärft hat: Welche Umstände zwingen heute Architekten dazu, sich ein derart aufwändiges Blendwerk aufzubauen? Sollte Cardillio etwa gar als Branchen-Märtyrer der jungen Generation gefeiert anstatt als armer Lügenbaron gescholten werden? Ist seine Data Morgana letztlich nicht einfach nur Notwehr angesichts der weitestgehend chancenlosen Berufssituation junger Architekten? Professioneller Ungehorsam als legitime Überlebenstaktik? In einem Wort: Geht’s noch ohne Hochstapelei?
PS: Die Redaktion hatten auch Antonino Cardillo eingeladen, sich hier mit einem Statement zu äußern. Er hat dies aber freundlich abgelehnt, da er die Diskussion nicht weiter beeinflussen möchte.
Jein ...
Nein ...
Ja ...
Ja ...
Jein ...
Ja ...
Jein ...
… man könnte es einfach und ausgewogen mit Kant halten und zwei Bewertungsmaßstäbe anlegen. Der moralische Maßstab würde ja sagen, da die Handlungen von Cardillo gegen die Wahrheit gerichtet sind, weil ein Profi sich an die Regeln halten sollte und er somit falsch und verachtenswert handelt. Eine ästhetische Bewertung könnte jedoch zu dem gegenteiligen Urteil kommen, ist die Handlung doch von einer gewissen Eleganz geprägt, welche sein Schaffen rechtfertigt. Nein, er hat es richtig gemacht, wahrscheinlich unbedarft und unbewusst, weil er doch eine Geschichte fortschreibt, einen Kanon, der für Architektur angemessen ist.
Architektur hat schon immer die Realität imitiert, mit der visuellen Wahrnehmung gespielt, um Inhalte zu vermitteln, die nicht real sind. Vor dem Aufkommen der Moderne in der Architektur und ihrer Rhetorik über konstruktive Ehrlichkeit hat Architektur über anspruchsvolle Repräsentationstechniken mit Illusionen gespielt. Donato Bramantes trompe l'oeuil in der Mailänder San Satiro Kirche von 1483 nutzt die Perspektive, um der weniger als ein Meter tiefen Apsis den Eindruck von Tiefe zu geben. In vielen seiner Villen im Veneto entwickelte Andrea Palladio ein konstruktives System, bei dem er gekrümmte Backsteine zur Errichtung von Säulen verwendete, die dann mit Hilfe eines marmorierten Putzes den Naturstein vortäuschen.
Die Realität heute verschwimmt zwischen digitalen Medien, Baukonstruktion und fachlicher Versicherung, und deswegen ist die Imitiation eben dieser Realität gleichermaßen vieldeutig. Cardillo hat die Repräsentationstechniken unserer Gegenwart gekonnt angewendet, auch wenn er damit keine sonderlich interessante Architektur produziert hat. Aber einmal in Zeitschriften gedruckt und über Blogs und Internetseiten verbreitet sind Cardillos Renderings nicht weniger echt als die aktuelle Shopping-Mall in Singapur oder das zuletzt in Dubai errichtete Theater. Auch wenn Bramante oder Palladio für Cardillo nicht als Referenzen gelten können und sein Coup zu einer zutiefst italienischen Kategorie der bildhaften Maskerade zählt, galt meine Sympathie schon immer dem findigen Gauner statt dem reichen ausländischen Touristen, der sich gerade ein Stück des Colloseum in Rom gekauft hat.
Fabrizio Gallanti, geb. 1969 in Genua, ist Architekt und gegenwärtig Associate Director of Programs am Canadian Centre for Architecture, Montréal, und betreibt den Blog Framing Ark.
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