„Ist Gentrifizierung wirklich sooo schlecht?“
Ja! 60%
Nein! 40%
Foto: dpa
Möglicherweise hätte das „BMW Guggenheim Lab“ dem Kreuzberger Standort an der Cuvrystraße, Ecke Schlesische Straße Hipness und damit die Aufwertung des Wrangelkiezes attestiert. Ein gelungener Presse-Coup war der Rückzug aus dem Gebiet aufgrund der Proteste und die Entscheidung, es am Pfefferberg anzusiedeln allemal.
Gentrifizierung ist der Inbegriff sozialer Ungerechtigkeit im urbanen Kontext. Die Kritik richtet sich gegen steigende Mieten und die folgende Verdrängung von alteingesessenen Bewohnern des betroffenen Stadtviertels. Sie kristallisiert sich nicht nur am „urbanen Wohnen“ im hochpreisigen Loft und Townhouse, auch Baugruppen sind mit der Schaffung von Wohneigentum in den Fokus der Gentrifizierungsgegner geraten. Auf der anderen Seite wird die Gentrifizierungskritik als konservative und entwicklungsfeindliche Bewegung dargestellt, deren Akteure sich mit dieser restriktiven Haltung gegen Veränderung stellen, die andere als eine Charaktereigenschaft von Stadt ansehen. Dabei sind Gentrifizierungsgegner meist selbst durch das von ihnen geschaffene kreative Milieu Ausgangspunkt von solchen Veränderungsprozessen.
Anscheinend verläuft die Grenze der Debatte mittlerweile quer zu den tradierten Klischees und den Bewahrern und Entwicklern: Ein CDU-Politiker ergreift Partei für eine schützenswerte Kneipenlandschaft und das Feindbild der Gentrifizierungsgegner, der Hausbesitzer, ist ein Migrant. Verkehren sich in der Gentrifizierunggsdebatte konservativ und progressiv? Wer ist gut und was ist böse und ist Gentrifizierung wirklich so schlecht?
Jein ...
Ja ...
Jein ...
Jein ...
Jein ...
Jein ...
Ich bin vor 15 Jahren an den Prenzlauer Berg in Berlin gezogen und so, wie der Stadtteil damals aussah, hatte er mit Sicherheit eine Aufwertung nötig. Die Sanierung war also gut, sie hat geholfen Bausubstanz zu erhalten und Wohnqualität erhöht. Gentrifizierung führt jedoch zu Segregation, das heißt zur Verdrängung einer gesamten Bevölkerungsschicht. Das ist schlecht, da Durchmischung für Großstädte essentiell ist. Ich halte es deshalb für problematisch, wenn die Stadt nicht mehr mitsteuert.
In Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg wurden innerhalb der letzten 15 Jahre etwa 75 Prozent der Bevölkerung ausgetauscht. Doch kaum jemand wird damit gerechnet haben, dass dieser Prozess so schnell voranschreiten wird. Diese Stadtteile sind weitläufig als Sanierungsgebiete ausgewiesen worden –mit dem Ziel, durch Steuerbegünstigungen die Sanierung zu fördern. Besonders doppelbödig war, dass dieses Konzept unter dem Titel „Soziale Stadterneuerung“ verbreitet wurde, adressiert an eine Bevölkerungsschicht, die Steuern in erheblichem Umfang abschreiben kann.
Es gibt aber auch so genannte Erhaltungsgebiete nach Baugesetzbuch: Das sind kleine Inseln, die die dort wohnende Bevölkerung unter Schutz stellt (für neue Gebäude spielt es keine Rolle, nur für den Bestand). In einem solchen Fall dürfen Architekten dann bei der Altbausanierung keine Aufzüge oder Balkone einbauen, denn eine solche Erhöhung des Standards würde zwangsläufig zu steigenden Betriebskosten bzw. Mieten und somit zur Verdrängung der Bewohner führen.
Es macht allerdings wenig Sinn, die Bevölkerungsgruppe, die die Verdrängung produziert hat, anzugreifen. Die Mittelschicht, die relativ viel arbeitet, gut verdient und dorthin zieht, wo sie wohnen möchte – das ist keinen Vorwurf wert.
Architekten haben nicht die Funktion, soziale Missstände zu korrigieren. Wenn sie das tun möchten, bewegen sie sich außerhalb ihres Fachbereichs – das ist lobenswert, hat aber nichts mit Architektur zu tun. Die Frage, wie man soziale Prozesse steuern kann, adressiert die Politik oder die Soziologie. Deshalb wäre es richtiger zu fragen: Was können die Kommunen und Länder beitragen, um eine sozial durchmischte Stadt zu gewährleisten? Die Stadt Berlin kann dies derzeit finanziell kaum leisten. Klug wäre es, wenn Berlin mittelfristig Grundstücke mit dem Ziel erwirbt, die soziale Durchmischung der Stadt zu verstärken oder vorhandene eigene Grundstücke hierfür strategisch einsetzt.
Sascha Zander, geb. 1968, ist Architekt. Er hat an der RWTH Aachen, der Bartlett School of Architecture in London und der Kunstakademie Düsseldorf studiert. 1999 gründete er mit Christian Roth das Architekturbüro Zanderroth in Berlin. Das Büro hat in Berlin mehrere Baugruppenprojekte realisiert. Ihr letztes Projekt Big Yard in der Zelter Strasse wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit dem Deutschen Architekturpreis 2011 ausgezeichnet.
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