"Können wir noch lebenswerte Stadtquartiere bauen?"

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Überseequartier Hamburg, Fotograf: Klaus Frahm 


Wann immer hierzulande innerstädtische Stadtquartiere neu geplant oder gebaut werden, entzündet sich heftige Kritik. Ob Hafencity (Hamburg), Potsdamer Platz (Berlin) oder Europaviertel (Stuttgart): Der Vorwurf lautet, es entstünden keine wirklich urbanen Räume, sondern nur der Anschein von städtischem Leben, Simulationen von Urbanität. Konkret erstreckt sich die Kritik auf verschiedene Ebenen:

Planerisch: Die neuen Innenstadtviertel werden zumeist auf Grundlage von Masterplänen gestaltet. Sie sind, so die Kritiker, nur eine neue Form des veralteten Verlangens nach dem „großen Plan“. Alles bis ins kleinste Detail festzulegen und zu homogenisieren sei jedoch nicht vereinbar mit einer sich permanent wandelnden Gesellschaft, die ständig sich erneuernde Stadtteile benötige. „Möglichkeitsräume“, die Spielräume geben für Unvorhersehbares und Zufälliges, sind hier nicht vorgesehen.

Räumlich: Die neuen Quartiere in der Kernstadt folgen dem Leitbild der „europäischen Stadt“, das auf ein städtebauliches Stereotyp von Straße, Platz, Block reduziert werde. Architekten und Bauherren setzten alles daran, ihre Bauten mit möglichst exaltierten Fassaden aus dem rigorosen Raster herausstechen zu lassen. Ernst Hubeli kritisierte das „überdeterminierte Block-Achsen-Piazza-Schema“, dem die historischen Voraussetzungen abhanden gekommen seien, als eine „repressive Stadtform“. Auch die Richtigkeit der Gleichung hohe Dichte = stadträumliche Qualität wird in jüngster Zeit kritisch hinterfragt.

Sozial: Die hohen Grundstückspreise (auch bei Verkäufen durch die öffentliche Hand) führen zu entsprechend hohen Kauf- und Mietpreisen für Wohnungen und Büros. Statt einer „Stadt für alle“ entstünden reine Luxusquartiere für eine gut betuchte Klientel. Der Verdrängung der Mittel- und Unterschicht in zentrumsfernere Gebiete werde so Vorschub geleistet.

Öffentlich: In den neuen Innenstadtvierteln sind die öffentlichen Räume zumeist privatisiert. Sie dienen zuallererst dem Standortmarketing und der Verkaufsförderung, u.a. durch zahlreiche „Events“. Zudem ist es Quartiersmanagern möglich, den Zugang für unliebsame Personengruppen zu verweigern und Bürgerrechte (z.B. Versammlungsfreiheit) einzuschränken. Gert Kähler schrieb hierzu: „Was verloren geht, ist nicht die ein oder andere öffentliche Fläche, sondern die Öffentlichkeit selbst.“

Haben die Kritiker Recht? Versagen Politik, Wirtschaft und Stadtplanung bei der Gestaltung neuer Stadtgebiete? Können wir überhaupt noch lebenswerte Stadtquartiere bauen?

Gastredakteur dieser Debatte ist Claas Gefroi
Geb. 1968 studierte Claas Gefroi Architektur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hamburgischen Architektenkammer, Redakteur des „Jahrbuch Architektur in Hamburg“ und freier Architekturjournalist. Gefroi ist außerdem Mitglied der Kunstkommission der Behörde für Kultur, Sport und Medien Hamburg.

 

Bernd Gundermann, Auckland, New Zealand ehem. Hamburg / 8.11.2012 / 5:13

Freier Architekt

Ja ...

Ja, wir koennen es noch, denn die Stadtquartiere, die weitergebaut werden sind positive Beispiele fuer gute Ballance zwischen Sensibilitaet und neuer Identitaet. Sehen wir die Hamburger Hafencity im Vergleich zu Waterfront Konversionen anderer Metropolen faellt auf, wie gut - weil "normal" die Hafen City ist. Das Grundgeruest der Europaeischen Stadt ist, wie ich glaube, das einzige weltweit, welches Saekularisierung, Industrialisierung, Motorisierung und Tertiaerisierung ueberwiegend erfolgreich absorbiert hat. Die Islamischen oder Asiatischen Stadtkulturen sind untergegangen. Die vorstaedtischen Ozeane der Britischen Einflussphaere scheitern gerade. Damit bleibt die Europaeische Stadt Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung.Wir sollten jedoch achtsam sein, die Europaeische Stadt nicht nur rueckwaerts, sonder besonders forwaerts zu sehen. In Deutschland macht sich leider eine angstgetriebene Lust am Retrospektiven breit, welche ins Abseits fuehrt. Leben steht niemals still, weshalb Stadtquartiere keinesfalls festgeschrieben werden, sondern fortgeschrieben werden sollten. Fuer mich bedeutet vorwaerts Denken die Abkehr vom "Grand Plan" der Vergangenheit; die Abwendung von top-down Reglementierung, hin zu bottom-up, prozesshaft verstandener Stadtentwicklung. Deutschland mit seiner alten, schrumpfenden Bevoelkerung sollte sich bemuehen sein staedtebauliches Denken und Handeln zu oeffnen, damit sich Stadtquartiere oeffnen koennen fuer neues, junges Leben.Das kann schliesslich zum spontan-parasitaeren Weiterbauen an bestehenden Bauten und Quartieren fuehren. Die Substanz der Europaeischen Stadt ist robust genug diese Spielfreude in neue Qualitaet umzusetzen. Das Deutsche Problem scheint eher zu sein, dass Menschen sich verweigern, das vom Ueberkommenen zu opfern, was gestern schon nicht mehr wirklich gut genug war.Stadt Bauen ist Evolution, durch offen denkende Architekten und Staedtebauer moderiertes Weiterentwickeln. Uebertriebene Denkmalseligkeit ist angstvolle Lebensverweigerung.
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Fleximan / 28.10.2012 / 15:27

flexible

Jein ...

Erinnerung aus Krähwinkels SchreckenstagenWir Bürgermeister und Senat, Wir haben folgendes Mandat Stadtväterlichst an alle Klassen Der treuen Bürgerschaft erlassen.Ausländer, Fremde, sind es meist, Die unter uns gesät den Geist Der Rebellion. Dergleichen Sünder, Gottlob! sind selten Landeskinder.Auch Gottesleugner sind es meist; Wer sich von seinem Gotte reißt, Wird endlich auch abtrünnig werden Von seinen irdischen Behörden.Der Obrigkeit gehorchen, ist Die erste Pflicht für Jud und Christ. Es schließe jeder seine Bude Sobald es dunkelt, Christ und Jude.Wo ihrer drei beisammen stehn, Da soll man auseinander gehn. Des Nachts soll niemand auf den Gassen Sich ohne Leuchte sehen lassen.Es liefre seine Waffen aus Ein jeder in dem Gildenhaus; Auch Munition von jeder Sorte Wird deponiert am selben Orte.Wer auf der Straße räsoniert, Wird unverzüglich füsiliert; Das Räsonieren durch Gebärden Soll gleichfalls hart bestrafet werden.Vertrauet Eurem Magistrat, Der fromm und liebend schützt den Staat Durch huldreich hochwohlweises Walten; Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.Heinrich Heine , Gedichte 1853 und 1854 Nein, weil: Die einst kalten Krieger sind heut die kalten Sieger. Und wenn Ja, dann würde lebenswert für mich, den Fleximan, bedeuten: rund, verspielt, mit Bordüren statt Klötzchen, Altes und Neues nebeneinander , progressive Stadtromantik, besetzt, mietfrei, courtagefrei, mehr Orientierung an russischen Konstruktivisten.Den Unterbau in den Überbau transportieren. Flexiblen, beweglichen Leichtbau fördern. Schwache unterstützen. Doch leider muss es für mich, Fleximan, beim Denken bleiben, da ich nicht über ausreichen materialistische Grundlagen, sprich: Geld, verfüge um mir überhaupt mal ein schönes rundes Iglu zu bauen, in dem ich mir nicht ständig den Kopf stoße wie in diesen schrecklich eckigen Wohnungen. Und leider würde man mich ja sowieso mit meinem Iglu fast überall in Schinkenburg vertreiben. Zu viel sozialfschistsche Betonköppe mit Glasaugen in Schinkenburg. Sophienterrassen rund und mietfrei machen!
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Ernst Hubeli / 13.10.2012 / 9:28

Architekt, Zürich

Jein ...

... 14 Thesen dazu 1. Die Stadtplanung kann nicht mehr einfach festlegen, da wird gewohnt, dort gearbeitet und dort muss man sich erholen. Mit der Telekommunikation sind viele Tätigkeiten ortsunabhängig und delokalisierbar. Wer wo was tut, ist nur noch teilweise planbar, so wie es mehr Freiheiten für die Einzelnen gibt. Im 21. Jahrhundert gibt kann man nur noch von einem postfunktionalen Städtebau sprechen. Dazu gehört die alte These, dass sich Städte immer in Übergangsphasen befinden - das Neue ist im Alten noch nicht sichtbar. 2. Die Stadt hat sich verdoppelt. Sie existiert physisch und virtuell. Mit dem Navigieren über die Netze wird jede Stadt grösser und zugleich kleiner, weil man schnell einen Überblick gewinnt und ihn auf Bildschirmgrösse reduzieren kann. Neu ist auch, dass übers Netz die Stadt und ihre Ereignisse nicht nur navigiert, sondern auch generiert werden. Wie eine Stadt, ihre öffentlichen Räume, ihre Häuser und Areale gebraucht werden, ist einer viel höheren Ungewissheit und Dynamik ausgesetzt als früher. Umso mehr muss man beliebte Orte - sogenannte Dauerbrenner - erhalten.3. Das Kapital der Stadt sind heute Spielräume - Leerstellen, weisse Flecken im Stadtplan, damit sich die Quartiere der erhöhten Dynamik und neuen Bedürfnissen besser anpassen können. Es braucht „Orte, wo (noch) nichts geschieht“, wie Peter Handke sagt. 4. Eine Stadt wird vor allem emotional erfahren und beurteilt wie Stadtforschungen der letzten Jahre zeigen. Das hat auch mit den neuen Medien zu tun. Wenn eine Stadt individuell übers Handy oder Internet navigiert wird, entsteht ein persönlicher Dialog mit der Stadt - mit Bildern, Informationen und Versprechen. So haben alle einen emotionalen Stadtplan im Kopf, eine Art urbanes Genussextrakt, das sich natürlich immer neu mischt. Insofern ist heute die Stadt ein kommunikatives Nervensystem. 5. Stadtplanung beginnt nicht mit einem Plan, sondern mit dem Diskurs über Szenarien. Möglichkeiten, Wünsche, Ziele, Defizite und Machtverhältnisse schliessen die Frage ein, welchen Beitrag einzelne Projekte für die Stadtentwicklung leisten können. Das ist heute der wichtigste Job für die Stadtregierung und ihre Behörden. Die herkömmliche Planung, die nur den gesetzlichen Rahmen definiert oder alles von oben festlegt, ist nicht bloss veraltet – sie funktioniert nicht und schadet, so wie Pläne fehleranfällig sind. In Brasilia wurde nicht der grosszügig geplante „Corso“ zum Corso, sondern seine Anlieferungsstrasse. Heute werden in Europa unzählige „Piazzas“ gebaut und niemand kommt. Und in den neuen „Boulevards“, die alten Glamour versprechen, wartet man vergeblich auf den Kaiser. 6. Eine Stadt kann man mit einem Buch vergleichen. Die Leser produzieren Texte im Text, Bilder im Bild, Spiele im Spiel. Genau so muss man die Stadt verstehen: Sie wird nicht nur oft anders gedeutet als geplant, sondern ständig neu interpretiert und neu gebraucht. Sie ist ein unfertiges Projekt und ein ewiges Gedankenexperiment. Und wie bei einem Buch ist das Verhältnis zwischen Autor und Leser unberechenbar.Ein Plan, der alles kontrollieren und bevormunden will, kann nicht funktionieren. Er muss „weich“ sein, was in der Stadt ja auch für Tatsachen wie der Stein gilt, der früher mehr Stein war, wie Wittgenstein sagt. 6. In Immobilienkreisen herrscht die begründete Angst vor Lageentwertungen, Leerbeständen und von Abwanderungen, was schneller passiert als man denkt, wenn sich der Ruf einer Stadt verschlechtert.Die Alltagserfahrungen der Bürger prägen den Ruf einer Stadt. Er ist unbestechlich und zugleich relevanter geworden, da die Bereitschaft, von einer Stadt in eine andere umzuziehen, stark zugenommen hat. Zudem findet in ganze Europa eine evidente Stadtrückwanderung statt, die auch die Frage aufwirft, welche Stadt wem am besten gefällt. 7. Gegen die Interessen der Bürger zu planen, ist dumm. Bürgerbeteiligungen sind allerdings kein Allheilmittel. Und die alten und naiven Formen der Beteiligung bringen nichts. Wir Schweizer sind bekanntlich mit allen demokratischen Wässern gewaschen – inklusive Tricks und fakes – und wissen, dass Bürgerbeteiligung nur Sinn macht, wenn im Voraus geklärt ist, wie das Entscheidungsverfahren definiert ist, was die Frage einschliesst, inwieweit Eigentumsverhältnisse antastbar sind oder nicht. Ein blosses Abtasten der Volksmeinung, um dann anders zu entscheiden, bringt eine Stadt und ihre Regierung nachhaltig in Verruf. Umgekehrt stossen demokratische Verfahren gerade in der Stadtplanung an ihre eigenen Grenzen. Zum einen, weil oft egoistisch entschieden wird - wie etwa: wenn die neue Strassenbahn mir nichts nützt, bin ich dagegen. Und es gibt natürlich auch Fragen, die viele überfordern und eine professionelle Sicht verlangen. 8. In einigen europäischen Städten wird bereits eine andere Form der Bürgerbeteiligung praktiziert, die im Kern ein Städtebau von unten ist.Gruppen, Szenen und urbane Milieus reagieren nicht mehr auf Projekte der Stadt, sondern agieren selbst. Sie organisieren Öffentlichkeit und Ereignisse – temporär, ad hoc oder längerfristig, was die kommunikativen Netze erleichtern. So kann man auch erfahren, dass anderes möglich ist als die immer gleichen Immobiliengestelle. Jedenfalls sind solche Gruppen und Szenen urbane Generatoren und ein Gewinn für jede Stadt und insofern auch wichtige Partner der Stadtplanung.9. Urbaniten reagieren allergisch auf Bevormundung. Sie brauchen nur Frei- und Spielräume, dann entsteht vieles von selbst, wie zahlreiche Beispiele - vor allem bei Umnutzungen von Industriebrachen - in Europa belegen. Dazu passt auch eine Schlüsselerkenntnis der letzten Jahrzehnte: die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass urbanes Leben nicht geschieht, wo es geplant wird und geschieht, wo es nicht geplant wurde. Das heisst nicht, dass es keine Stadtplanung mehr braucht - im Gegenteil - sie muss aber umdenken, um noch wirksam zu sein.10. Der Glaube, dass Architektursensationen eine Stadt aufwertet, hat selbst der Erfinder vom Bilbao-Effekt, abgelegt. Als Herr Krens, der Guggenheim-Chef, den medialen Oberflächenknaller ins Internet gesetzt hat, liess er gleichzeitig seine anderen 30 Museumsprojekten à la Bilbao wie heisse Kartoffeln fallen: mangelnde ökonomische Aufmerksamkeit und deshalb viel zu teuer. Nach dem Bilbao-Effekt sprechen wir heute vom Wolfsburger-Effekt: Die unbeachtete Stadt hat Milliarden in aufsehenerregende Allerweltarchitektur investiert, ohne dass es jemand gemerkt hat. Mit anderen Worten: Die vermeintlichen Wahrzeichen haben heute die Bedeutung von Bierdeckelentwürfen für eine Wurlitzer Orgel der Form.11. Provinzielles verschwindet weder mit dem höchsten Hochhaus noch mit architektonischen Aufdringlichkeiten. Am Bildschirm und für den Tourist kann ja alles grösser und bedeutender erscheinen, als es wirklich ist. Inzwischen wird das durchschaut. Selbst Stadtmarketingprofis glauben heute nicht mehr an medial gezüchtete Stadtprofile. Das heisst: Entweder ist der Alltag in einer Stadt eine Sensation oder es gibt keine. 12. Die Attraktion von Dichte ist das nahe Nebeneinander von allem. Wir sprechen von einer „vertikalen Stadt“, was nicht Hochhäuser voraussetzt, aber eine Dichte, die erlaubt, von der Wohnung unmittelbar in das Stadtleben einzutauchen. Es geht also nicht bloss um bauliche Dichte, sondern um viele Optionen, Aktivitäten und Dienstleistungen an einem Ort. Dichte als Lebensqualität setzt voraus, dass sie mit dem Gegenteil - mit Undichte - koexistiert. New York ohne den Central Park wäre eine öde Steinwüste. Hohe Dichte braucht leere Orte von kontemplativer Nutzlosigkeit, wo tatsächlich nichts geschieht, wo Nichts-Tun gerade nicht unter dem Blickwinkel vom Nichts-Tun gesehen wird. 13. Endzustände festlegen, ist wirklichkeitsfremd. Der aktuellste Fall, der noch auf einem grossen Masterplan basiert, ist die Hafencity in Hamburg, was zu einem Desaster wurde. Die „City“ lebt nicht, weil alles viel zu starr geplant ist, weil keine wirkliche Mischnutzung zustande kommt, weil die Erdgeschosse falsch konzipiert sind, weil die traditionelle Strassenbebauung vollkommen veraltet ist, da sie weder die Nutzungsdynamik noch heutige Formen von Öffentlichkeit auffangen kann. 14. Es gibt kein Grundrezept für den Städtebau. Aber am besten ist es, wenn Stadteile heute wie eine antizipierende Spielanlage verstanden und geplant werden. Nur so kann sich ein Stadtteil den Bedürfnissen und Veränderungen anpassen. Und nur so kann ein vitales Quartier entstehen, das nicht monothematisch und monosozial ist. Geplante Endzustände werden früher oder später zum Zwang, der stadtfeindlich oder gar stadtzerstörerisch ist. Ernst Hubeli hat seit 1982 ein Architekturbüro in Zürich. Herczog Hubeli haben die Umnutzung zahlreicher Industriebrachen projektiert - u.a. das Steinfelsareal, das Toni- und das Escher-Wyss-Areal und Forschungen zur Urbanität, Öffentlichkeit und zum Wohnungsbau verfasst. Aktuelle Projekte realisiert das Büro in Zürich, Deutschland, Italien und Griechenland.
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Sven Silcher / 11.10.2012 / 16:44

Architekt, Hamburg

Ja ...

Ja, aber diese Quartiere werden ganz anders sein als „früher“.Der kritische Diskurs über Neubauquartiere entzündet sich in der Regel an sozial- gesellschaftlichen Aspekten oder / und an der Aufenthalts- bzw. der stadtgestalterischen Qualität. Als positive Referenzbeispiele müssen gerne gründerzeitliche Großstadtquartiere, das Paris des 19. Jahrhunderts, italienische Stadtzentren aus der Renaissance oder gar aus noch früherer Zeit herhalten. Die Erwähnung vorbildliche Neubauquartiere der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts verrät schon einen fachlich vorbelasteten Diskussionsteilnehmer. Das abfällige Verdikt über die Beispiele der Gegenwart ist bald gefällt, die Schuldigen sind schnell ausgemacht. Selten kommt den Beteiligten die erhebliche Bedeutung der jeweiligen gesellschaftlichen und anderer Rahmenbedingungen für das mögliche Resultat in den Sinn. Nicht zu vernachlässigen ist auch der durch Mobilität und Fernurlaubsreisen völlig veränderte Maßstab des Raumempfindens des heutigen Durchschnittbürgers! Insgesamt sollte damit auch dem fachlich Unvorbelasteten schnell klar werden, dass alles bis ein gutes Stück ins 20. Jahrhundert hinein Entstandene nicht einfach wiederholbar ist wenn nur die Beteiligten „so gut wie früher“ wären – es sei denn als Disneyland-mäßige Replik.Für das Urteil über ein Neubauquartier wie die Hamburger Hafencity dürfen auch die sehr spezifischen mikroklimatischen Gegebenheiten und die von der Hochwassergefährdung diktierten Besonderheiten angemessen bedacht werden.Allerdings gibt es ganz allgemein auch eine Reihe von Faktoren, die ohne Not abhanden gekommen sind und durchaus wiederbelebt werden könnten.Der Stadt planende Staat in allen seinen Facetten agiert inzwischen nicht mehr wesentlich anders als die vom Primat der Gewinnoptimierung bestimmte Immobilienwirtschaft. Auf vielen anderen Gebieten stellt sich der Sozialstaat den vielfältigen sozialen Aufgaben durchaus noch, oft genug sogar verstärkt. Warum vernachlässigt er in wachsendem Maße die doch erheblichen sozialen Komponenten einer Stadtplanung in der Demokratie – unabhängig davon, welche politische Couleur gerade am Ruder ist? Aber gerade hierzu ist von berufenerer Feder schon Viel geschrieben worden.Die Aufgabe von Architekten in diesem Kontext ist es nicht, Stadtquartiere zu veredeln und aufzuwerten, die einzelnen Komponenten zu „designen“ – nein, die Rolle der Architekten sollte im Stadtplanungsprozess deutlich früher einsetzen, das war vor einigen Jahrzehnten noch selbstverständlich. Die besondere Befähigung der Architekten ist – die Architektur. Sie ist jene Leistung, die persönliche menschliche und gesellschaftliche Bedürfnisse nicht nur in Funktion, Technik und Material umsetzt sondern daraus auch noch für die Innen- und Außenwelt angemessene Räume schafft und in guten Proportionen gestaltet, wo andere Planungsbeteiligte auf technische Fragen ausschließlich technische Lösungen anbieten. Aufgrund ihrer Ausbildung ist es die besondere Befähigung der Architekten, die verschiedenen Komponenten, aus denen Bauwerke und Stadtquartiere entstehen, im richtigen Verhältnis zueinander abwägen und so im Gleichgewicht halten zu können. Daran sollten sich allerdings auch manche Architekten wieder einmal erinnern!Es ist freilich auch zu konstatieren, dass das Urteil von Gesellschaft und Architekten einschließlich der Fachkritiker in der qualitativen Bewertung gebauter Umwelt erheblich auseinanderklafft. Für die Laien ist es einfach: Den Architekten ist der gute Geschmack abhanden gekommen. Nun gab es Beispiele schlechten Geschmacks (sprich: schlechter Architektur) auch in den „guten alten Zeiten“, und auch das Auseinanderklaffen in der Rezeption hat es immer gegeben. Es ist aber sicher der „Gestaltkonsens“ abhanden gekommen, diese stillschweigende Übereinkunft, die z.B. vor ca. 100 Jahren in den Hamburger (und anderswo) Neubauquartieren zu einer Vielfalt in der Homogenität geführt hat. Dazu ist freilich auch ein gewisses Maß an Bescheidenheit der Architekten notwendig und davon ist eine Menge verloren gegangen. Zu viele Architekten haben sich von der investorengesteuerte Immobilienwirtschaft zu Veredlern, Aufwertern und Designern reduzieren lassen und inzwischen erwartet diese Immobilienwirtschaft auch nicht viel mehr von ihnen. In dieser Symbiose ist für das Einzelobjekt Bescheidenheit im übergeordneten Interesse der Stadtgestalt gerade nicht gefragt sondern vielmehr Auffallen als Marketingfaktor.Vergessen wir auch nicht, dass uns weitgehend die Bauherren abhanden gekommen sind, diese Spezies, die in wirklich konstruktivem Diskurs mit dem Architekten aus diesem das Beste herauszukitzeln verstand. Sven Silcher, Jahrgang 1937, Architekt in Hamburg, Mitbegründer und bis 2007 Partner in ASW Architekten. u.a. Straßenraumneugestaltung Mönckebergstrasse, neuer ZOB und 2. Preis Wettbewerb Masterplan Hafencity, alle Hamburg. In der Zeit ab 1994 u.a. Landesvorsitzender BDA Hamburg, Vizepräsident BDA Bundesverband, deutscher Delegierter im Europäischer Architektenrat · ACE und in der Union Internationale des Architectes · UIA; Vizepräsident 21. UIA Weltkongress Berlin 2002.
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Julian Petrin / 8.10.2012 / 13:34

Geschäftsführer Nexthamburg

Nein ...

wir haben verlernt, lebenswerte Quartiere zu bauen. Wir designen zu viel. Jeder Quadratzentimeter ist besetzt, nichts dem Zufall überlassen. Echte Quartiere leben aber vom Zufall, von der Spannung zwischen Schauseite und dunkler Rückseite, verschatteter Enge und lichter Weite. Erst diese Spannung lässt auch die Nischen für das entstehen, was man "soziale Mischung" oder Quartierskultur nennt. Das Verschattete, Rückseitige hat heute keine Chance mehr. Wir planen Quartiere, die rundum für die Vermarktbarkeit optimiert sind. Statt dessen müsste man bewusst B-Lagen gestalten – wenn das nicht ein Widerspruch in sich ist. Also: Weniger Design!
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Christoph Twickel / 7.10.2012 / 21:18

Journalist und Autor, Hamburg

Nein ...

... die Urban Renaissance, die Wiedergeburt der Innenstadt, schwerlich zu denken ist ohne den mehr oder minder aggressiven Neoliberalismus in der Stadtentwicklung. Ob Hafencity, Docklands oder S21 - nie ging und geht es um die real existierende Stadtbevölkerung. Immer ging und geht es darum, die neuen Städte und Viertel mit Blick auf ein erwünschtes Publikum hin zu planen, sprich: für die gutausgebildete, zahlungskräftige Angestellten- und Unternehmerschicht, um die die Metropolen weltweit konkurrieren.Dass seit etwa einer Dekade die artifizielle Aura solcher Projekte als problematisch gilt, hat wohl weniger mit der Einsicht zu tun, dass man das Städtische nicht am Reißbrett herstellen kann, als mit den Ansprüchen der anvisierten Klientel. Ein Viertel mit urbaner Patina, echten Ureinwohnern und authentischer Informalität ist - zumindest im europäischen Kontext - einfach marktgängiger als die Gated Community in der Retortenstadt. Soll man also zum Beispiel der Hafencity in Hamburg wirklich wünschen, dass die Mischung gelingt, wenn damit nur gemeint ist, dass der betuchten Klientel zu Dekorationszwecken ein paar Normalverdiener, Künstler und Sozialwohnungsberechtigte (die statistisch über die Hälfte der Hamburger Bevölkerung stellen) beigestellt werden?Sozial verantwortliche Stadtplanung sähe ohnehin anders aus. Sie müsste ganz grundsätzlich zur Kenntnis nehmen, dass sich die meisten Menschen die neuen Quartiere unserer Zeit nicht leisten können - so lebenswert, innovativ oder artifiziell sie auch sein mögen. Dass es darum ginge, unsere Städte zu veredeln und aufzuwerten, mag sich Planern und Architekten heute als Bestandteil ihres Berufsethos darstellen. Die anstehenden Aufgaben sind jedoch andere: Es muss um eine neue, wohlfahrtsstaatliche politische Ökonomie der Planung gehen. Wir müssen das genossenschaftliche Bauen neu erfinden sowie weitere kollektive Alternativen zu einer investorengesteuerten Immobilienökonomie. Wir müssen das Primat der Politik über die Planung zivilgesellschaftlich neu erobern und wir brauchen architektonische Erfindungen, die jenseits der Großsiedlung Städte für alle möglich machen.Christoph Twickel, geb. 1966, ist Journalist und Buchautor. Er hat die Hamburger »Recht auf Stadt«-Bewegung als Journalist begleitet, ist Mitinitiator und Sprecher von »Not In Our Name, Marke Hamburg« und ist Autor des Buches „GENTRIFIDINGSBUMS oder Eine Stadt für alle“.
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André Poitiers / 7.10.2012 / 21:12

Architekt, Hamburg

Ja ...

... zeitgenössische Stadtplanung besser ist als ihr Ruf. „Ja, mach nur einen Plan. Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan. Geh'n tun sie beide nicht.“ Bert Brecht hat sich über den Sinn von Plänen lustig gemacht, weil er wusste, wie wichtig es für Menschen ist, dem Leben Struktur zu geben. Wie Menschen wohnen, welche Form ihre Dörfer und Städte haben, ob sie kreisförmig um eine Kirche angelegt sind oder ob die Straßen ein Gitter ergeben, das war und ist das Ergebnis von Planungen. Auch wenn Masterpläne falsch sein können, auch wenn sie vielleicht nicht immer genau so umgesetzt werden, so sind sie doch notwendig. Denn wie der öffentliche und der private Raum strukturiert werden, darf man nicht dem Zufall überlassen. Erstens weil dann eine Stadt wuchern würde und an ihren Wucherungen ersticken könnte, zweitens weil das zu Bodenspekulationen führen würde, und drittens, weil dann soziale und gesellschaftliche Belange keine Rolle mehr spielen würden. Dass ein neues Quartier wie die Neue Mitte Altona oder die Hafencity durch hohe Grundstückspreise, die die Stadt verlangt, zum monotonen Luxusviertel wird, ist ein Vorurteil. Zum Beispiel hat die Stadt Hamburg in der Hafencity ein attraktives Grundstück am Lohsepark an eine Gemeinschaft aus einer Baugruppe, an einen Investor für freien Wohnungsbau und einen Investor für Sozialwohnungen vergeben. Hier subventionieren dann zwei Bauherren den Grundstückspreis für den Sozialwohnungsbau. Anschließend teilen sich alle Bewohner den Innenhof. Welcher Bewohner im Edelviertel Harvestehude würde es zulassen, dass Sozialhilfe-Empfänger in seinem Garten sitzen oder dass dort Kita-Kinder spielen? Eine wirkliche soziale Durchmischung findet man sehr selten in den alten Hamburger Stadtteilen - hier bewohnen Reiche, Besserverdiener und sozial Schwächere verschiedene Quartiere. Das Argument, ein sehr genauer Masterplan verhindere die architektonische Vielfalt, geht am Kern der Sache vorbei. Ein Masterplan reflektiert den Zeitgeist und deshalb gibt es Moden – in der Gründerzeit haben sich die Bauten sehr geähnelt, ganze Straßenzüge, soweit sie nicht zerstört wurden, bestehen auch heute noch aus Häusern, die einheitlich (und zugleich vielfältig) sind. Der Architekt und Hamburger Baudirektor Fritz Schumacher hat mit seinen monumentalen Backsteinbauten das Stadtbild zu Beginn des 20. Jahrhunderts wesentlich geprägt. Aber da die Stadt nie stillsteht, kommen immer wieder neue Bauten hinzu, die jeweils einen anderen Zeitgeist repräsentieren. Auch die Hamburger Hafencity wird nicht für immer so aussehen, wie der Masterplan sie derzeit vorsieht. Einheitlichkeit mit Lebendigkeit und Überraschung anzureichern, das ist die große Aufgabe. Damit ein neues Stadtviertel lebt, muss man mehr tun, als die Bauten einfach den Bewohnern zu überlassen. Warum soll eine Marketing-Agentur nicht mit Events den Anfang machen? Nur wenn diese Events die Bewohner des Viertels ausgrenzen (Champagner im abgesperrten Bereich...) oder wenn die Events sich vor allem an jene richten, die in dem Viertel gar nicht wohnen, dann läuft etwas schief. Allmählich aber sollen die Bewohner sich ihr Quartier erobern und selbst entscheiden, was dort stattfindet. Ein guter Masterplan hat die Voraussetzung dafür dann geschaffen.André Poitiers, geb. 1959, führt seit 1995 als freischaffender Architekt ein eigenes Büro in Hamburg. Er gewann den städtebaulichen Wettbewerb für die „Mitte Altona“ und hat den Masterplan für das Hamburger Großprojekt entwickelt.
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Katja Kullmann / 7.10.2012 / 21:08

Schriftstellerin und Journalistin, Hamburg

Jein ...

... es besteht zumindest die Chance dazu. Wir könnten neue angenehme Stadtquartiere bauen, wenn wir von Anfang an, schon im frühesten Planungsstadium, diejenigen einbeziehen würden, die die Berge von Stein letztlich mit Leben füllen sollen: die späteren Anwohner, Händler, Gewerbetreibende. Was sind ihre Bedürfnisse, wie wollen sie leben? Je mehr die Bürger eingebunden sind in ihre Nachbarschaft, je verantwortlicher sie sich auch dafür fühlen, desto „lebendiger“ die Umgebung – das ist ja eigentlich eine stadtsoziologische Binsenweisheit.Konkret würde dies bedeuten, dass so genannte Stadtplanung vor allem wieder als politischer Prozess verstanden wird – nicht als Wirtschaftsabenteuer. Wenn sich also ein Bedarf an neuen Wohn- und Gewerberäumen ergibt, sollten die Städte den Bürgern Anreize bieten, sich etwa zu Genossenschaften zusammenzutun und die neuen Flächen und Räume gemeinschaftlich zu erschließen – statt „von oben“, vom Investitions-Reißbrett aus, Fantasiequartiere zu erschaffen, die letztlich wie ein Fremdkörper in die schon bestehende Stadt eingerammt werden. Was ist der Effekt, den kühl geplante Kunst-Quartiere wie die Hafencity in Hamburg oder der Potsdamer Platz in Berlin haben? Sie werden von den Städter(inne)n überwiegend als „Fake“ wahrgenommen. Sie sind außerdem wegen oft überzogener Mieten und brutaler Künstlichkeit, so meilenweit von der realen Belebbarkeit entfernt, dass sich ein „Zweitwohnungs“- bzw. „Hotel-Effekt“ einstellt: Es wird gar nicht „richtig“ darin gewohnt und gelebt, sondern es ergibt sich eine Mischung aus Firmen- und Ferienwohnungen, worüber sich zum Beispiel zahlreiche Berliner ja längst lautstark beklagen: über den Showroom-Charakter, den viele einst organisch gewachsene Stadtteile inzwischen annehmen.Die Menschen leben gern in Städten, die Sehnsucht nach einem starken, verlässlichen Gemeinwesen, in das alle sich einbringen können, ist groß. Das sehen wir auch in anderen Bereichen, etwa in der Politik. Konzerngesponserte Großprojekte genießen sowieso keinerlei Vertrauen mehr – sie führen zu einer illoyalen, entfremdeten Stadt, die von ihren Bürgern nicht geliebt wird.Katja Kullmann, geb 1970, ist studierte Soziologin und Politologin und schreibt Bücher, Essays, Erzählungen und Reportagen über Soziales, Genderfragen und die wundersame Welt der Arbeit. Zuletzt erschien ihre stadtsoziologische Reportage „Rasende Ruinen. Wie Detroit sich neu erfindet“. Zu Katja Kullmanns Blog
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Stefan Forster / 7.10.2012 / 20:56

Architekt, Frankfurt am Main

Nein ...

... wenn wir uns das Baugeschehen in Deutschland derzeit anschauen, so kann man mit Fug und Recht behaupten, dass man offensichtlich keine lebenswerten Städte mehr bauen kann.Derzeit erleben wir eine Renaissance des städtischen Wohnens. Alles drängt in die Innenstadt und „Nachverdichtung“ scheint die einzige Lösung, um diesem Druck standzuhalten. Doch welche Stadt erfreut sich denn dieser hohen Beliebtheit? Es ist die europäische Stadt des 19. Jahrhunderts mit ihrem klaren System von öffentlichem, halböffentlichem und privatem Raum, mit ihren anonymen Fassaden, ihrer Dichte und ihrer Nutzungsmischung. Das Wohnen im Altbau war schon immer angesagt und ist es noch immer.Die „europäische Stadt“ wird nun bei den Planern und Politikern als Marketingbegriff benutzt, um die neuen Stadterweiterungen auf den Weg zu bringen. Würde es sich wirklich um die europäische Stadt handeln, die man vorgibt zu bauen, hätten wir sicher hier keine Diskussion. Schaut man sich diese neuen Gebilde an, so stellt man sehr schnell fest, dass sie nur im Design diesen Eindruck vermitteln. Es handelt sich jedoch bei diesen Gebilden um etwas völlig anderes. In der europäischen Stadt sind die Blöcke in einzelne Parzellen unterteilt, dadurch ist eine gewisse Vielfalt und Stabilität sichergestellt. Heute wird ein Block von einem Einzelinvestor mit seinem Architekten geplant, das heißt, das wesentliche Merkmal der europäischen Stadt, die Feinkörnigkeit, ist nicht sichergestellt. Da sich dieser Investor heute in Konkurrenz zu seinen Nachbarn sieht, hält er seinen Architekten dazu an, eine möglichst auffällige Architektur zu kreieren. So haben wir dann am Ende eine Aneinanderreihung von Gag-Architekturen, Eitelkeiten und Egotrips, aber keine Stadt. Ein wesentliches Merkmal von Stadt fehlt: die Anonymität und Homogenität der Architektur.Am Potsdamer Platz in Berlin ist dieser Negativeffekt sehr schön auszumachen. Weckt der Stadtgrundriss noch die Hoffnung, hier eine normale, einfache Stadterweiterung vor sich zu haben, zeigt der Aufriss das ganze Ausmaß des Schreckens: Die damals weltweit angesagtesten Architekten überboten sich mit Gag-Architektur. Damit ist ein Architektenzoo, aber keine Stadt entstanden. Das jüngste Beispiel für diese Fehlentwicklung ist wohl die Hafencity in Hamburg. Sie hat nichts mit der Qualität Hamburgs zu tun. Der vielbeschworene Einsatz von Klinkern, um den wir Süddeutschen die Hamburger immer beneiden, wird zur reinen Tapete. Ein weiteres Merkmal der europäischen Stadt ist die Nutzungsmischung. Schauen wir nach Stuttgart: Hier wird offen propagiert, das Leitbild des neuen Europaviertels sei die europäische Stadt, doch leider gibt es nur einen zehnprozentigen Wohnanteil. Wie soll hier jemals städtisches Leben entstehen? Sieht man heute die ersten entstandenen Egotrips, kommt einem das kalte Grausen. Auf der anderen Seite gibt es dann die Stadterweiterungen, welche sich offensichtlich modern geben wie in München das Gebiet „Hirschgarten“ – hier arbeitet man offensiv gegen die Stadt und baut eigentlich eine überdimensionale Siedlung ohne eindeutige Zuordnung von öffentlichem und privatem Raum. So werden öffentliche Radwege zwingend durch das Blockinnere gelegt; der Sinn ist mir noch nie aufgegangen. Ansonsten entwickelt sich dieses Gebiet zu einer riesigen WDVS-Wüste ohne den geringsten Anspruch an Gestaltung, natürlich alles eine Folge der Wohnungsknappheit: In München verkauft sich derzeit eigentlich alles. Der Bauträger braucht sich keinerlei Mühe mehr zu geben. Diese „modernen Stadterweiterungen“ werden von einer Handvoll Stadtplanungsbüros kreiert, welche sich immer äußerst innovativ geben - in Wirklichkeit sind sie durch die Beliebigkeit der Planungen nur äußerst investorenfreundlich, frei nach dem Motto : Wie hätten Sie‘s denn gern? Für jemanden, der München kennt und liebt, ist es unfassbar, wie ein solches Viertel entstehen kann.Wie konnte es zu diesen Fehlentwicklungen kommen? Für mich liegt der Grund in dem Verschwinden des Regulativs, der öffentlichen Hand. Sie könnte zum Beispiel eine bestimmte Anzahl ihrer Grundstücke für geförderten Wohnungsbau reservieren, das heißt, nicht den maximalen Kaufpreis im Auge haben, um damit eine gesündere Mischung der Zusammensetzung der Bewohnerschaft sicherzustellen, sie könnte den Parzellenzuschnitt ändern, sie könnte auf Nutzungsmischung bestehen, sie könnte die Eventisierung des öffentlichen Raumes untersagen, sie könnte Gestaltungsvorgaben machen um Gag-Architektur und Egotrips zu unterbinden. Sie könnte auch Freiräume und Flexibilität festlegen indem sie nicht immer alles in B-Pläne meißelt. All das könnte und müsste eine Stadt leisten, das erwarte ich von ihr. Das dafür notwendige Bewusstsein von Stadt ist leider abhanden gekommen.Stefan Forster, geb. 1958, studierte an der TU Berlin Architektur und arbeitete anschließend im Büro Langhof (Berlin) und im Büro Kuhler (Mannheim). 1988 bis 1993 war er Assistent am Lehrstuhl für Wohnungsbau an der TH Darmstadt. 1989 gründete er sein Architekturbüro Stefan Forster Architekten.
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Ramon Schack / 7.10.2012 / 20:48

Journalist, Berlin

Jein ...

Nie werde ich vergessen, welches Gefühl der Freiheit ich empfunden habe, als ich vor fast einem halbem Leben nach Hamburg zog. Endlich war es so weit, ausgestattet mit einem Studienplatz, verlegte ich meinen Wohnort von einer schleswig-holsteinischen Kleinstadt in die Metropole an der Elbe. Das Hamburg jener Jahre, damals Anfang der Neunziger, war sicherlich eine der aufregendsten und angesagtesten Städte der Republik. Berlin dämmerte noch als Baustelle dahin, mit bewegter Vergangenheit, schwieriger Gegenwart, ungewisser Zukunft.In Hamburg hingegen tanzten damals noch die Lichter auf der Reeperbahn. Viertel wie Altona und die Sternschanze erlebten einen rasanten Prozess der Gentrifizierung, der zu Beginn, bevor der Prozess abgeschlossen ist, ja spannend ist. Clubs wie das Mojo und das Front waren bundesweit bekannt und besaßen Kultstatus. Die einlaufenden Ozeandampfer am Hafen putzten sich heraus, wenn sie die Landungsbrücken passierten. Die Skyline selbst war auf eine hanseatische Art romantisch. Die Hafencity gab es nicht, stattdessen Bachstein- und Gründerzeitbauten, der Turm des Michels, Bürogebäude die sich als Chrom-und Glasbauten verkleideten.Das Hamburg jener Jahre gibt es nicht mehr, es ist verschwunden, und eine neue Stadt mit anderem Charakter und anderem Wesen ist an seine Stelle getreten. Nein, die Architektur hat sich nicht wesentlich geändert, von einigen Neubauten und urbanen Prestigeprojekten einmal abgesehen, Aber die Menschen, die damals den pulsierenden urbanen Geist Hamburgs verkörperten, sind entweder in die Jahre gekommen - von einigen Ausnahmen einmal abgesehen, oder weg und weitergezogen. In Hamburg lebe ich schon lange nicht mehr. Erst zog ich nach London, später nach Berlin, wo ich seit knapp zehn Jahren lebe.Wer heute jung und hungrig ist, der zieht nach Berlin. Hier erlebte ich den letzten Jahren die Transformation Berlins, von einer innerlich zerrissenen, von der Geschichte vergewaltigten Metropole, hin zu einer Weltstadt. Der Prozess ist in vollem Gange. In meinem Wohnort - im Bezirk Neukölln - ist das Bevölkerungsgemisch explosiv, Schwaben und Salafisten, Hipster und Harz 4 Empfänger, Proleten und Philosophie-Studenten, Burka und Bomberjacke. Neue Bars, Galerien, und Café schießen wie Pilze aus dem Boden. Doppeldeckerbusse und Umzugswagen donnern die Hermanstrasse entlang, wo Lebenslust, Vitalität und Frust, ein einzigartiges Gefühl ergeben.Eine Stadt muss in Bewegung bleiben, architektonisch, demographisch, sozial. Im Idealfall ist eine Stadt ein Ort, wo man zu jeder Tages-und Nachtzeit einkaufen oder Freunde treffen kann, wo jede Sprache gesprochen wird und Fremdenhass fast unbekannt ist, dessen Bewohner im Idealfall nicht in Gleichgültigkeit und Apathie versinken. Der Architektur fällt in diesem Zusammenhang eine Rahmenfunktion zu. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Große Pläne sind diesbezüglich eine Gefahr, denn sie ignorieren den Prozess der sozialen Transformation. Architektonische Projekte sollten die vorhandene urbane Dynamik wie eine zweite Haut umgeben, elastisch, dehnbar. Alles andere würde den Geist einer Stadt ersticken, ob in Berlin, Hamburg oder Halle, in Moskau ebenso wie in Miami, Teheran, Tel Aviv oder Port Moresby.Ramon Schack, geb. 1971 ist Journalist und Politologe. Er lebt in Berlin-Neukölln, schreibt für die NZZ, die Süddeutsche Zeitung, das Handelsblatt und betreibt einen Blog.
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Till Briegleb / 7.10.2012 / 20:44

Kulturkritiker, Hamburg

Ja ...

Ja, falls... die Unzufriedenheit in der städtischen Gesellschaft über den Vorrang, den privater Gewinn über öffentliche Bedürfnisse geniesst, groß genug wird. Weil die natürlichen Ziele der Geldvermehrung nur selten stadt-, umwelt- und sozialverträgliche Nebenwirkung haben, müssen Investoren zu Kompromissen gezwungen werden. Davon kann jede Verwaltung, die nicht bereits in Angststarre vor dem großen Geld verfallen ist, ein Lied singen. Um diesen Konflikt zu beeinflussen, ist es nötig, dass aktive Teile der Stadtbevölkerung sich mit Wissen und Argumenten versorgen und Verantwortung für die Entwicklung ihrer Lebenswelt übernehmen.... die Diskussion über eine lokale städtische Identität sich nicht in oberflächlichen historischen Stilprämissen erschöpft. Identität bildet sich in der Stadt wie beim Menschen durch das Besondere. Gerade bei Neubauvierteln bietet sich die Chance, den Geist der Zeit abzubilden, anstatt riesige Investitionsobjekte mit nostalgischen Materialien und Formen zu kaschieren. Den Geist des Schöpferischen bei allen Beteiligten zu animieren führt am ehesten dazu, eine Originalität zu erreichen, auf die alle stolz sind. Und Stolz ist die Seele von Identität.... trotz einer Hinwendung zu den kreativen Möglichkeiten zeitgenössischen Bauens die sensible Beobachtung von Stadtqualitäten nicht vernachlässigt wird. Tatsächlich ist es doch nicht so schwer zu erkennen, wo europäische Menschen sich freiwillig und gerne aufhalten. Die dichten, abwechslungsreichen und schön gestalteten Gegenden, die der Städtebau der Vormoderne uns hinterlassen hat, sind in unvergleichlicher Weise mit neuen Bedürfnissen und Funktionen belastbar, ohne ihren einladenden Charakter zu verlieren. Diese Genetik des städtischen Wohlgefühls verträgt auch den Zauber des Neuanfangs.Till Briegleb, geb. 1962, studierte Politik und Germanistik in Hamburg. Er war Musiker und ist heute Kulturkritiker mit den Schwerpunkten Architektur, Kunst und Theater bei der Süddeutschen Zeitung und dem Kunstmagazin art.
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Wolfgang Bachmann / 7.10.2012 / 20:36

Herausgeber, München

Jein ...

... war es früher einmal besser möglich, lebenswerte Städte zu bauen? Also, die Stadt ist fertig gebaut, die Maurer und Zimmerer sind gerade abgezogen, die Mauern sind noch feucht, und gleich finden alle das Ergebnis lebenswert?So war es sicher nicht. Wenn wir heute Fotos aus der Entstehungszeit von beliebten Münchner Wohnquartieren betrachten – etwa die Villenkolonie Gern nach Plänen von Heilmann & Littmann oder die Siedlung Neuhausen von Hans Döllgast -, dann waren das ziemlich öde Flächen, auf denen einzelne Gebäude oder Zeilen herumstanden. Das gibt die Frage auf, welcher Zauber sich irgendwann über ein Quartier legen muss, damit es zum begehrten Wohnort mutiert. Sind es die Bäume an den Straßen und die grünen Gärten, die Patina, die sich allmählich über die Häuser legt – doch wohl nicht die parkenden Autos, die wir als lästige Lebenszeichen akzeptieren müssen?Falls dem so wäre, würden wir zu unseren Lebzeiten nie attraktive Städte schaffen können, und unsere Stadtplaner müssten die Gabe der Sterndeutung besitzen, um den Idealzustand für die kommenden Jahrzehnte vorwegzunehmen.Wenn wir in München nur ein paar hundert Meter weiter die Neubebauung an den Bahngleisen besichtigen, können wir es uns kaum vorstellen, dass dort – durch welchen überirdischen Umstand auch immer – Aufenthaltsqualität entstehen könnte. Man sieht nur langweilig mäandrierende Zeilen, die man besser rasch hinter sich lässt, um seine Haustür zu erreichen. Die Einkäufe hat man ohnehin andernorts erledigt, hier kann man nicht einmal eine Zeitung kaufen.Nun kennen wir aber auch neue Quartiere, die schon bei Fertigstellung eine passable Infrastruktur und merkbare typologische Vielfalt bieten. Das Kabelwerk in Wien zählt dazu. Sofern man an einem schönen Sommertag zur Besichtigung kommt, ist man versucht, die Planung in höchsten Tönen zu loben. Spaziert man dagegen im nieseligen November durch die Gassen, deprimiert einen die Tristesse, und die farbenfrohe Abwechslung nervt wie ein Faschingskostüm am Volkstrauertag.Also, wie steht es mit unserem Talent, lebenswerte Städte zu bauen? Manchmal ereignen sich Glücksfälle, dann entsteht ein kleines überschaubares Quartier aus einem Guss wie zum Beispiel in Hamburg Rothenbaum von Atelier 5. Auf diesem Niveau fallen uns vielleicht noch einige Besiedlungen ein, bei denen kapitalistisches Gewinnstreben und gute Architektur zu lebenswerten Stadtteilen zusammengefunden haben. In allen anderen Fällen liegt es nur am Wetter, ob man sich wohl fühlen kann.Wolfgang Bachmann, geb. 1951, schrieb nach dem Architekturstudium seine Dissertation und arbeitete danach in verschiedenen Architekturbüros. Er war zunächst für die Zeitschrift „Bauwelt“ und später als Chefredakteur beim „Baumeister“ tätig, dessen Herausgeber er seit 2011 ist.
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Wolfgang Bachmann / 7.10.2012 / 20:36

Herausgeber, München

Jein ...

... war es früher einmal besser möglich, lebenswerte Städte zu bauen? Also, die Stadt ist fertig gebaut, die Maurer und Zimmerer sind gerade abgezogen, die Mauern sind noch feucht, und gleich finden alle das Ergebnis lebenswert?

So war es sicher nicht. Wenn wir heute Fotos aus der Entstehungszeit von beliebten Münchner Wohnquartieren betrachten – etwa die Villenkolonie Gern nach Plänen von Heilmann & Littmann oder die Siedlung Neuhausen von Hans Döllgast -, dann waren das ziemlich öde Flächen, auf denen einzelne Gebäude oder Zeilen herumstanden. Das gibt die Frage auf, welcher Zauber sich irgendwann über ein Quartier legen muss, damit es zum begehrten Wohnort mutiert. Sind es die Bäume an den Straßen und die grünen Gärten, die Patina, die sich allmählich über die Häuser legt – doch wohl nicht die parkenden Autos, die wir als lästige Lebenszeichen akzeptieren müssen?

Falls dem so wäre, würden wir zu unseren Lebzeiten nie attraktive Städte schaffen können, und unsere Stadtplaner müssten die Gabe der Sterndeutung besitzen, um den Idealzustand für die kommenden Jahrzehnte vorwegzunehmen.

Wenn wir in München nur ein paar hundert Meter weiter die Neubebauung an den Bahngleisen besichtigen, können wir es uns kaum vorstellen, dass dort – durch welchen überirdischen Umstand auch immer – Aufenthaltsqualität entstehen könnte. Man sieht nur langweilig mäandrierende Zeilen, die man besser rasch hinter sich lässt, um seine Haustür zu erreichen. Die Einkäufe hat man ohnehin andernorts erledigt, hier kann man nicht einmal eine Zeitung kaufen.

Nun kennen wir aber auch neue Quartiere, die schon bei Fertigstellung eine passable Infrastruktur und merkbare typologische Vielfalt bieten. Das Kabelwerk in Wien zählt dazu. Sofern man an einem schönen Sommertag zur Besichtigung kommt, ist man versucht, die Planung in höchsten Tönen zu loben. Spaziert man dagegen im nieseligen November durch die Gassen, deprimiert einen die Tristesse, und die farbenfrohe Abwechslung nervt wie ein Faschingskostüm am Volkstrauertag.

Also, wie steht es mit unserem Talent, lebenswerte Städte zu bauen? Manchmal ereignen sich Glücksfälle, dann entsteht ein kleines überschaubares Quartier aus einem Guss wie zum Beispiel in Hamburg Rothenbaum von Atelier 5. Auf diesem Niveau fallen uns vielleicht noch einige Besiedlungen ein, bei denen kapitalistisches Gewinnstreben und gute Architektur zu lebenswerten Stadtteilen zusammengefunden haben. In allen anderen Fällen liegt es nur am Wetter, ob man sich wohl fühlen kann.

Wolfgang Bachmann, geb. 1951, schrieb nach dem Architekturstudium seine Dissertation und arbeitete danach in verschiedenen Architekturbüros. Er war zunächst für die Zeitschrift „Bauwelt“ und später als Chefredakteur beim „Baumeister“ tätig, dessen Herausgeber er seit 2011 ist.

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