"Brauchen wir weniger Denkmalschutz?"
Ja! 14%
Nein! 86%
Seit 1970 hat sich die Menge der Denkmale in Deutschland versiebzigfacht und die Zahl steigt stetig. Die Denkmalschützer sammeln fleißig weiter, um der reichen und wechselhaften Geschichte Deutschlands, die sich im besonderen Maße in der Architektur widerspiegelt, gerecht zu werden. Längst werden nicht mehr nur einzelne Monumente weit zurückliegender Jahrhunderte wie Schlösser oder Kirchen unter Schutz gestellt, sondern auch – für manche zu Unrecht – Wohn- und Nutzbauten der Moderne und Nachkriegsmoderne sowie ganze Ensemble, Straßenzüge und Landschaftsbilder. Mittlerweile klopft der Denkmaschutz sogar an Türen kürzlich fertiggestellter Gebäude, wie im Beispiel der Therme in Vals von Peter Zumthor. Heute wird in der Gegenwart entschieden, was in der Zukunft schützenswert ist.
Diese quantitative Zunahme und qualitative Neubewertung der Baudenkmale wirft jedoch die Frage auf, ob die rigide Definition von Denkmalschutz, die nahezu jede Form von Veränderbarkeit und Anpassung an heutige Lebensverhältnisse ausschließt, noch haltbar ist.
Mit dem Schutz sind gesetzliche Auflagen verbunden, denn Ziel des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege ist es, dafür zu sorgen, dass Denkmale dauerhaft erhalten und nicht verfälscht, beschädigt, beeinträchtigt oder zerstört werden. Größere bauliche Eingriffe sind demnach meist ausgeschlossen oder nur innerhalb eines eng gesetzten Rahmens – der oft mit einem hohen Kostenaufwand verbunden ist – realisierbar. Der Originalzustand eines Bauwerks oder eines Stadtbilds, der Aufschluss über vergangene Lebensweisen und Arbeitsverhältnisse gibt, soll dadurch erhalten oder wieder hergestellt werden.
Obwohl viele Denkmalpfleger immer wieder betonen, dass eine Musealisierung von Gebäuden nicht unbedingt zu deren Erhaltung und Wertschätzung beiträgt, sondern gerade „lebendige“ Nutzungen helfen, sie zu bewahren, ist es schwer, für Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen, eine zeitgemäße Nutzungen zu finden ohne größere bauliche Eingriffe vorzunehmen. Ist also die Möglichkeit der Transformation der Schlüssel zu einem effizienten, gesellschaftlich akzeptierten Denkmalschutz?
Der im Jahr 305 n. Chr. fertiggestellte Diokletian Palast in Spilt (Kroatien) ist ein einzigartiges Beispiel für so eine gelungene Transformation. Über die Jahrhunderte hinweg und unter verschiedenster kultureller Einflüsse und Herrschaften – von byzantinisch, venezianisch bis österreichisch-ungarisch – wurde der Palastkomplex von einem kaiserlichen Altersitz zu einem komplexen, städtischen Gewebe, dem Ursprung der Stadt Split, transformiert. „Ein Haus für einen Kaiser wurde eine Stadt für 3000 Menschen von Split“, erklärte der holländische Architekt Jaap Bakema 1962 fasziniert. Für ihn und die anderen Architekten des TEAM X, aber auch später für Aldo Rossi wurde der Diokletianspalast zum Paradigma eines permanenten Weiterbaus der Geschichte, bei dem sich Respekt vor der Vergangenheit und ihre bauliche Transformation nicht ausschließen. Daraus erwächst die Möglichkeit eines Denkmalschutzes, der seinen Gegenstand nicht musealisiert, sondern permanent aktualisiert, ohne dabei seine Strukturen unlesbar zu machen.
Diese eher pragmatische Herangehensweise kommt einer anderen aktuellen Position in der Debatte um Denkmalschutz im städtischen Kontext nahe, die sich weniger für die detailgetreue Erhaltung einzelner Gebäude, Ensembles oder gar Straßenzüge ausspricht, sondern welche diesen Elementen zugrunde liegende Anordnung als das eigentlich Schützenswerte betrachtet. Denn sind es nicht die räumlichen Strukturen und Dimensionen, die einer Stadt ihre Identität geben? Paris wäre vermutlich immer noch Paris, auch wenn stellenweise die Haussmannischen Gebäudefassaden zeitgenössischen weichen würden, solange das charakteristische Straßennetz aus großmaßstäblichen Boulevards und engen Gassen erhalten bliebe.
So mancher Bürger würde größere Gestaltungsmöglichkeiten bei dem Umgang mit Baudenkmalen sicherlich begrüßen und dankbar annehmen. Der Unterhalt und die Nutzung eines geschützen Gebäudes wäre einfacher und kostengünstiger, wodurch sicherlich auch die Entscheidung zum Kauf eines denkmalgschützten Bauwerks leichter würde. Dies käme dem Baudenkmal sowie der Denkmalpflege selbst zugute, denn gerade in Deutschland ist sie auf bürgerliches Engagement angwiesen. Brauchen wir also weniger Denkmalschutz?
Diese Debatte wird von der Redaktion der Architekturzeitschrift „Metamorphose – Bauen im Bestand“ begleitet. "Metamorphose" ist ein Sonderteil der „db – Deutschen Bauzeitung“, der sich intensiv mit allen Aspekten des Themas Umbau und Bauen im Bestand widmet.
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Die Frage nach einer quantitativen Bewertung des Denkmalbegriffs schließt die Frage seiner qualitativen Beurteilung ein. Die Auseinandersetzung um die Frage „Brauchen wir weniger Denkmalschutz?“, sollte deshalb um den Aspekt erweitert werden, welches Denkmal wir brauchen. Dies stellt vor allem den besonderen Wert in den Fokus, der von einer Unterschutzstellung ausgeht. Denkmalschutz sollte also immer eine Qualitätszuweisung für herausragende Objekte sein. Eine „flächendeckende Denkmalpflegisierung“ der gebauten Umwelt ist hingegen zu vermeiden, um keine unnötige Inflation des Begriffs voranzutreiben und die Kapazitäten von Denkmalschützern sinnvoll zu binden. Und dennoch bedarf es zugleich einer Öffnung der Debatte, die auch die Würdigung der „ungeliebten“ Nachkriegsmoderne der 60er und 70er Jahre ermöglicht, um zunehmend bedrohte Objekte dieser Zeit zu erhalten und deren Wertschätzung in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken. Gleichwohl gilt es, eine dogmatische Herangehensweise zu umgehen, um neben dem Erhalt, die Nutzung und eine zukunftsfähige Entwicklung der Objekte zu ermöglichen. Die Bewertung und Unterschutzstellung von Gebäuden oder ganzen Ensembles muss deshalb eine Auseinandersetzung im Einzelfall sein, die der jeweiligen Bauaufgabe, der Bautechnik oder dem Ensemble gerecht wird und sich deutlich von einer volkstümlichen, marketingkonformen „Etikettierung“ abgrenzt.
Ansgar Schulz, geboren 1966 in Witten/Ruhr, studierte Architektur an der RWTH Aachen und der ETSA de Madrid. Sein Bruder Benedikt Schulz, geboren 1968 in Witten/Ruhr, studierte Architektur an der RWTH Aachen und der UC de Asunción/Paraguay. 1992 gründeten sie das Büro schulz & schulz mit Sitz in Leipzig. Seit 2010 leiten sie als Vertretungsprofessoren den Lehrstuhl Baukonstruktion an der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund. Seit der Bürogründung 1992 erhielten Ansgar und Benedikt Schulz über 100 Prämierungen bei Wettbewerben und Architekturpreisen. Beide Brüder sind regelmäßig Jurymitglieder bei Architektenwettbewerben, Planungsgutachten und Architekturpreisen.
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