"Brauchen wir noch IBAs?"

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Seit über hundert Jahren gibt es Internationale Bauausstellungen, doch ihre Attraktivität scheint ungebrochen. Gleich vier deutsche IBAs sind derzeit in Planung oder realisiert. Doch zugleich ist dieses Instrument der Stadtplanung in Fachwelt und Bevölkerung hoch umstritten. Das zeigt sich in besonderer Weise an der aktuell laufenden Bauausstellung in Hamburg-Wilhelmsburg: Die einen sehen in ihr den erfolgreichen Versuch, einen allumfassenden Wandel in einem abgehängten Stadtteil einzuleiten. Die anderen geißeln sie als staatlich gelenkte Urbarmachung eines attraktiven, aber stigmatisierten Stadtbereichs für Spekulanten und Investoren. Die Befürworter sehen in dieser IBA 2013 eine Bauausstellung neuen Typs, die weniger auf Architekturspektakel setzt und stattdessen mit innovativen Maßnahmen in den Bereichen Soziales, Bildung, Kultur und Nachhaltigkeit in Abstimmung mit den Bürgern eine integrierte Stadtentwicklung betreibt. Die Gegner hingegen kritisieren eine thematische Beliebigkeit und halten die Bürgerbeteiligung für vorgeschoben – letztlich werde hier Stadtplanung im Zeichen des Neoliberalismus gegen die Interessen der Einwohner betrieben und die soziale Spaltung verschärft. Auch bei den Befürwortern auf der Elbinsel bleibt die Angst, dass lediglich ein einmaliges Feuerwerk abgebrannt wird und die Stadt nach dem Ende der IBA Wilhelmsburg wieder sich selbst überlässt.

 

Die IBA Hamburg zeigt: Es muss diskutiert werden. Werden IBAs austauschbar und inflationär? Lassen sich Stadtentwicklungsprozesse nur noch mit dem Ausnahmezustand Bauausstellung vorantreiben, um dicht gewachsene Regelwerke zu lichten und genügend staatliche und private Gelder freizusetzen? Sind die Ziele heutiger IBAs – Verbesserung von städtischer Infrastruktur, von Wohnmöglichkeiten und Bildungschancen, das Vorantreiben des energetischen Wandels etc. – nicht ohnehin Pflichtaufgaben von Kommunen und Ländern und müssten im Rahmen der Stadtentwicklung behandelt werden? Ist der internationale Anspruch einer IBA gerechtfertigt oder ist die globale Relevanz lokaler Fragestellungen nicht eine Fiktion? Führt die heute unumgängliche Einbindung privater Investoren und Projektentwickler dazu, dass IBAs wenig Visionäres und vor allem Marktgängiges produzieren? Und: Was bleibt, wenn die Fördertöpfe geleert, die Projektgesellschaften abgewickelt und die Kameras abgebaut sind? Kurzum: Brauchen wir überhaupt noch IBAs?

 

 

Gastredakteur dieser Debatte ist Claas Gefroi
Geb. 1968 studierte Claas Gefroi Architektur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hamburgischen Architektenkammer, Redakteur des „Jahrbuch Architektur in Hamburg“ und freier Architekturjournalist. Gefroi ist außerdem Mitglied der Kunstkommission der Behörde für Kultur, Sport und Medien Hamburg.



 

Reiner Nagel / 26.6.2013 / 9:42

Architekt und Stadtplaner, Berlin und Potsdam

Ja ...

… aber nur wenn wirklich IBA drin ist! Dafür sind zwingend eine tatsächliche Gestaltungs- und Bauaufgabe und ein relevanter Handlungsrahmen erforderlich. Das Ergebnis einer IBA zielt auf experimentelles Bauen und vermittelnde Präsentation. Allgemeine und breit angelegte Dialoge über die Zukunft der Stadt können auch ohne IBA‘s geführt werden. Sie müssen es sogar, denn sie sind eher ein Regel- denn ein Ausnahmezustand auf Zeit. Reiner Nagel, geb. 1959, hat nach dem Architekturstudium in Hannover und dem Städtebaureferendariat in Hamburg ab 1986 in verschiedenen Funktionen auf Bezirks- und Senatsebene für die Freie und Hansestadt Hamburg gearbeitet, zuletzt ab 1998 in der Geschäftsleitung der HafenCity Hamburg GmbH. Von 2005 bis April 2013 war er Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin für die Bereiche Stadtentwicklung, Stadt- und Freiraumplanung. Seit Mai 2013 ist Reiner Nagel Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur.
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Claas Gefroi / 24.6.2013 / 13:50

Gastredaktion BKULT

Jein ...

Resümee„Ja, aber“ – mit dieser Antwort lässt sich die dreiwöchige Diskussion der Frage „Brauchen wir noch IBAs?“ recht gut zusammenfassen. Auffällig ist, dass vor allem Hamburger Fachjournalisten und Autoren das Instrument Internationale Bauausstellung grundsätzlich in Frage stellten. Ganz offensichtlich ist hierfür der kritische Blick auf die aktuelle IBA in Hamburg-Wilhelmsburg der Auslöser. Sie leide, so der Architekturkritiker Dirk Meyhöfer, unter einer Eventisierung und ihre Projekte seien wenig innovativ. Auch sei zweifelhaft, ob ihren lokalen Lösungen internationale Relevanz besitzen. Seine Empfehlung: Statt Geld in IBAs zu stecken sollte man besser die geschwächten Planungsämter stärken. Für Christoph Twickel, Journalist und Aktivist der „Recht auf Stadt“-Bewegung, sind IBAs ohnehin einzig Stadtmarketingmaßnahmen, die im Zeitalter der Metropolenkonkurrenz dazu dienten, Investoren anzulocken und Stadtgebiete aufzuwerten. Den wirklichen Herausforderungen der Stadtentwicklung - Großsiedlungen, lokale Ökonomie, neue Genossenschaftsmodelle, Segregation der Städte – stellten sie sich nicht. Gert Kähler wiederum moniert die überbordende Themenfülle der Hamburger IBA und fragt, ob ohne IBA entwickelte Großprojekte wie die „Neue Mitte Altona“ denn so viel schlechter seien. Auch Julian Petrin weist auf das Problem inhaltlicher Beliebigkeit heutiger Bauausstellungen hin und fordert eine stärkere thematische Eingrenzung: „Es muss eine Fokusaufgabe geben. Etwas, das der zwingende Auslöser ist und für das der IBA-Ort in ganz herausragender Weise steht.“ Andere sehen das deutlich optimistischer. Christa Reicher betont die Chancen, die der „Ausnahmezustand auf Zeit“ während einer IBA bietet: Der Laborcharakter „befördere das Experiment und ermutige, das scheinbar Unmögliche zu denken und zu erproben“ – eine Sichtweise, die auch von den IBA-Machern Engelbert Lütke Daldrup, Michael Braum und Uli Hellweg geteilt wird. Michael Braum und Till Briegleb weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Erprobung neuer, origineller Konzepte nur bei einer größtmöglichen Unabhängigkeit der IBA-Verantwortlichen möglich sei – „möglichst unbefangen von städtischen Planungsroutinen und alten Kameradschaften“ (Briegleb). Viele Kommentatoren betonen die Schwierigkeit, die verschiedenen teilnehmenden Parteien einer IBA unter einen Hut zu bekommen: Cordelia Polinna von der Initiative „Think Berl!n“ betont, eine IBA müsse „eine Balance finden zwischen der Einbindung gesellschaftlicher Bewegungen und Initiativen von unten, privaten Akteuren aus „der Wirtschaft“ sowie der Verwaltung, zwischen künstlerischen oder bürgerorientierten Ideenfindungsprozessen und Fachwissen, zwischen Kulturevent und professioneller Auseinandersetzung.“ Julian Petrin nennt noch eine weitere Bedingung für den Erfolg von Stadtentwicklung mit den Mitteln einer IBA - der lange Atem: „Post-IBA ist mindestens so wichtig wie IBA selbst. Denn eine IBA kann in ihren wenigen Jahren kaum mehr als den politisch-programmatischen Boden bereiten und erste Symbole schaffen. Ob sich eine Stadt durch eine IBA tatsächlich und bleibend verändert, zeigt sich meist erst viel später.“ Starke Konzepte, Ausbalancierung der Interessen, Unabhängigkeit und langer Atem: Die Bedingungen für den Erfolg von Internationalen Bauausstellungen sind schwer und die Chance des Scheiterns ist hoch. Die Stadt Berlin wollte offenbar diese Last nicht mehr schultern: Noch während der laufenden Diskussion auf bkult meldeten die Zeitungen, dass die IBA Berlin 2020 mit Verweis auf die klamme finanzielle Lage abgesagt werde. Umso gespannter darf man sein, ob und wie die anderen IBA-Städte und –Regionen ihre Aufgabe bewältigen werden.
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Barbara Kuster / 22.6.2013 / 10:16

Ja ...

Beitrag / KommentarFür mich sind verschwundene Gebäude, die im Gedächtnis der Menschen noch vorhanden sind oder identitätsstiftend auf den Ort wirken nicht unwiederbringlich verloren!Es besteht meiner Meinung nach hier eine zwingende Berechtigung , sie zu rekonstruieren...und zwar mit höchstem Anspruch. 
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Rolf Kellner / 19.6.2013 / 13:54

Architekt und Stadtplaner, Hamburg

Ja ...

Ja, zur Planungsbeschleunigung und –konzentration, ja, als Infrastrukturverbesserung, ja, auch als Möglichkeit Diskussionen um Stadtentwicklung zu starten. Dafür sind IBAs unverzichtbar. Es gab und gibt andere lokale Planungsbeschleunigungs und –verdichtungs Maßnahmen. In Hamburg, unter der konservativen Regierung, war dies die „Architektur-Olympiade“ oder unter dem SPD Bürgermeister Voscherau das Anschieben der Hamburger HafenCity.Es gibt überall Ecken, Zonen und Quartiere in Städten, die nicht von alleine wieder auf die Beine kommen. Oft sind diese Gebiete zu Verfügungsräumen verkommen und warten bis zum sozialen Umfallen auf Veränderung.Beispielsweise direkt östlich an die HafenCity angrenzend: der Hamburger Stadtteil Rothenburgsort. Dort warteten die Bewohnerinnen und -bewohner 14 Jahre auf die Neugestaltung des „Marktplatzes“. Sie mussten miterleben, wie sich mangels Perspektiven und Veränderungsaussichten der Einzelhandel, die Post, die Banken, die Kirche, weiterführende Schulen und andere Einrichtungen aus dem Quartier zurückzogen, während zeitgleich direkt nebenan westlich, auf ehemaligem Hafengebiet, binnen zehn Jahren die neue HafenCity entwickelte. Keines der „klassischen“ Instrumente der Planung und Verwaltung schaffte es, die „Abwärtsspirale“ in Rothenburgsort aufzuhalten: nicht die Erklärung zum Sanierungsgebiet, nicht die Einzelhandelsbelebungstrategie, nicht die Einrichtung eines Stadtteilbeirates, der tapfer seine Arbeit verrichtet, nicht die Anreizsysteme für Wohnungsbaufirmen und Projektentwickler in Form von Befreiungen und günstigeren Konditionen beim Grundstückserwerb, bzw. Förderkredite.Ja, wir brauchen Internationale Bauausstellungen aber auch, weil ich die Hoffnung nicht aufgebe, dass über IBAs endlich neue, informelle Planungsinstrumente entwickelt und erprobt werden können. Stadtentwicklung kann für ungeduldige Bürger endlich schneller, skizzenhafter, tastender werden. Ich sehe hier große Entwicklungsperspektiven und -potentiale. Die Hamburger Urbanistengruppe „Spacedepartment“ hat passend dazu eines Ihrer Magazine, „Spacemag“, dem Thema „Gaffaurbanismus“* gewidmet. (hier im Sinne des bekannten Gaffaklebebandes gemeint, mit dem oft in „letzter Minute“ noch vor Veranstaltungen geflickt und gesichert werden kann, z.B. im Sinne der „Sofortstadt“ dem Motto der aktuell diskutierten Berliner IBA-Planung: Hauptstadt > Raumstadt > Sofortstadt.)Ein umfassenderes Instrument um Neues in die Welt zu bringen gibt es für Planende und Stadtgestaltende Kräfte nicht. Gäste der IBA, die ähnliche Formate in Ihren Heimatländern vermissen, bestätigen dies. Wir entscheiden nicht für uns allein, wir beeinflussen auch die Zukunft anderer. Es ist wichtig, zu lernen von vorne zurück zu denken, sich zu fragen, wie kommt das Neue in die Welt. IBAs dienen als Augenöffner und Beschleuniger und der Veröffentlichung von sonst hinter verschlossenen Türen diskutierten Themen. Dies öffnet überhaupt erst einen Raum für Dialoge und Erkenntnisse, aus denen Handeln resultieren kann.Rolf Kellner, 1970 geboren in Hamburg-Altona, Dipl.-Ing. Architektur und Stadtplanung, Gründer und Geschäftsführer der „überNormalNull kunst bauen stadtentwicklung GmbH“, Schwerpunkte in der Förderung und Entwicklung von Wohn-, Bau- und Hausgemeinschaften, der Projektentwicklung sowie Entwicklung von Nutzungskonzepten, Arbeit im soziokulturellem Stadtraum und Ausbau des sozioökonomischen Sektors, Projekte für Menschen mit migrantischem Hintergrund in benachteiligten Quartieren.
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Christa Reicher / 16.6.2013 / 18:05

Professorin für Städtebau, Dortmund

Ja ...

...auch wenn die kritischen Verweise auf die nahezu inflationäre Durchführung von Internationalen Bauausstellungen durchaus berechtigt sind. Alleine die Tatsache, dass sich viele Städte und Regionen für die Durchführung einer IBA entscheiden, ist ein Indiz dafür, dass wir nach wie vor auf der Suche nach erfolgversprechenden Formaten der Stadt- und Regionalentwicklung sind. Mit Blick auf die Probleme der Stadt von heute und morgen wird immer offensichtlicher, dass neue Strategien benötigt werden, insbesondere auch Kombinationen aus Bottom-up- und Top-down-Verfahren, die auf die spezifischen Herausforderungen in dem jeweiligen Planungsraum angemessen und effizient reagieren können. Viele IBAs haben genau das unter Beweis gestellt, indem sie langfristige Planungsvisionen skizziert und Beteiligungsprozesse vor Ort initiiert haben. Ein Ausnahmezustand auf Zeit - wie eine IBA - befördert das Experiment und ermutigt, das scheinbar Unmögliche zu denken und zu erproben. In solchen Laborsituationen werden neue Formen der Stadt- und Regionalentwicklung generiert. Das gemeinsam Erreichte ermutigt für weitere Prozesse. So hätte es im Ruhrgebiet ohne eine Internationale Bauausstellung Emscher Park keine Europäische Kulturhauptstadt Ruhr 2010 gegeben und das momentane „Schmieden“ an einer Klima-Expo 2020 würde sicherlich als absurde Idee abgetan. Jedes Experiment birgt die Gefahr des Scheiterns. Entscheidend sind jedoch die Wirkungsketten, die aus den IBAs resultieren, weniger der objektive Erfolg oder auch Misserfolg eines einzelnen IBA-Projekts. Wenn also IBAs nicht als erfolgreiche Planungsstrategien gelten würden, hätte dieses  deutsche Format wohl kaum den Einzug in den internationalen Kontext erfahren wie dies derzeit in der grenzüberschreitenden IBA Basel und im niederländischen Limburg geschieht. Prof. Christa Reicher, geb. 1960, studierte Architektur und Städtebau an der RWTH Aachen und der ETH Zürich. Sie leitet seit 2002 das Fachgebiet Städtebau, Stadtgestaltung und Bauleitplanung der Fakultät Raumplanung an der TU Dortmund. Von 2010 bis 2012 war sie Dekanin der Fakultät Raumplanung. Zuvor war sie von 1998–2002 Professorin für Städtebau und Entwerfen am Fachbereich für Architektur an der Hochschule Bochum. Seit 2010 ist sie Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats des BBSR. Sie ist Mitgründerin und Partnerin des Planungsbüros RHA – reicher haase architekten + stadtplaner.
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Engelbert Lütke Daldrup / 16.6.2013 / 15:16

Stadtplaner und Geschäftsführer der IBA Thüringen

Ja ...

 wenn die IBA konzentriert Neues wagt und den Anspruch ernst nimmt, grundsätzlich zu hinterfragen und modellhaft zu experimentieren. Internationale Bauausstellungen haben bei ausreichender politischer Rückendeckung und angemessener finanzieller Ausstattung die Möglichkeit, jenseits etablierter Werte, Normen und Standards neue Ideen zu generieren und Energien und Ressourcen zu fokussieren. Diese oft als ‚Ausnahmezustand auf Zeit‘ beschriebene Möglichkeit bietet die Chance, komplexe Wandlungsprozesse in baulich-räumlicher und gesellschaftlicher Dimension innovativ zu gestalten. In diesem Sinne versteht sich die gerade gestartete IBA Thüringen als ein ergebnisoffenes, zeitlich begrenztes Zukunftslabor. Die IBA sucht nicht nach schnellen Antworten und fertigen Lösungen, sondern versucht die „richtigen“ Fragen zu formulieren und innovationsauslösende Aufgabenstellungen zu entwickeln. Das Erforschen von räumlichen und thematischen Zukunftsfeldern muss in konkreten IBA Projekten nachvollziehbar werden. Das Internationale, das die IBA im Namen führt, ist Verpflichtung. Jede  IBA muss ihre Haltung aus dem Spannungsfeld von internationaler Strahlkraft und lokaler bzw. regionaler Einbettung entwickeln. Eine IBA verdient nur dann ihren Namen, wenn sie sich einerseits systematisch den Anregungen von außen öffnet und internationale Diskussionen und Lösungsmodelle in ihre Arbeit einbezieht und andererseits den Anspruch hat, auf international relevante Fragen Antworten zu formulieren. Prof. Dr.-Ing. Engelbert Lütke Daldrup, Jahrgang 1956, ist Stadtplaner und seit April 2013 Geschäftsführer der IBA Thüringen. Er war zehn Jahre Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig (Stadtbaurat) und 2006 bis 2009 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Berlin. Lütke Daldrup ist Honorarprofessor an der TU Berlin und an der Universität Leipzig sowie Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste.
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Dirk Meyhöfer / 11.6.2013 / 22:37

Architekturvermittler, Hamburg

Nein ...

Meine anfängliche Vermutung bestätigt sich: Wilhelmsburg in den Sinnzusammenhang mit International und Bauausstellung zu stellen, könnte schief gehen! Auch durch eine rosarote Hamburger Brille betrachtet, ist die IBA als Instrument für die Entwicklung eines „Inselstaats“ wie Wilhelmsburg nicht passgenau. Zwei Beispiele: Metrozonen (wie eines der drei Kernthemen der IBA genannt wird) sind Restflächen, haben oft auch Restriktionen zu erdulden und gelten erst einmal als zweite Wahl. Die aufwändigen Wohnbauten der IBA, die das ausgleichen sollen, erreichen die Wilhelmsburger Bürger nicht, sie sind zu teuer. Also muss es Subventionen geben, ob mit oder ohne IBA. Und Investoren, die andere Mieter und Käufer anwerben sollen. Macht eine 850.000 € Penthouse- Wohnung im Wood Cube Sinn? Zum Zweiten: Bauen im Klimawandel. Es ist zur Zeit fragwürdig, ob die Bauten der „Bauausstellung in der Bauausstellung“ den internationalen Diskurs wirklich bewegen können. Zur Erinnerung: Nullenergiehäuser waren z.B. in Dänemark schon in den 1970er Jahren als Experiment vorgestellt worden. Viele Dinge im stadtplanerischen und städtebaulichen Maßstab allerdings (z.B. der Zusammenklang zwischen IBA und igs), also eine innovative Freiraumpolitik auch für einen von Hafen, Hochwasser und Industrie geschundenen Stadtteil zu definieren, halte ich im Ergebnis für angemessen. Niemand benötigt aber eine IBA dazu, weil das Instrument IBA zu sehr unter den Regeln eines Großevents leidet. Und als label oder brand wird sich IBA nicht durchsetzen können. Zum einen, weil es seit der angeblichen Erfindung des Formats Bauausstellung keine Kontinuität gegeben hat – trotz heftiger Beteuerungen heutiger IBA-Protagonisten. Zum anderen, weil die Probleme einer IBA-Region regional und sehr, sehr unterschiedlich sind, wie die aktuellen Spielorte, Hamburg, Berlin, Heidelberg oder Basel zeigen. Ich wünsche mir also regionale Lösungen und hoffe, dass die Planungsämter wieder Ihre einstige Effektivität und Potenziale zurückgewinnen. Warum die Kopie, wenn man das Original besitzt? Also: BSU (Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt) statt IBA, Bürgerbezogene Konzepte statt Event! Dirk Meyhöfer, Architekturkritiker und -vermittler; Hamburg
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Michael Braum / 11.6.2013 / 16:03

geschäftsführender Direktor der IBA Heidelberg

Ja ...

wir brauchen IBAs, aber nicht um jeden Preis. Die Voraussetzungen müssen stimmen: Die Aufgabe muss klar formuliert sein, die Akteure müssen bereit sein, sich auf den Ausnahmezustand auf Zeit einzulassen und es müssen im Ergebnis Projekte entwickelt werden, die das IBA-Label tatsächlich verdienen. Dies erfordert Mut und Neugier bei allen Beteiligten. Dies sind für mich die unabdingbaren Eigenschaften für den Erfolg einer IBA. Erst wenn mutige und neugierige Menschen eine Perspektive für ihr Handeln bekommen kann ein solches Langzeitprojekt sein Potenzial entfalten. Neugier und Mut können zu nützlichen Erkenntnissen und praktischen Ergebnissen führen, gerade gegen den Widerstand derer, die am liebsten alles so belassen möchten, wie es ist. Allzu oft wird Veränderung als persönliche Bedrohung angesehen und daher nur in Notsituationen geduldet. Doch Angst war schon immer ein schlechter Ratgeber. Deshalb müssen IBAs pro-aktiv in die Zukunft denken. Nur wer offen für Neues ist stellt das Vorhandene in Frage. Damit sind freilich noch keine Lösungen auf sichtbare oder anstehende Herausforderungen gefunden. Neugier eröffnet jedoch Möglichkeiten und garantiert dabei nichts, erlaubt auch das Scheitern und das Lernen daraus. Das muss der Geist einer IBA sein. Um diese andere Planungskultur Wirklichkeit werden zu lassen, brauchen wir IBAs, die den Mut haben 1.         Risiken einzugehen2.         Experimente zu wagen3.         ungewöhnliche Wege zu beschreiten und4.         Interdisziplinarität und Internationalität im Alltäglichen zu leben Der Ausnahmezustand auf Zeit bedingt eine Laborsituation der Stadtentwicklung, in der andere Wege des Planens und Bauens erprobt werden. Ziel ist es, neue Verfahren, originelle Konzepte und wertvolle Architekturen zu realisieren, damit sie nach der Erprobung in der IBA nach der IBA in den Planungsalltag einziehen. Nur wenn eine derartige Versuchsanordnung mit all der damit verbundenen Unabhängigkeit sichergestellt ist, dann brauchen wir eine IBA. Prof. Dipl.-Ing. Michael Braum, geb. 1953, ist geschäftsführender Direktor der IBA Heidelberg „wissenschafftstadt“ und war bis vor kurzem (2008-2013) Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Zuvor (2006–2008) war er Prodekan an der Fakultät für Architektur und Landschaft an der Leibniz Universität Hannover, an deren Institut für Städtebau und Entwerfen er seit 1998 Professor ist. Er war viele Jahre als Architekt und Stadtplaner tätig u.a. im Büro Conradi, Braum & Bockhorst, als Gesellschafter der Freien Planungsgruppe Berlin GmbH und zuletzt in seinem eigenen Büro Michael Braum & Partner. 1984 – 1988 war Michael Braum wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin. Dort hat er 1980 sein Diplom absolviert.
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Christoph Kohl / 8.6.2013 / 15:00

Architekt, Berlin

Ja ...

… ich kann mir (m)ein Leben ohne IBA nicht vorstellen. Mit IBA meine ich natürlich die IBA der frühen 80er Jahre in Berlin. Man könnte mir darum vorwerfen, dass mein verklärter Blick darauf nicht objektiv sein kann.Für mich als Gerade-noch-Student war besagte IBA damals die erste echte Erfahrung mit gelebter, erfahrbarer, begehbarer zeitgenössischer Bau-Kultur: Exerzitium und Experimentierfeld, Show-Case und Must-See. Und ich konnte im Laufe der Jahrzehnte feststellen, dass es vielen so ergangen sein muss, da es zumindest im Ausland nach wie vor erstaunlich großes Interesse an den „nachhaltigen“ Ergebnissen von vor 30 Jahren gibt. Dabei wurde der Begriff „Nachhaltigkeit“ damals wenn überhaupt bekannt ja noch nicht so inflationär benutzt. Gerade bin ich zurück von einer Konferenz an der Glasgow School of Art wo unter dem Titel „The New Tenements“ (Die neuen Mietskasernen) für mich unerwartet intensiv von der Berliner IBA-Alt und IBA-Neu berichtet wurde, so als ob es gestern gewesen wäre. Von den Stadtforschern wird dieses IBA-Modell über die Maßen angepriesen als Instrument für jene Städte Englands, die nicht das Glück hatten, mittels eines solchen Programms schon vor einem Vierteljahrhundert wieder auf die Beine gestellt worden zu sein. Dazu passt auch der Biennale Venedig Beitrag 2012 des Englischen Pavillons. Darin hat sich das Forum for Alternative Belfast die 80er-IBA als Vorbild genommen, um die Potentiale dieses Jahrhundertereignisses zum Vorbild zu nehmen für ihre Stadt, die bisher noch nicht mit so einer initiativ of excellence gesegnet war. Ich durfte die Gruppe vorab beraten und war überrascht vom lebendigen Lernpotential der IBA. Und dies taten sie allein im Blick auf die Resultate, die sich in einer mehr als anständigen und dauerhaften Qualität von Städtebau und Architektur manifestiert und nicht mit Begierde auf noch nicht bekannte Formen von Subventionierung und Querfinanzierung.    Wie so oft beklagt sich Deutschland über die Luxus-Probleme, die es zu meistern habe. Und zumindest Berlin kann sich offensichtlich nicht über wegweisende Problemstellungen eins werden, deren das international bekannte Label IBA dann auch thematisch würdig wäre und sich in Durchführung und Realisierung erneut vorbildlich zeigen könnte. Ich wünsche Deutschland und Berlin noch jede Menge IBAs, die nicht nur Aha-Erlebnis sein dürfen sondern Schlüssel-Erlebnisse werden sollen für Bewohner, Experten und Schaulustige. Christoph Kohl, geboren 1961 in Bozen, Südtriol, studierte Architektur an der TU Innsbruck, TU Wien und diplomierte am IUAV Venedig. Ab 1989 arbeitet er bei Rob Krier in Wien und ab 1993 in einem gemeinsam Büro in Berlin. Seit 2010 ist er freischaffend als Christoph Kohl | KK architects urbanism·architecture·landscape mit Sitz in Berlin tätig.
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Cordelia Polinna / 8.6.2013 / 14:44

Think Berlin

Ja ...

...wenn ...* IBA-Themen vorhanden sind, die zeitgemäß, drängend und international von Bedeutung sind. Architektur und Städtebau müssen mit ihren Herangehensweisen und ihren Instrumenten an Grenzen gestoßen sein. Die Themen einer IBA müssen einen städtebaulichen Paradigmenwechsel markieren. Wenn die IBA-Themen nicht diesen hohen Ansprüchen genügen, besteht die Gefahr, dass das Instrument IBA abstumpft! * die IBA von einem breiten politischen, zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Spektrum getragen wird. Um Ressourcen zu mobilisieren und um breite Anerkennung in der (Fach-)Öffentlichkeit zu finden, muss eine IBA eine Balance finden zwischen der Einbindung gesellschaftlicher Bewegungen und Initiativen von unten, privaten Akteuren aus „der Wirtschaft“ sowie der Verwaltung, zwischen künstlerischen oder bürgerorientierten Ideenfindungsprozessen und Fachwissen, zwischen Kulturevent und professioneller Auseinandersetzung. * es parallel zum IBA-Thema ein räumliches Gliederungskonzept gibt, das die Themenfelder konkretisiert, sie im lokalen Kontext verankert und ihnen eine Ortsspezifik gibt. Die Themen der IBA müssen stark mit dem räumlichen Gliederungskonzept verknüpft sein, gleichzeitig muss es jedoch auch möglich sein, die Projekte in ihrer typologischen Bedeutung zu betrachten, um die dahinter stehenden Ideen auf andere Orte und Situationen übertragen zu können. * eine IBA wirklich offen für mutige und experimentelle Projekte und Instrumente ist und es auch (gedanklichen) Spielraum dafür gibt, dass sich die Ziele und wirksame Herangehensweisen erst in ihrem Verlauf herauskristallisieren.             Die Initiative »Think Berl!n« wurde von Aljoscha Hofmann, Cordelia Polinna, Jana Richter und Johanna Schlaack Mitte 2009 an der TU Berlin gegründet und entstand aus der Idee, die Debatte über die Berliner Stadtentwicklung um eine junge, zugleich wissenschaftliche und praktische, Position aus Architektur und Stadtplanung zu bereichern.
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Till Briegleb / 8.6.2013 / 14:40

Kulturkritiker, Hamburg

Ja ...

...denn Stadtplanung braucht noch viel mehr Ideenkonkurrenz und bewusst organisierte Konflikte. Jedenfalls wenn man Stadtentwicklung als ein gesamtgesellschaftliches Interessensgebiet verstehen will. Nimmt man das Beitragsniveau im Lokaljournalismus mal als Indikator, dann weiß die Öffentlichkeit nämlich nichts über die Hintergründe und vor allem Zusammenhänge von stadtplanerischen Entscheidungen. Sowohl Fachbeamte wie Architekten, Betroffene von Baumaßnahmen, Politiker und Investoren neigen zur Verschleierung der eigenen Interessen und Zwänge. Und diese Haltung wird immer dann besonders prekär, wenn sich Streit an konkreten Bauvorhaben entzündet. Dann verwandeln sich die Partikularinteressen in Misstrauen und Feindbilder. Entsprechend negativ besetzt ist Stadtplanung in der Öffentlichkeit. Genau hier liegen die Chancen einer Konkurrenzveranstaltung. Möglichst unbefangen von städtischen Planungsroutinen und alten Kameradschaften besitzt eine vernünftig ausgestattete Bauaustellung alle Möglichkeiten von Anregung und Versachlichung. Weniger als Instrument für bestimmte vordefinierte Ziele, denn als Plattform widersprüchlicher Bedürfnisse verstanden, besitzt sie das Potential, Ideen für einen neuen Gemeinsinn zu entwickeln – und diese an konkreten Bauprojekten zu überprüfen. Das setzt allerdings ein hohes Maß an Unabhänigkeit und den Willen zum qualifizierenden Konflikt voraus, sowie die Bereitschaft, eine IBA mit Themenfindung und nicht Themensetzung zu beginnen – und dazu auch Akteure zu wecken und zu animieren, die von ihrem schlummernden Interesse für Stadtplanung noch gar nichts wissen. Denn erst, wenn möglichst viele potentielle Teilhaber von Urbanität gemeinsam aktiv sind, werden sie sich später auch als Nutznießer von Veränderungen begreifen. Und dann kann eine IBA Optimismus zurück in die Stadtentwicklung bringen, einen herzlichen Ton in die Vorstellung und Umsetzung von neuer Stadt. Ob das eine städtische Behörde von alleine könnte, das wage ich doch sehr zu bezweifeln. Till Briegleb, geb. 1962, studierte Politik und Germanistik in Hamburg. Er war Musiker und ist heute Kulturkritiker mit den Schwerpunkten Architektur, Kunst und Theater bei der Süddeutschen Zeitung und dem Kunstmagazin art.
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Julian Petrin / 8.6.2013 / 14:38

Stadtplaner, Hamburg

Ja ...

 … die Frage ist nur, welche. Sicher braucht das Land keine IBAs, die als verlängerter Arm des Standortmarketings gedacht sind – ein Motiv, dass sich angesichts der aktuellen Bauausstellungs-Schwemme aufdrängt. Denn das widerspricht dem Laborgedanken, der hinter der IBA steht. Eine IBA ist Experiment, Scheitern inklusive. Wohl kaum etwas, was sich das Standortmarketing leisten möchte. Welche IBAs brauchen wir also? Sicher solche, die erkennbar den Anspruch haben, ein dickes Brett zu bohren. Zum Beispiel die weitere Polarisierung der Stadtgesellschaft zu verhindern. Oder eine Stadt konsequent von den Bürgern gestalten zu lassen – also eine echt partizipative IBA, die sich ihre Agenda von den Bürgern schreiben lässt. Vor allem sollte eine IBA nur ein Brett bohren wollen, nicht gleich einen ganzen Stapel. Sicher, die Dinge hängen alle zusammen und für Resilienz oder Klimawandel muss immer eine Zeile frei bleiben. Aber es muss eine Fokusaufgabe geben. Etwas, das der zwingende Auslöser ist und für das der IBA-Ort in ganz herausragender Weise steht. Bei aller Skepsis gegenüber Gremien habe ich Zweifel, ob die durchaus drohende Beliebigkeit der sich inflationierenden IBAs ohne kuratorisches Element verhindert werden kann. Kuratorium muss übrigens nicht heißen: ernster Blick und schwarzer Anzug. Es könnten auch hier die Bürger sein, die sagen, welche IBA relevant ist. Wir brauchen außerdem IBAs, die sich Zeit nehmen und in längeren Bögen denken. „Post IBA“ ist mindestens so wichtig, wie IBA selbst. Denn eine IBA kann in ihren wenigen Jahren kaum mehr als den politisch-programmatischen Boden bereiten und erste Symbole schaffen. Ob sich eine Stadt durch eine IBA tatsächlich und bleibend verändert, zeigt sich meist erst viel später. Mindestens zehn Jahre muss eine IBA Zeit haben – plus zehn Jahre Monitoring. Wer einen solchen Atem hat, wer ein einzelnes, aber echt dickes Brett in den Blick nimmt und sicher sein kann, dass die IBA auch scheitern darf, der möge es versuchen, denn solche IBAs brauchen wir. Alle anderen sollten besser Umwelthauptstadt werden. Julian Petrin ist Gründer des partizipativen Think Tanks Nexthamburg und des Stadtplanungsbüros urbanista. Nach seinem Studium Städtebau/Stadtplanung gründete er 1998 das Büro urbanista, mit dem er auf der Schnittstelle von Stadtentwicklung und Kommunikation arbeitet. Seit 2005 ist er zudem in Forschung und Lehre an der HafenCity Universität Hamburg tätig. Julian Petrin war Mitglied des Beirats für den Deutschen Beitrag der Architekturbiennale Sao Paolo 2009, ist Teilnehmer des Internationalen Doktorandenkollegs Forschungslabor Raum und seit 2011 Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. 2012 wurde Petrin in den Konvent der Bundesstiftung Baukultur berufen.    
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Gert Kähler / 6.6.2013 / 11:28

Journalist, Hamburg

Nein ...

„brauchen" im Sinne von „unerlässlich“ sind die sich stark vermehrenden IBA‘s nicht; sie fungieren eher als Geldbeschaffungsmaschinen für bestimmte städtische Projekte. Man kann sie veranstalten, wenn es Sinn macht. Allerdings sollte man nicht zwei Dinge miteinander vermischen, nämlich „Stadtplanung“ und „Internationale Bauausstellung“. Letztere hat drei Vorgaben - International, Bau und Ausstellung. Zumindest zwei davon hat Stadtplanung nicht. Deshalb sollte man die Bauausstellungen thematisch nicht überfrachten, obwohl das seit ihrem Beginn immer wieder gemacht wurde - mindestens sollte das Problem des Wohnens der Ärmeren (Leipzig 1913), der Wiederaufbau nach dem Krieg (Berlin 1957) oder ein neues Selbstbewusstsein für die Menschen erreicht werden (Emscher 1999). In Hamburg wurden die Ziele vollends auf die übertriebene Spitze getrieben, als die Sanierung eines maroden Stadtteiles, die Probleme der Zuwandernden in den Städten durch möglichst ein neues Bildungssystem und die Lösung der Energieprobleme angegangen wurden. Nun ist es richtig, die Latte möglichst hoch zu hängen, um bei den Politikern Geld und Unterstützung (in dieser Reihenfolge) locker zu machen. Aber das Ergebnis muss sich nicht nur hieran, sondern auch daran messen lassen, wie das ganze Neue in die bestehende Stadt(planung) passt. Denn die gibt es ja auch noch. So entsteht ein neuer Stadtteil mit 3.000 Wohnungen in der so genannten „Neuen Mitte Altona“. Ganz ohne IBA. Mitten in der Stadt. Ist das nun schlechter? Prof. Dr.-Ing. Gert Kähler, geboren 1942, hat an der TU Berlin studiert, Promotion 1980, Habilitation 1984. Er ist freier Journalist.
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Uli Hellweg / 4.6.2013 / 10:30

Architekt und Stadtplaner, Geschäftsführer der IBA Hamburg GmbH

Ja ...

... denn IBA ist ein in der Welt einzigartiges Format der Baukultur, das sich wegen seines Erfolges gerade beginnt wirklich zu internationalisieren. Offensichtlich wird IBA gebraucht!IBA sind (noch) das einzige nicht von großen Institutionen, Verbänden und Wirtschaftsinteressen dominierte Format von städtebaulichen Events. Und das muss so bleiben!IBA kann es auch mehrere geben – umso besser! Was sie am wenigsten brauchen ist eine hegemoniale Formalisierung, durch wen auch immer!IBA bringen Theorie und Praxis zusammen wie kein anderes Format. IBA sind die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Baukultur!IBA sind Labore und Motoren der Stadtentwicklung. Ihre Stärke liegt gerade in der Dualität von Praxis-  und Präsentationsformat. Was könnte Architektur und Städtebau populärer machen?IBA sind einzigartige Lehr- und Anschauungsveranstaltungen für Planer, Architekten, Politiker und Nutzer. Als Event will eine IBA nicht emotionalisieren, sondern bilden!IBA können wie kein anderes städtebauliches Format private und öffentliche Mittel mobilisieren. Es fehlt nicht an Geld, es fehlt an Phantasie!  Wir brauchen IBA aber nur, wenn IBA da auch drin ist, wo IBA draufsteht. Das heißt:IBA brauchen starke Ort, die starke Themen (von internationaler Bedeutung) verkörpern, um starke Projekte zu realisieren.IBA brauchen besondere Governancestrukturen, die auch die Realisierung außergewöhnlicher Projekte ermöglichen. Dafür brauchen sie eine breite politische und (stadt)gesellschaftliche Unterstützung.IBA müssen von unabhängigen Persönlichkeiten geleitet werden. IBA sind weder Top-Down-Veranstaltungen der Politik und Verwaltung noch Grass-Root-Organisationen der Betroffenen und Bürgerinitiativen. IBA haben eine eigenständige kuratorische Verantwortung, die man ihnen nicht nehmen darf.IBA brauchen einen ökonomischen Grundstock (Grundstücke und/oder Budget), der die Basis für alle Hebeleffekte im privaten und öffentlichen Bereich ist. Eine IBA ohne eigenes Budget ist der direkte Weg in die institutionelle und wirtschaftliche Abhängigkeit.IBA sind Ausnahmezustände auf Zeit – soweit es ihren Charakter als Labor und Präsentationsformat angeht. Die Laufzeit des „Motors der Stadtentwicklung“ ist hiervon jedoch unabhängig. Der Motor muss solange weiterlaufen, wie er für die Ziele und Aufgaben der IBA am jeweiligen Ort noch gebraucht wird. In welcher Organisationsform auch immer. Uli Hellweg, geb. 1948, hat Architektur- und Städtebau an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule – RWTH Aachen studiert. Er war u.a. Koordinator für Pilotprojeke bei der IBA 84/87 in Berlin, Planungskoordinator der S.T.E.R.N. GmbH für das Stadterneuerungsgebiet Moabit in Berlin, Dezernent für Planen und Bauen der Stadt Kassel und Geschäftsführer der Wasserstadt GmbH. Seit 2006 ist Uli Hellweg Geschäftsführer der IBA Hamburg GmbH.
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Olaf Bartels / 4.6.2013 / 10:16

Architekturjournalist, Hamburg

Ja ...

... wir brauchen den Ausnahmezustand internationaler Bauausstellungen in Deutschland, um frische Impulse für die Entwicklung unserer Städte und ländliche Räume zu gewinnen! Es ist bedauerlich, dass die zuständigen Verwaltungen dies offensichtlich im Regelbetrieb nicht leisten können. In einer IBA liegt deshalb die Chance, eine Vielzahl experimenteller Ansätze zu erproben, gehbare neue Wege zu finden und sie in den Normalbetrieb aufzunehmen.Die IBA Hamburg hat die Chance zum Experimentieren in der Stadtentwicklung, im Städtebau und in der Architektur nicht ausreichend genutzt. Es gab viele gute Ansätze, die aber oft zu kurz griffen, nicht zu Ende geführt wurden oder deren Übernahme in den Normalbetrieb der Stadtentwicklungspolitik nicht gewährleistet sind.Architektonische Innovation soll in einer IBA nicht zum spektakulären Selbstzweck werden, sie soll aber zu einer von den Benutzern mit Hilfe von Architekten und Ingenieuren entworfenen Lebensqualität im Alltag werden. Auch das ist in Hamburg zu kurz gekommen.Mit einer direkten Teilhabe der Nutzer am Entwurf ihrer Wohnbauten oder öffentlicher Räume und Gebäude ist nur ansatzweise experimentiert worden.Architektonische Experimente hatten bei der IBA Hamburg nur wenige Chancen. Für Architekten gab es so gut wie keinen Ausnahmezustand, sie mussten sich den üblichen Kleinkrieg mit den Investoren aussetzten ohne auf ausreichende Unterstützung der IBA hoffen zu können. Für Investoren gab es keine Atempause für die Reflexion der Konzepte; zu schnell griffen die Mechanismen des Marktes. Das Gestrüpp baurechtlicher Bestimmungen und Finanzierungsrichtlinien tat ein Übriges. Das Ergebnis sind in der Realisierung stark verwässerte Wettbewerbsentwürfe und mittelmäßige bis gar keine architektonischen Innovationen.Das Energiekonzept "Erneuerbares Wilhelmsburg" birgt viele Potenziale für eine energetisch regenerative Stadtentwicklung. Aber auch beim Umgang mit den Bestandsbauten fehlte weitgehend der Mut zum architektonischen Experiment. Hier herrschte der vielerorts schon bekannte Hang zum kalten technizistischen Pragmatismus vor.Auch das Experiment "Metrozonen" – aufzuwerten, ohne die darin lebende internationale Stadtgesellschaft einer "Kosmopolis" zu verdrängen - hat lediglich interessante Ansätze, aber keine gangbaren Wege gezeigt. Durch die Aufwertung der Elbinseln mussten zwar nicht allzu viele Menschen den Stadtteil verlassen, sie kann aber in den nächsten Jahren noch zu erheblichen Verdrängungen führen. Das Verfahren und die Qualität der Sanierung im "Weltquartier", dürfen keine Ausnahme bleiben, sie müssen zum flächendeckenden Regelfall werden! Gewährleistet hat die IBA das nicht. Olaf Bartels, Dipl.-Ing., Architekturjournalist, Studium der Architektur an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg. Buch- und Zeitschriftenpublikationen sowie Forschung zu Architektur und Stadt sowie deren Geschichte. Mitglied im Redaktionsbeirat der IBA Hamburg Schriftenreihe, Co-Redakteur der Bände 2, 3 und 5.
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Elke Pahl-Weber / 4.6.2013 / 10:10

Professorin am Institut für Stadt- und Regionalplanung, TU Berlin

Ja ...

... aber keine IBA-Inflation.Die Wandlung der IBAs von Bauausstellungen und Städtebauprojekten zu großen Entwicklungsprojekten mit zahlreichen Einzelprojekten darin stoßen Veränderungsprozesse an, die die Dynamik des Wandels von Städten und Stadtregionen in eine nachhaltige Richtung lenken können - die IBA Emscher Park ist dafür ein gutes Beispiel. Dringende Herausforderungen und Themen mit Fragestellungen an zukunftsfähige Lösungen können in einer IBA mit Priorität und unter hoher öffentlicher Aufmerksamkeit diskutiert werden. Mehrere aufeinanderfolgende oder gar parallel stattfindende IBAs können diese Priorität und Besonderheit aber gefährden. Eine gewisse Exklusivität ist notwendig.Die Kritik an Entwicklungsdynamiken, die durch Bauausstellungen angestoßen werden, muss ernst genommen werden. Deshalb ist es für mich essentiell, dass ein Katalog mit ethischen Anforderungen an IBAs formuliert und evaluiert wird, ob Bauausstellungen diese Kriterien auch erfüllen. Dass IBAs auch Stadtentwicklung im Dialog sind, ist richtig. Allerdings ist die Kommunikation bereits in statu nascendi erforderlich, nicht erst zu einzelnen Projekten. Große Projekte sind künftig generell viel mehr Gegenstand von Dialog und Kooperation - das sollte sich noch stärker als bisher bei Internationalen Bauausstellungen zeigen. Und: Bauausstellungen sind eine Chance, kluge Köpfe zusammenzubringen, Zukunft zu thematisieren, auch einmal ungewöhnliche Wege zu gehen. Darauf kann eine nachhaltige Stadtentwicklung nicht verzichten. Das kann auch mit anderen Formaten geschehen und erfolgt vielerorts auch ohne das Instrument IBA. Die besondere Bedeutung von Internationalen Bauausstellungen wird dadurch nicht geschmälert. Prof. Elke Pahl-Weber hat an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Architektur studiert und bis 2009 das Büro BPW Stadtplanung, Forschung, Beratung geführt. Seit 2004 ist sie Professorin für Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten am ISR an der TU Berlin. Von 2009-2011 leitete sie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung.
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Christoph Twickel / 4.6.2013 / 10:05

Journalist, Hamburg

Nein ...

Brauchen wir? Da hilft - wie so oft - die Gegenfrage weiter: Wer sind eigentlich "wir"? Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz zum Beispiel erklärte jüngst "Wir dürfen nie aufhören, Wohnungen zu bauen". Aber die Stadt Hamburg baut gar keine Wohnungen. Genau so wenig wie andere Städte und Kommunen. Die Hochbauabteilungen der Baubehörden sind abgeschafft, die kommunalen Wohnungsbauunternehmen sind privatisiert oder agieren wie ganz normale Unternehmen - sie müssen Gewinne für das Stadtsäckel erwirtschaften - die Gemeinnützigkeit von Wohnungsbaugesellschaften gibt es schon lange nicht mehr. Sprich: Das Planen und Bauen ist heute bis auf bescheidene Ausnahmen die Angelegenheit von privaten Investoren. Und wenn Städte und Kommunen heute Internationale Bauausstellungen veranstalten, dann nicht zuletzt aus Investorenanlockungsgründen. Die sind eine vergleichsweise einfach zu generierende Stadtmarketingmaßnahme - denn anders als bei Fußball-WM's, Olympiaden, Expos oder Kulturhauptstädtereien muss man sich bei niemandem bewerben - der Begriff "Internationale Bauausstellung" ist nicht geschützt - kein Komitee, keine Jury muss mitreden, ob eine Stadt IBA-reif ist. Kein Wunder also, dass im Zeitalter der Metropolenkonkurrenz die IBAs wie Pilze aus dem Boden schießen. Wer die braucht? Für die Bewohnerinnen und Bewohner von Hamburg-Wilhelmsburg wäre es vielleicht nützlicher gewesen, wenn Hamburg die 100 Millionen aus dem IBA-Sondervermögen in den Ausbau eines einigermaßen vernünftigen Verkehrsnetzes gesteckt hätte, damit man im zerklüfteten Hamburg-Wilhelmsburg wenigstens von hier nach da kommt. Andererseits: Mit dieser Argumentation lässt sich jede Investition in Experimentierfelder abbürsten. Die eigentliche Frage ist: Lässt sich verhindern, dass IBAs zur Beute von Stadtvermarktern und Imageproduzenten werden? Da bin ich derzeit skeptisch. Aber eine Internationale Bauausstellung, die sich unabhängig von Imageproduktion und Politikererwartungen den Herausforderungen an Stadtentwicklung widmen könnte - Themen wie Großsiedlungen, lokale Ökonomie, neuen Genossenschaftsmodelle, Segregation der Städte etc. - das möchte man sich doch wünschen. Christoph Twickel, geb. 1966, ist Journalist und Buchautor. Er hat die Hamburger »Recht auf Stadt«-Bewegung als Journalist begleitet, ist Mitinitiator und Sprecher von »Not In Our Name, Marke Hamburg« und ist Autor des Buches „GENTRIFIDINGSBUMS oder Eine Stadt für alle“. Hier geht's zu seinem Beitrag auf BKULT "Können wir noch lebenswerte Stadtquartiere bauen?".
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Julian Petrin / 8.6.2013 / 14:38

Stadtplaner, Hamburg

Ja ...

 … die Frage ist nur, welche. Sicher braucht das Land keine IBAs, die als verlängerter Arm des Standortmarketings gedacht sind – ein Motiv, dass sich angesichts der aktuellen Bauausstellungs-Schwemme aufdrängt. Denn das widerspricht dem Laborgedanken, der hinter der IBA steht. Eine IBA ist Experiment, Scheitern inklusive. Wohl kaum etwas, was sich das Standortmarketing leisten möchte.

 

Welche IBAs brauchen wir also? Sicher solche, die erkennbar den Anspruch haben, ein dickes Brett zu bohren. Zum Beispiel die weitere Polarisierung der Stadtgesellschaft zu verhindern. Oder eine Stadt konsequent von den Bürgern gestalten zu lassen – also eine echt partizipative IBA, die sich ihre Agenda von den Bürgern schreiben lässt.

 

Vor allem sollte eine IBA nur ein Brett bohren wollen, nicht gleich einen ganzen Stapel. Sicher, die Dinge hängen alle zusammen und für Resilienz oder Klimawandel muss immer eine Zeile frei bleiben. Aber es muss eine Fokusaufgabe geben. Etwas, das der zwingende Auslöser ist und für das der IBA-Ort in ganz herausragender Weise steht. Bei aller Skepsis gegenüber Gremien habe ich Zweifel, ob die durchaus drohende Beliebigkeit der sich inflationierenden IBAs ohne kuratorisches Element verhindert werden kann. Kuratorium muss übrigens nicht heißen: ernster Blick und schwarzer Anzug. Es könnten auch hier die Bürger sein, die sagen, welche IBA relevant ist.

 

Wir brauchen außerdem IBAs, die sich Zeit nehmen und in längeren Bögen denken. „Post IBA“ ist mindestens so wichtig, wie IBA selbst. Denn eine IBA kann in ihren wenigen Jahren kaum mehr als den politisch-programmatischen Boden bereiten und erste Symbole schaffen. Ob sich eine Stadt durch eine IBA tatsächlich und bleibend verändert, zeigt sich meist erst viel später. Mindestens zehn Jahre muss eine IBA Zeit haben – plus zehn Jahre Monitoring. Wer einen solchen Atem hat, wer ein einzelnes, aber echt dickes Brett in den Blick nimmt und sicher sein kann, dass die IBA auch scheitern darf, der möge es versuchen, denn solche IBAs brauchen wir. Alle anderen sollten besser Umwelthauptstadt werden.

 

Julian Petrin ist Gründer des partizipativen Think Tanks Nexthamburg und des Stadtplanungsbüros urbanista. Nach seinem Studium Städtebau/Stadtplanung gründete er 1998 das Büro urbanista, mit dem er auf der Schnittstelle von Stadtentwicklung und Kommunikation arbeitet. Seit 2005 ist er zudem in Forschung und Lehre an der HafenCity Universität Hamburg tätig. Julian Petrin war Mitglied des Beirats für den Deutschen Beitrag der Architekturbiennale Sao Paolo 2009, ist Teilnehmer des Internationalen Doktorandenkollegs Forschungslabor Raum und seit 2011 Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. 2012 wurde Petrin in den Konvent der Bundesstiftung Baukultur berufen.

 

 

 

 

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