"Ist die Zeit reif für eine Renaissance der Dörfer?"
Ja! 71%
Nein! 29%
Der Run auf die Metropolen hat zu einer absurden Schieflage geführt. Das Leben in der Großstadt gilt als hip, wird aber für immer mehr Menschen unbezahlbar. Unterdessen verfallen auf dem Land die Häuser. Leerstand und Abwanderung verdüstern so manches Ortsbild. Wer hier eine Immobilie verkaufen will, merkt mit Schrecken, dass die Nachfrage mau ist. Was vor zwanzig Jahren nach einer sicheren Altersversorgung aussah, zeigt sich nun als unverkäuflich. Die Schere zwischen Stadt und Land hat sich in den vergangenen Jahren rasant geöffnet. Volkswirtschaftlich eine groteske Schieflage, die nicht nur sozial, sondern auch im Hinblick auf die Baukultur zu schweren Verwerfungen führt.
Hohe Immobilienpreise in vielen Ballungsräumen blähen die Renditeerwartungen auf, die Renditeerwartungen treiben die Mieten, und die Mieten die Immobilienpreise. Angestachelt wird diese Dynamik von einer Finanzpresse, die ganz auf das Herdenverhalten setzt: “Wo sich der Kauf noch lohnt” (Handelsblatt-online) “Die neuen Top-Städte. Hier verdienen Sie mit Immobilien noch richtig Geld” (Focus) lauten Schlagzeilen, die den Trend zu perpetuieren versuchen. Doch verläuft die wirtschaftliche Entwicklung nicht stets zyklisch? Ist die Zeit reif für eine Rückkehr aufs Land?
Verstädterung war zwangsläufig zur Zeit der Industrialisierung. Im 20. Jahrhundert schlug mit steigendem Wohlstand das Pendel zurück: Es folgte eine Welle der Suburbanisierung. Jetzt, im Zeitalter der Digitalisierung und absehbarer Vollbeschäftigung (in Deutschland) aber ist geballtes Siedeln obsolet. Untersuchungen zeigen, dass in Ballungsräumen die Quote psychischer Erkrankungen und die Wahrscheinlichkeit von Überschuldung signifikant höher ist als auf dem Land. Und sprechen Trends wie der des Urban Gardening nicht von einer Sehnsucht nach Natur und Ursprünglichkeit?
Werden jene, die es sich leisten können, dem Schwitzkasten Stadt den Rücken kehren? Werden sie die bessere Lebensqualität auf dem Land den Belastungen der Ballungsräume vorziehen? Ist die Zeit reif für eine Renaissance der Dörfer?
Diese Debatte ist initiiert und gastkuratiert von Katrin Vetters. Die freie Journalistin und Autorin ist spezialisiert auf die Themenfelder Bauen, Immobilien und Energie. Sie ist überwiegend für den Südwestrundfunk tätig.
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„Laptop und Lederhose“ – wie schön sich so was sagt, und vor allem, wie leicht, und wie lässig das klingt. Diese von Altbundespräsident Roman Herzog geprägte Metapher bekräftigt seit dem Ende der 1990er Jahre auf spielerische Weise die Auffassung, in der Entwicklung Bayerns "vom Agrarland zum High-Tech-Staat" sei die Verbindung von Tradition und Moderne in besonderer Weise geglückt.
Seit geraumer Zeit wabbert in Bayern die schöne Formulierung: „Bayern – Stadt und Land, Hand in Hand“. So soll das Landesentwicklungsprogramm überall in Bayern für gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen sorgen – egal ob in München oder in Wunsiedel. Ziel, Bayern und seine Teilräume zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern, in allen Landesteilen gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen und zu erhalten. (http://www.stmwi.bayern.de/landesentwicklung/instrumente/landesentwicklungsprogramm/)
Da kommt der Ruf nach einer „Renaissance des Dorfs“ gerade recht. Verschwindet doch unwiederbringlich das Dorf, an das anzuknüpfen geht, anzuknüpfen lohnt. Das Dorf mit seinen dörflichen Strukturen und den alteingesessenen Geschäften, lebendigen Dorfzentren und idyllischen Verkehrsaufkommen. Das Dorf in unseren Erinnerungen, in unseren Bildern, das Dorf als Kulturgut. Es ist eine Chimäre, der wir nachjagen, ein Wunschbild, eine Projektion, der wir anhängen und mit der wir uns (gerne und bereitwillig) in den Medien rauf und runter einlullen lassen. Landliebe, Landleben, Landlust – mit allen Sinnen, wie von Sinnen. Fluchtpunkt Dorf. (http://www.zeit.de/2011/23/Landlust-Landfrust)
Hand aufs Herz! Wo finden wir die, beim Stau raus aus den großen Siedlungsbreis München, Nürnberg-Fürth-Erlangen und Augsburg, wenn wir uns Stoßstange an Stoßstange durch die Dörfer von Ampel zu Ampel quälen, vorbei an all den heimeligen 0815-bajuwarisierenden Schmusehäuschen und den schmuck aufgebretzelten, aber längst ihrer ursprünglichen Funktion beraubten Dorfmitten. Bei der mühevollen Parkplatzsuche, beim endlosen Warten im Gasthof zur Post oder im Biergarten, beim Frust vor der Rückfahrt, beim Stau wieder nach Hause, beim Schimpfen, beim schalen Nachgeschmack, nächstes mal machen wir was anderes. Da gehen wir an die Isar, wozu in der Ferne schweifen, wenn das schöne so nah ist. Home is, where my heart is.
Im Ernst: Das Erscheinungsbild bayerischer Dörfer hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Mit dem anhaltenden Strukturwandel in der Landwirtschaft gehen leerstehende Gebäude, Nutzungsänderungen und Umstrukturierungen der dörflichen Bausubstanz einher. Schnell wachsende Neubaugebiete und bauliche Veränderungen an bestehenden Gebäuden integrieren sich oft nur wenig in die historisch gewachsenen Strukturen. Die neue Bebauung, häufig vom Geschmack »modischer Trends« geprägt, überholt sich sehr schnell. (http://www.bda-bayern.de/aktuelles/meldungen/artikel/2013/06/22/bavaria-quo-vadis.html)
Vorschlag: Das Erscheinungsbild unserer Dörfer wird sich weiterhin dramatisch verändern. Deshalb kommt der qualifizierten Planung von alltäglichen Bauvorhaben immer mehr Bedeutung zu. Maßstab dabei Nachhaltigkeit, die ökonomischen, ökologischen und sozialen/kulturellen Belange endlich gleichrangig zu berücksichtigen und miteinander konsequent in Einklang zu bringen. Sonst wird aus Landlust ganz schnell Landfrust.
Jan Esche, geb. 1957, Dr. phil., Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Politologie an der Universität Hamburg. 2007 Gründung Esche | Kommunikation, München. 1993 - 2007 Kommunikation und Marketing Architekten gmp von Gerkan Marg und Partner, Hamburg, Ingenhoven Overdiek Architekten, Düsseldorf, RKW Rhode Kellermann Wawrowsky Architektur + Städtebau, Düsseldorf, Henn Architekten, München, 2008-2012 Objektleitung Design Süddeutscher Verlag onpact, München. Seit 2005 Lehraufträge für Kommunikation und Verbale und Visuelle Rhetorik an der Fachhochschule Salzburg, an der Hochschule Weihenstephan und an der Hochschule München. Seit 1988 Veröffentlichungen zu Architektur, Design, Städtebau und Denkmalschutz. (www.jan-esche.de)
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