"Können wir noch lebenswerte Stadtquartiere bauen?"
Ja! 33%
Nein! 67%
Überseequartier Hamburg, Fotograf: Klaus Frahm
Wann immer hierzulande innerstädtische Stadtquartiere neu geplant oder gebaut werden, entzündet sich heftige Kritik. Ob Hafencity (Hamburg), Potsdamer Platz (Berlin) oder Europaviertel (Stuttgart): Der Vorwurf lautet, es entstünden keine wirklich urbanen Räume, sondern nur der Anschein von städtischem Leben, Simulationen von Urbanität. Konkret erstreckt sich die Kritik auf verschiedene Ebenen:
Planerisch: Die neuen Innenstadtviertel werden zumeist auf Grundlage von Masterplänen gestaltet. Sie sind, so die Kritiker, nur eine neue Form des veralteten Verlangens nach dem „großen Plan“. Alles bis ins kleinste Detail festzulegen und zu homogenisieren sei jedoch nicht vereinbar mit einer sich permanent wandelnden Gesellschaft, die ständig sich erneuernde Stadtteile benötige. „Möglichkeitsräume“, die Spielräume geben für Unvorhersehbares und Zufälliges, sind hier nicht vorgesehen.
Räumlich: Die neuen Quartiere in der Kernstadt folgen dem Leitbild der „europäischen Stadt“, das auf ein städtebauliches Stereotyp von Straße, Platz, Block reduziert werde. Architekten und Bauherren setzten alles daran, ihre Bauten mit möglichst exaltierten Fassaden aus dem rigorosen Raster herausstechen zu lassen. Ernst Hubeli kritisierte das „überdeterminierte Block-Achsen-Piazza-Schema“, dem die historischen Voraussetzungen abhanden gekommen seien, als eine „repressive Stadtform“. Auch die Richtigkeit der Gleichung hohe Dichte = stadträumliche Qualität wird in jüngster Zeit kritisch hinterfragt.
Sozial: Die hohen Grundstückspreise (auch bei Verkäufen durch die öffentliche Hand) führen zu entsprechend hohen Kauf- und Mietpreisen für Wohnungen und Büros. Statt einer „Stadt für alle“ entstünden reine Luxusquartiere für eine gut betuchte Klientel. Der Verdrängung der Mittel- und Unterschicht in zentrumsfernere Gebiete werde so Vorschub geleistet.
Öffentlich: In den neuen Innenstadtvierteln sind die öffentlichen Räume zumeist privatisiert. Sie dienen zuallererst dem Standortmarketing und der Verkaufsförderung, u.a. durch zahlreiche „Events“. Zudem ist es Quartiersmanagern möglich, den Zugang für unliebsame Personengruppen zu verweigern und Bürgerrechte (z.B. Versammlungsfreiheit) einzuschränken. Gert Kähler schrieb hierzu: „Was verloren geht, ist nicht die ein oder andere öffentliche Fläche, sondern die Öffentlichkeit selbst.“
Haben die Kritiker Recht? Versagen Politik, Wirtschaft und Stadtplanung bei der Gestaltung neuer Stadtgebiete? Können wir überhaupt noch lebenswerte Stadtquartiere bauen?
Gastredakteur dieser Debatte ist Claas Gefroi
Geb. 1968 studierte Claas Gefroi Architektur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hamburgischen Architektenkammer, Redakteur des „Jahrbuch Architektur in Hamburg“ und freier Architekturjournalist. Gefroi ist außerdem Mitglied der Kunstkommission der Behörde für Kultur, Sport und Medien Hamburg.
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Nie werde ich vergessen, welches Gefühl der Freiheit ich empfunden habe, als ich vor fast einem halbem Leben nach Hamburg zog. Endlich war es so weit, ausgestattet mit einem Studienplatz, verlegte ich meinen Wohnort von einer schleswig-holsteinischen Kleinstadt in die Metropole an der Elbe. Das Hamburg jener Jahre, damals Anfang der Neunziger, war sicherlich eine der aufregendsten und angesagtesten Städte der Republik. Berlin dämmerte noch als Baustelle dahin, mit bewegter Vergangenheit, schwieriger Gegenwart, ungewisser Zukunft.
In Hamburg hingegen tanzten damals noch die Lichter auf der Reeperbahn. Viertel wie Altona und die Sternschanze erlebten einen rasanten Prozess der Gentrifizierung, der zu Beginn, bevor der Prozess abgeschlossen ist, ja spannend ist. Clubs wie das Mojo und das Front waren bundesweit bekannt und besaßen Kultstatus. Die einlaufenden Ozeandampfer am Hafen putzten sich heraus, wenn sie die Landungsbrücken passierten. Die Skyline selbst war auf eine hanseatische Art romantisch. Die Hafencity gab es nicht, stattdessen Bachstein- und Gründerzeitbauten, der Turm des Michels, Bürogebäude die sich als Chrom-und Glasbauten verkleideten.
Das Hamburg jener Jahre gibt es nicht mehr, es ist verschwunden, und eine neue Stadt mit anderem Charakter und anderem Wesen ist an seine Stelle getreten. Nein, die Architektur hat sich nicht wesentlich geändert, von einigen Neubauten und urbanen Prestigeprojekten einmal abgesehen, Aber die Menschen, die damals den pulsierenden urbanen Geist Hamburgs verkörperten, sind entweder in die Jahre gekommen - von einigen Ausnahmen einmal abgesehen, oder weg und weitergezogen. In Hamburg lebe ich schon lange nicht mehr. Erst zog ich nach London, später nach Berlin, wo ich seit knapp zehn Jahren lebe.
Wer heute jung und hungrig ist, der zieht nach Berlin. Hier erlebte ich den letzten Jahren die Transformation Berlins, von einer innerlich zerrissenen, von der Geschichte vergewaltigten Metropole, hin zu einer Weltstadt. Der Prozess ist in vollem Gange. In meinem Wohnort - im Bezirk Neukölln - ist das Bevölkerungsgemisch explosiv, Schwaben und Salafisten, Hipster und Harz 4 Empfänger, Proleten und Philosophie-Studenten, Burka und Bomberjacke. Neue Bars, Galerien, und Café schießen wie Pilze aus dem Boden. Doppeldeckerbusse und Umzugswagen donnern die Hermanstrasse entlang, wo Lebenslust, Vitalität und Frust, ein einzigartiges Gefühl ergeben.
Eine Stadt muss in Bewegung bleiben, architektonisch, demographisch, sozial. Im Idealfall ist eine Stadt ein Ort, wo man zu jeder Tages-und Nachtzeit einkaufen oder Freunde treffen kann, wo jede Sprache gesprochen wird und Fremdenhass fast unbekannt ist, dessen Bewohner im Idealfall nicht in Gleichgültigkeit und Apathie versinken. Der Architektur fällt in diesem Zusammenhang eine Rahmenfunktion zu. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Große Pläne sind diesbezüglich eine Gefahr, denn sie ignorieren den Prozess der sozialen Transformation. Architektonische Projekte sollten die vorhandene urbane Dynamik wie eine zweite Haut umgeben, elastisch, dehnbar. Alles andere würde den Geist einer Stadt ersticken, ob in Berlin, Hamburg oder Halle, in Moskau ebenso wie in Miami, Teheran, Tel Aviv oder Port Moresby.
Ramon Schack, geb. 1971 ist Journalist und Politologe. Er lebt in Berlin-Neukölln, schreibt für die NZZ, die Süddeutsche Zeitung, das Handelsblatt und betreibt einen Blog.
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