"Ist die autofeindliche Stadt erstrebenswert?"
Ja! 73%
Nein! 27%
Autogerechte Stadt in Hamburg 2012, Foto: BKULT
Die autogerechte Stadt ist ein Leitbild, dass sich tief in unseren Alltag eingeschrieben hat. Mehrspurige Hauptverkehrsstrasse, Tempo 50 und öffentlicher Raum als Parkplätze zeugen auch im 21. Jahrhundert von der Dominanz des Automobils im Großstadtverkehr – als wäre die Umweltbewegung und Ideen einer „autofreien Stadt“ ungehört geblieben. Das massive Verkehrsaufkommen und die wirtschaftliche Potenz der deutschen Automobilindustrie scheinen wenig Raum für Veränderung zu bieten. Zugleich wird vielerorts der Ausbau des Bus- und Bahnnetzes sowie neuer Mobilitätsdienstleistungen angegangen. Selbst rund um den New Yorker Times Square werden Fahrspuren Fahrradfahrern und Füßgängern zugeschlagen.
Es ist jedenfalls was im Umbruch. Der Verkehrsraum wird wieder als öffentlicher Raum diskutiert, den es zu gestalten gilt. Ob dabei Verteuerung oder Umbau adäquate Mittel zum Zweck sind bleibt offen. Die baulichen Veränderungen hin zu gleichberechtigten Verkehrsmitteln sind jedenfalls noch im Frühstadium einer gestalterisch anspruchsvollen Umsetzung. Mal wird die Großzügigkeit alter Boulevards beschworen, mal der „shared space“ als Mittel von Entschleunigung proklamiert. Neue Wahrheiten zur stadtgerechten Mobilität werden verkündet, die neue Feindbilder wie zum Beispiel den „Kampfradler“ hervorbringen. Solche Phänomene führen uns zu der Frage: ist die autofeindliche Stadt erstrebenswert?
PS: vgl. Hamburger Appell für mehr Baukultur in der Verkehrsinfrastruktur (hamburger-appell-2012.pdf)
Ja ...
Ja ...
Ja ...
Jein ...
Jein ...
Nein ...
Ja ...
Ja ...
... obwohl ist die Kategorie „Feind“ auf eine Maschine wie das Auto grundsätzlich nicht anwendbar ist. Städte sind das Ergebnis komplexer sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen zwischen Menschen in einem jahrtausendelangen Entwicklungsprozess. Verkehrlich sind sie in den Binnenbeziehungen Orte der Mikromobilität aus eigener Kraft in vielfältigen differenziert gestalteten Lebensräumen nach menschlichem Maß in einem sicheren attraktiven Umfeld. Gegen die vielfältigen Bedrohungen von außen versuchten sich die Städte seit jeher zu schützen. Der gestellten Frage kann daher nur im übertragenen Sinn beantwortet werden, indem man unter „Feind“ eine als Bedrohung wahrgenommene (natürliche) Erscheinung (Seuche ist der größte Feind der Menschheit) interpretiert.
Das Auto, wie es heute behandelt wird, stellt eine Bedrohung nicht nur des urbanen Lebens, sondern der grundlegenden Strukturen einer menschengerechten Stadt dar. Die individuelle Beziehung zwischen Mensch und Auto wurde im 20. Jahrhundert durch Vorschriften, die Planungs- und Baupraxis und die Kultur der autoorientierten Gesellschaft über die Bedürfnisse einer menschengerechten, gesunden und sicheren Stadt und ihrer Lebensräume gestellt. Die dadurch erfolgte Umwandlung ehemaliger Lebensräume in Todeszonen und Abstellflächen für Maschinen bedroht und zerstört die Lebensqualität urbaner Räume, die lokale Wirtschaft, die Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung. Es handelt sich um einen feindlichen Akt gegen den Organismus einer menschlichen Stadt, dem zu begegnen ist, aber nicht emotional feindlich, sondern sachkundig und ursachenbezogen.
Die Antwort auf die Frage ist daher durch die Wertehierarchie zu finden. Sicherheit, Erhaltung und Förderung der Gesundheit, ungestörte soziale Beziehungen und die Vielfalt der Möglichkeiten ohne Abhängigkeit von externen Energiequellen, die Schönheit der Gestaltung und die Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten für die Menschen in Freiheit kann man als erstrebenswerte Ziele bezeichnen und damit die Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten.
Em. O. Univ. Prof. DI Dr. Hermann Knoflacher, geb. 1940, Studium Bauingenieurwesen, Vermessungswesen, Mathematik an der TU Wien, eigenes Ingenieurbüro seit 1971, zahlreiche Gesamtverkehrskonzepte in Österreich und im Ausland geplant und realisiert, Leitung von internationalen Forschungsgruppen und Projekten u.a. in der OECD, PIARC, 1968 Gründung des Institutes für Verkehrswesen im Kuratorium für Verkehrssicherheit, 1975 Professor für Verkehrsplanung an der TU Wien, dort 1985-2008 Vorstand der Institutes für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, liest an Universitäten in Europa, Japan, Indien, Thailand.
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