"Schließen sich Energiewende und bezahlbares Wohnen aus?"
Ja! 50%
Nein! 50%

Ehemaliges Doppelhaus in Eisenach, die linke Haushälfte ist mittlerweile abgerissen, Foto: Max von Trott
Bis vor kurzem galt es als ausgemacht, dass die Bewältigung der Energiewende in der Architektur ein rein technisches Problem sei, das Architekten, Ingenieure und Klimatechniker lösen könnten. Doch mittlerweile wird immer klarer, dass die Energiewende in Wirklichkeit die soziale Frage der Architektur neu stellt. Ob wir es wollen oder nicht, die energetische Optimierung der Architektur macht das Bauen zumindest kurz- und mittelfristig teurer. Die Kosten der energetischen Sanierung des Bestandes durch zusätzliche Außendämmung werden in der Regel auf die Mieter umgelegt – mit der Folge, dass sich viele von ihnen ihre Wohnungen nicht mehr leisten können (ein Problem, dass sich bei der Entsorgung dieser Kunststofffassaden in 20 bis 30 Jahren wiederholen wird). Auch führen stetig verschärfte Neubaustandards zunächst zu Mehrkosten. Dass diese durch spätere Einsparung bei den Betriebskosten wieder reingeholt würden, ist bisher nur ein Versprechen, aber noch nicht nachgewiesen.
Diese Verteuerung des Bauens für den guten Klimazweck fällt in eine Zeit, in der die Energiekosten insgesamt steigen. Energiearmut ist mittlerweile ein Alltagsphänomen. Einer Studie der Verbraucherzentrale NRW zufolge haben 10 bis 15 Prozent der deutschen Bevölkerung Schwierigkeiten, ihre Strom- und Gasrechnung zu bezahlen, heizen im Winter nur noch stundenweise und lassen abends auch mal die Lichter aus. Jährlich bekommen 600.000 Haushalte den Strom von ihrem Versorger gleich ganz abgedreht. Erschwerend kommt hinzu, dass private Haushalte über die gerade noch einmal erhöhte EEG-Umlage auch den Löwenanteil der Ausbaukosten der Erneuerbaren Energien tragen müssen. Dagegen werden immer mehr „energieintensive Betriebe“ im Interesse ihrer globalen Wettbewerbsfähigkeit von dieser Umlage befreit. Dabei handelt es sich derzeit um mehr als 1000 Unternehmen (darunter auch Hähnchenmastbetriebe und Golfplätze), die ca. 18 % des gesamten Stroms verbrauchen, aber nur 0,3 % der Kosten des Energieausbaus beitragen.
Wenn aber der notwendige ökologische Umbau unserer Gesellschaft zunehmend mit sozialer Ungerechtigkeit assoziiert wird, droht auch die Energiewende im Bauen in Verruf zu geraten. Wenn sie nicht scheitern soll, müssen Architekten Wege aufzeigen, wie wir heute sowohl nachhaltig als auch bezahlbar bauen können. Strategien des energetisch effizienten und Ressourcen schonenden Stadtumbaus, wie sie Druot, Lacaton & Vassal mit ihrem Tour Bois le Prêtre in Frankreich vormachen, zeigen neue Spielräume auf, die kürzlich der Wiener Standard aufdeckte. Oder steht uns dabei der deutsche Paragraphenwald im Weg und müssen wir deswegen das neue Energiepräkariat als unvermeidlichen Kollateralschaden des klimagerechten Bauens hinnehmen? Schließen sich also Energiewende und bezahlbares Wohnen aus?
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... zumindest solange wie sich die Energiewende unter dem nicht unerheblichen Einfluss der Dämmstoffindustrie nur auf die Einsparung von Energie bezieht und somit nur den Verbrauch betrifft. Doch das ist grundlegend falsch und realitätsfremd. Wenn Energiewende und bezahlbares Wohnen sich sich nicht mehr ausschließen sollen, muss man die Bedeutung von Energie für das Bauen viel umfassender darstellen. Als erstes müsste man eine gesamtenergetische Bilanzierung durchführen, in der z. B. die eingesetzten Dämmstoffe samt Entsorgung und Kosten mit eingerechnet werden. Jedes Kapital hat schließlich Prozesse hinter sich, die wiederum mehr Energie verbrauchen. Dann hätte man eine genauere Evaluierung, in der auch die graue Energie, die z.B. in der energetischen Sanierung von Altbauten oder in Abriss und Neubau steckt, mit kalkuliert wird.
Es müsste also die ganze Energieeinsparverordnung umgeschrieben werden, und dafür ist die Frage nach dem Standard entscheidend: Es macht doch überhaupt keinen Sinn, wenn die aktuelle ENEV vorschreibt, Passivhäuser mit einer mechanischen Lüftung zu bauen. Da geht jede Wohnqualität verloren. Die Energiewende müsste schneller und vor allem auch inhaltlich stärker vorangetrieben werden – das könnte mit indirekten Mitteln funktionieren. Wäre es nicht sinnvoller und besser, in kleineren Räumen zu wohnen, die dafür eine höhere Qualität haben? Oder, als Alternative dazu, einen Innenraum nicht mehr in seiner Gesamtheit identisch zu temperieren, sondern ihn in verschiedene Klimazonen aufzuteilen und diese je nach Bedarf unterschiedlich zu temperieren? Das ist in der ENEV komplett ausgeschlossen, alternative Berechnungsmethoden sind da undenkbar. Das liegt auch daran, dass in diesem Werk von Grund an eine Eigenlogik eingeschrieben ist, die eben immer in einer maximalen Dämmung resultiert.
Wir müssen uns heute mit anderen Typologien, Nutzungen und viel kleineren Raumkonzepten auseinandersetzen, und das bedeutet: Viel kleiner Wohnen! Es wird immer mehr Wohnraum verbraucht und es wird ebenso immer mehr gedämmt. Diejenigen, die über sehr viel Wohnraum verfügen, haben die gleiche ENEV Energieeinsparverordnung zu erfüllen, obwohl sie pro Kopf wesentlich mehr Energie verbrauchen. Dabei gibt es pro Person einen gewissen Fußabdruck, der sich an verschiedenen Stellschrauben einstellen lässt. Wenn man sagen würde, pro Person und pro Wohnung darf nur ein bestimmtes Maß an Energie verbraucht werden, hätte das Konsequenzen: Jemand, der sich 250 Quadratmeter gönnt, müsste dann auch einen halben Meter Dämmung und eine Zwangslüftung haben. Andere hingegen, die auf bescheidenen 30 Quadratmetern wohnen, dürften viel freier bauen. Das könnte ein starker Anreiz sein, anders über Größen nachzudenken. Außerdem würde es ermöglichen, günstiger zu bauen und gleichzeitig die Beschränkungen, die eine Hochwärmedämmung mit sich bringen, auch gestalterisch zu umgehen. Für das Bauen im Bestand würde das bedeuten, wenn man schon auf 250 Quadratmetern wohnt, dann heizt man im Winter eben nur 50 Quadratmeter. Der Rest der Wohnung wird dann zu einer Übergangszone zwischen Innen und Außen, ähnlich wie ein Wintergarten, und da kann man sich durchaus schon mal warm anziehen.
Arno Brandlhuber ist Gründer des Architekturbüros Brandlhuber+, zuerst in Köln, seit 2006 in Berlin. Seit 2003 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Architektur- und Stadtforschung an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Als Spin-Off seines Studienprogramms initiierte Brandlhuber 2009 zusammen mit Anna-Catharina Gebbers, Silvan Linden und Christian Posthofen in Berlin das öffentliche Seminar akademie c/o, das sich im Wesentlichen mit der Raumproduktion der Berliner Republik beschäftigt.
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