"Ist nachhaltige Architektur verlogen?"

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U-Werte, sommerliche Kühlung, winterlicher Wärmeschutz, automatisierte Gebäudelüftung und effiziente Wärmerückgewinnung – mit diesen Waffen wetteifern Architekten und Ingenieure um das nachhaltigste Gebäude und rackern sich ab im Hamsterrad der Effizienz.

 

Bei der Lektüre des neuen Klimaberichts, der sich verheerender denn je liest, kann einen der leise Zweifel beschleichen, ob Bauen jemals nachhaltig sein kann: Gebäude versiegeln den Boden, der Baustellenbetrieb ist die reinste Energieschleuder, von der ressourcenintensiven Materialproduktion (z. B. Zement) und dem späterem Verbrauch im Betrieb ganz abgesehen. Allein angesichts der sogenannten „grauen Energie“ mag man dem propagierten Nullsummenspiel von energieautarken Bauten oder solchen, die sogar mehr produzieren als sie verbrauchen, kaum mehr Glauben schenken. Die aufwändigen Maßnahmen zugunsten der „Nachhaltigkeit“ kommen mehr einer minimalen Schadensbegrenzung gleich anstatt die Klimakatastrophe aufhalten zu können.

 

Aber selbst wenn Architektur energieneutral wäre, wie könnte unser Leben in den derzeitigen Strukturen nachhaltig sein? Unser ökonomisches System stellt uns doch vor ein Dilemma: Moralisch zum Sparen verdammt müssen wir wirtschaftlich immer weiter wachsen und ständig Neues produzieren. Und die Baubranche ist ein wesentlicher  Teil dieser zwanghaften Gewinn-Ökonomie. Sie muss immer neue Bauprodukte und Gebäuden liefern, selbst wenn wir zumindest hierzulande durchaus genügend nutzbare Substanz hätten. Das kann nicht nachhaltig sein. Wie können Architekten aber mit diesem Dilemma umgehen? Wieweit geht ihr Einfluss? Brauchen wir radikalere Mechanismen und weitreichendere politische Korrekturen der ökonomischen Logik? Im Sustainability-Diskurs geht es neben dem Streben nach Effizienz immer mehr auch um das Prinzip der Suffizienz, also um die Frage, was wirklich zur Existenzerhaltung nötig ist. Sind die Versprechungen der Nachhaltigkeit also verlogen, solange wir in einen System leben, das auf  Gewinnmaximierung und Wachstum basiert?

 

Diese Frage stellen wir in Kooperation mit dem Journalisten Peter Reischer.

 

Dagmar Hotze / 5.12.2013 / 9:23

Journalistin und Inhaber von greenIMMO Medien

Jein ...

Weder Ja noch Nein.Denn was ist "nachhaltige Architektur"? Was macht die Qualität eines "nachhaltigen Gebäudes" aus? Darauf sind bisher kaum Antworten gefunden. Und die Lösungen, die aktuell praktiziert werden, allen voran Dämmen und Zertifizieren, dienen einigen Wenigen. Aber nicht den Gebäuden, der Umwelt, dem Klima und schon gleich gar nicht den Nutzern. Und solange der Nutzer nicht im Mittelpunkt steht, sondern das Diktat zur Effizienz und die Maximierung von Rendite die Debatte und das Handeln bestimmen, wird es keine Zukunftsorientierung geben.Was ich mir sehr für die Zukunft wünsche, ist ein interdisziplinärer Dialog zwischen den am Bau Beteiligten. Damit überhaupt erst einmal die Frage geklärt wird: Was wollen wir denn erreichen, wenn wir Gebäude modernisieren, wenn wir Neues konzipieren, wenn wir für die Zukunft bauen? Bisher wird alles unter dem Aspekt der Energieeffizienz betrachtet. Gottlob hat die IBA Hamburg den Bogen wesentlich weiter gespannt und die Ebene des Quartiers oder sogar der Stadt in den Blickpunkt gerückt. Und dieser Blickwinkel hat die Debatte um Nachhaltigkeit ein ganzes Stück weitergebracht! Nicht das solitäre Gebäude muss betrachtet werden, sondern der Kontext in dem es steht. Wie funktioniert es im Zusammenhang mit einer regenerativen Energieversorgung, im sozialen Gefüge, bezüglich einer zeitgemäßen Verkehrsanbindung und und und.Notwendig ist auch ein der Zeit entsprechendes Planungsrecht - auch das ist während der IBA Hamburg mehrfach angesprochen worden. Diese ganzen Themen müssen fortgeführt und weiterentwickelt werden! Und zwar branchenübergreifend! Darüber hinaus muss die Vernetzung der unterschiedlichen Disziplinen intensiviert werden. Dann sind wir in der Lage, Antworten auf die Frage zu geben. Zwar nicht, ob "nachhaltige Architektur" verlogen ist. Aber im Hinblick darauf, was "nachhaltige Architektur" denn überhaupt ist.Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten!Mit besten Grüssen aus HamburgDagmar Hotze   
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Peter Reischer / 27.11.2013 / 14:41

Journalist & Kooperationspartner der Debatte

Jein ...

Resümee Ist nachhaltige ARCHITEKTUR verlogen?Sicherlich kann, soll man diese Frage so nicht stellen, wie auch Architekt Werner Hackermüller in seinem Kommentar richtig anmerkt. Es geht nicht um Architektur, diese wird oft nur als Vehikel benutzt um den Begriff Nachhaltigkeit zu versinnbildlichen. Im Prinzip geht es bei der Debatte, oder – besser gesagt – soll es bei dieser Debatte darum gehen, aufzurütteln, wach zu machen für die wahren Probleme und die Verschleierungsmechanismen, derer wir uns heute bedienen. Für viele Firmen und auch leider für viele Architekten, ist der Begriff ein Marketinginstrument geworden – dann ist Nachhaltigkeit verlogen. Nachhaltig verkauft sich eben gut.Gott sei Dank gibt es aber auch immer mehr Konsumenten – und dazu zähle ich mich auch – die die Tatsachen hinterfragen. Die versuchen herauszufinden, wie mit einfachen, um nicht zu sagen billigen, Mitteln etwas 'nachhaltiger' gemacht werden kann. Zum Beispiel in der Architektur: Warum muss ein Neubau besser sein, als eine Renovierung oder das Alte? Oder energieeffizienter? Ist der Preis ein Argument, sich für oder gegen Nachhaltigkeit zu entscheiden? Soll er das sein, oder müssen wir auch in dieser Hinsicht umdenken? Ist Bescheidenheit vielleicht die beste Nachhaltigkeit, so wie die nicht verbrauchte Energie die effizienteste ist?Die Kommentare von Thomas Auer und Sebastian von Oppen haben einen wesentlichen Punkt der Diskussion aufgegriffen, Verzicht oder Suffizienz sind die Themen der Zukunft. Ich bin allerdings als unverwüstlicher Optimist der Ansicht, dass die Zivilgesellschaft den 'turn-around' schaffen wird. Jeder Einzelne von uns muss Vorbild sein, mit Regeln, Zertifikate, Normen und Gesetzen wird es sicher nicht klappen. Das ist auch als Aufruf an alle Architekturschaffenden (wie Georg Reinberg und viele andere) zu verstehen, im Sinne von Immanuel Kant so weiter zu machen und sich nicht entmutigen zu lassen.
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Stefan Mohr / 21.11.2013 / 18:42

VONMEIERMOHR ARCHITEKTEN

Nein ...

Zunächst einmal vielen Dank an die Redaktion, dass sie dem Thema "Nachhaltiges Bauen" dieses Forum gegeben hat. In der Tat können wir dem zustimmen, dass allein der alltägliche Umgang und die Übersättigung durch den Begriff einen faden Beigeschmack hinterlässt und wir schon geneigt waren, den Begriff nicht mehr in unseren Projektbeschreibungen zu verwenden. Aber diesen einfach aus unserem Vokabular streichen und gegen einen neuen ersetzen ist ebenso sträflich, wie ein in seinen Grundmauern solides Haus einfach abzureißen. Insofern trifft es "Fluch oder Segen" sehr genau. In den vergangenen Monaten wurde also in unserem Büro viel darüber diskutiert. Wir versuchten uns dem Begriff "Nachhaltigkeit" von verschiedenen Seiten her  zu nähern, in dem wir die Deutung desselben in anderen Sprachen untersuchten und unser individuelles Verständnis formulierten, um daraus Grundsätze für unsere Arbeit abzuleiten.Als Essenz unserer Herangehensweise an jede neue Bauaufgabe steht, dass nachhaltig ist, was sich weiterentwickeln kann. Eine stetige, liebevolle Auseinandersetzung mit den Bauherren, dem Ort und den spürbaren und zu errechnenden Einflüssen führen immer zu einer nachhaltigen Architektur. Beginnend mit dem Entwurfprozess  als Vision - gemeinsamen ersten Strichen auf dem Skizzenpapier - sollte das Gebäude und seine Bewohner  eine fortwährende Entwicklung beginnen, welche nicht mit dem Ende der Bauarbeiten abgeschlossen sein darf.Maßgeblich ist das Bewusstsein, dass der Begriff, sowie seine Bedeutung ("als generationenübergreifender Erhalt") gewahrt muss, dass wir aller rein marketingorientierten Widrigkeiten zum Trotz erhaltenswerte Zustände erkennen und nutzen oder eben schaffen wollen. Wir sehen es als Verantwortung den Bauherren gegenüber, die ihr Vertrauen in uns setzen, aber auch gegenüber der Gesellschaft, unseren Kindern.Dafür bedarf es aber auch weiterhin einer Debatte wie dieser, welche den jeweiligen Ist-Zustand genau beleuchtet. So begrüßen wir in dem Zusammenhang auch das Zertifizierungs-Argument, dass hier eingebracht wurde.  Zertifikate in Hülle und Fülle, die der Verbraucher nicht zu unterscheiden vermag, geschweige denn, darauf vertraut.- - -Stefan Mohr studierte Architektur in der TU Dresden und der TU München, arbeitete für AllmanSattler Wappner in München und gründete dort sein eigenes Architekturbüro. Mit seinem Partner Helgo von Meier ist er seit 2009 als VONMEIERMOHR ARCHITEKTEN aktiv und erfolgreich mit Projekten in Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich und der Schweiz.Gestrandet sind die Planer mit ihrem Büro am Ammersee, bewusst abseits der bayerischen Hauptstadt.Projekte in der nahen Umgebung liegen ihnen besonders am Herzen. Das Feingefühl mit dem die Architekten Hand anlegen, findet vielfältige Resonanz in Architekturbeiträgen.www.vonmeiermohr.de
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Werner Hackermüller / 20.11.2013 / 15:11

Architekt, Wien

Nein ...

Wem immer diese Frage eingefallen ist:„Verlogen“ und auch das Gegenteil „ehrlich“ sind keine passenden Adjektive für nachhaltige Architektur. Leider ist daher bereits die Fragestellung  tendenziell – und in meinen Augen gefährlich – falsch. Nachhaltige Architektur, die glaubt, in allen Ehren und bester Absicht die Welt vor einem ökologischen Kollaps retten zu können, ist bestenfalls naiv – und auch das finde ich gefährlich. Nein, ich bin kein Pessimist. Ohne im Detail auf Schuldzuweisungen einzugehen, das ökologische Gleichgewicht der Erde ändert sich und damit auch das Klima. Darauf hat verantwortungsbewusste Architektur zu reagieren – aktiv oder passiv – andernfalls ist sie blind. Aktiv kann nachhaltige Architektur klimatische Änderungen beeinflussen, Tendenzen korrigieren, Änderungen verlangsamen, aber aufhalten wohl kaum. Passives Reagieren (zukünftige klimatische Verhältnisse einplanen) ist das mindeste technische Erfordernis – technisch gerade ok, menschlich sozial gesehen aber zu wenig. Das aktive Teagieren ist somit als kategorischer Imperativ zu sehen (siehe Hinweis auf Immanuel Kant). Die Frage „Wann rechnet sich das ?“ ist für einen kultivierten Menschen also obsolet, wie leider auch die Eingangsfrage. Dieses aktive Handeln ist von allen Beteiligten gefragt, vor allem gleichzeitig und auf allen Ebenen und sofort.  „Zuerst soll einmal der/die … anfangen …“ gilt nicht.  Hier fällt mir nur die Metapher ein: „Wir sitzen alle auf dem Ast, an dem wir alle gemeinsam sägen“. Wenn einer alleine aufhört zu sägen, oder den anderen vorher dazu bringen will, zuerst anzufangen… . Werner Hackermüller ist Architekt in Wien und plant seit 30 Jahren Wohnhäuser, zunehmend in ökologischem passiv- bis null-/plus Energiestandard mit Einsatz erneuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffe. Privat ist er ein Verfechter des Gemeinwohl- und  Suffizienzprinzips. Daher versucht er nach diesen Prinzipien zu leben, zu arbeiten und seinen Optimismus und positive Lebenseinstellung zu behalten.www.hackermueller.at
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Michael B. Hardt / 18.11.2013 / 11:40

Professor für nachhaltiges Design, Lappland

Jein ...

Nachhaltige Architektur ist nicht verlogen, allenfalls sind es Planer, die von sich behaupten, nachhaltige Architektur zu gestalten. Lügen setzt bewusstes Handeln voraus. Bewusstes Handeln baut auf Wissen. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, wissen die heutigen Planer nicht, was "nachhaltig" wirklich bedeutet. Manche bemühen sich zwar redlich um ökologisches und energieeffizientes Bauen; wer dies dann aber nachhaltig nennt, hat weder Ahnung von Nachhaltigkeit noch von Ökologie und Energieeffizienz. Sie lügen also nicht bewusst, sie reden nur wichtigtuerisch dummes Zeug. Angesichts der Städte, die nach bestehenden Normen eigentlich als Sondermüll entsorgt werden müssten, sind ökoeffiziente Einfamilienvillen im Grünen ein zynischer Witz.  Nachhaltigkeit ist das zyklische Zusammenspiel zwischen Energie und Masse, das Betriebssystem des Universums. Seit Jahrhunderten agiert der Mensch nicht mehr synchron mit diesem natürlichen, nachhaltigen Kreislauf und riskiert damit sein eigenes Überleben. Schuld daran haben Planer und Gestalter, wenn sie die kurzsichtigen Wünsche ihrer Auftraggeber mangels ausreichenden Wissens und wider wissenschaftlicher Erkenntnis gefügig erfüllen. Wenn ein Patient mit akuter Blinddarmentzündung den Arzt auffordert, zur Heilung die Mandeln zu entfernen, ist es die Schuld des Arztes, wenn der Patient trotz erfolgreicher Mandeloperation stirbt. Ärzte und Gestalter haben beide eine Aufklärungspflicht und die ethische Pflicht, nicht gegen besseres Wissen zu handeln.  Wir wissen, dass wir nur noch wenig Zeit haben, die künstliche Nachhaltigkeit wieder mit der natürlichen Nachhaltigkeit zu synchronisieren. Die politischen Grundlagen sind seit dem Brundtland Report von 1986 längst gelegt. Die heutigen Planer versagen mangels Bewusstsein um ihre Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen. Die grünen 68er haben leider ihre Chance vertan: ‚Besserwissen' heißt nicht ‚besser wissen‘.  Eine neue Generation ist in Ausbildung: junge, kreative und zornige Studenten, die den Ehrgeiz haben, nicht die Fehler ihrer Vorgänger zu wiederholen, sondern zu beheben. John Thackara stellte treffend fest: „Wir konnten uns in Probleme reingestalten, wir können uns da auch wieder rausgestalten“. Es gibt also Hoffnung. Prof. Michael B. Hardt unterrichtet Nachhaltiges Design an der Universität von Lappland in Rovaniemi, Finland. Er lebt in Schweden. 
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Volker Eich / 18.11.2013 / 10:25

Strategiekreis Architekten Business Design

Nein ...

Ich glaube nicht, dass nachhaltige Architektur verlogen sein kann. Fragwürdig ist vielmehr der Glaube, nachhaltige Architektur allein könne unser Klimaproblem lösen. Verlogen ist ein fadenscheiniges Zertifizierungssystem, das so offensichtlich der Gewinnmaximierung der Industrie dient. Wenn der Begriff der Nachhaltigkeit diskutiert wird, werden - wie auch in dieser Diskussion - meistens zwei Gründe angeführt, die der Nachhaltigkeit im Wege stehen. Das ist erstens das menschliche Gewinnstreben, das leider immer noch die größte Antriebskraft in unserem Wirtschaftssystem zu sein scheint. Und das ist zweitens das Wachstum der Wirtschaft selbst, das wir mit einem ausbeuterischen Ressourcenverbrauch gleichsetzen. Dieser Verknüpfung möchte ich widersprechen. Während das Paradigma der Gewinnmaximierung nicht im Einklang mit den Gesetzen der Natur steht, kann man das vom Begriff des Wachstums nun wirklich nicht behaupten. In der Natur bedeutet Wachstum: EVOLUTION. Wachstum ist der natürliche Zustand eines jeden Systems. Wenn ein System nicht mehr wächst, geht es zu Grunde. Ich habe heute morgen ein bisschen in meinem eigenen Buch gestöbert und habe diese Zeilen gefunden: "Wenn wir die Geschichte der Wirtschaft betrachten, so können wir erkennen, dass es seit der Erfindung des Rades bis zur Entwicklung der modernen Computertechnologie regelmäßig aufeinanderfolgende Wachstumszyklen gegeben hat, die immer von einer einzigen Basisinnovation angetrieben wurden, die zu ihrer Zeit jeweils die Welt verändert hat. Diese Zyklen wurden nach Ihrem Entdecker Nikolai Kondratieff benannt. Im Industriezeitalter haben die Kondratieff-Zyklen jeweils eine Dauer von rund fünfzig Jahren gehabt. In dieser Zeitspanne haben zuerst die Dampfmaschine (1780-1850), danach die Eisenbahn (1840-1900), die Elektrizität und die chemische Industrie (1890-1950), die Ölindustrie und die Automobilindustrie (1940-1990) und zuletzt die Informationstechnologie (1980-2010) einen Wachstumsschub bewirkt, der jeweils so lange andauerte, bis der Markt gesättigt und eine natürliche Wachstumsgrenze erreicht war. Jede nachfolgende Basisinnovation konnte sich jeweils durchsetzen, weil sie den Entwicklungsengpass der vorangegangenen Wachstumsphase gelöst hat. So gelang zum Beispiel die Ausbreitung der Eisenbahn, weil die Erfindung der Dampfmaschine die Produktion in der Textilindustrie in großem Maßstab vorangetrieben hatte. Das Verteilungssystem, das damals noch auf dem Einsatz von Pferd und Wagen beruhte, war an seine natürlichen Grenzen gelangt und wurde durch den Ausbau des Eisenbahnsystems ersetzt. Gegenwärtig befinden wir uns am Ende des Informationszeitalters, denn der Markt, den die Informationstechnologie erschaffen hat, ist weitgehend gesättigt. Die eigentliche Sensation dieser zur Neige gehenden Zeit lag in der parallelen Entwicklung von Hardware und Software, die den Übergang von der Maschine zu geistig-seelischen Innovationen markiert. Es spricht einiges dafür, dass die Basisinnovation des nächsten Kondratieff-Zyklus wahrscheinlich keine technologische Erfindung sondern eine Innovation des Bewusstseins sein wird. Die gesamte Menschheit hat am Beginn des 21. Jahrhunderts einen globalen Veränderungsschub zu bewältigen, der in seiner Komplexität mit keiner der vorangegangenen Entwicklungsphasen vergleichbar ist. Eine Gemeinsamkeit aller bisherigen Entwicklungsstufen besteht darin, dass sie dem jeweils vorangegangenen System regelmäßig zu größerer KOMPLEXITÄT und damit zu neuen Wachstumsmöglichkeiten verholfen haben. Damit wird ein typisches Muster der Evolution sichtbar, denn die gesamte Evolution beruht auf stetig zunehmender Komplexität." Mit anderen Worten: Wir werden wahrscheinlich das Wachstum unserer Bauwirtschaft in Zukunft so organisieren, dass unsere Märkte komplexer werden. Wir werden mehr geistige Leistungen erbringen, weil wir auf diese Weise die Ressourcen schonen können, die uns zur Verfügung stehen. Wir werden lernen, dass sich der Gewinn als natürliche Folge unseres Handelns von selbst einstellt, wenn unser Handeln im Einklang mit der Natur geschieht. Und wir werden erleben, dass das Ringen um nachhaltige Architektur seine Glaubwürdigkeit erhält, sobald die Beteiligten zu nachhaltigen Geschäftmodellen bereit sind. Volker Eich, wurde 1954 in Köln geboren. Er lebt in Leipzig und hat von 1982 - 1998 als Architekt gearbeitet. 2013 hat er DAS STRATEGIEBUCH FÜR ARCHITEKTEN publiziert. WWW.STRATEGIEKREIS-ARCHITEKTEN.DE 
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Jörg Seifert / 17.11.2013 / 12:05

Architekturkritiker und Stadtforscher, Hamburg

Nein ...

Nachhaltigkeit in der Architektur ist keineswegs verlogen. Allerdings ist die Diskussion in den letzten Jahren viel zu polemisch und einseitig in Richtung Emissionsreduktion und Wärmedämmung geführt worden. Nachhaltig ist Architektur vor allem auch, wenn sie auf Langlebigkeit ausgerichtet ist. Die primären Elemente Rossis – also große prägende Strukturen – fallen hierunter, aber auch anonyme Wohnarchitekturen, die über Jahrhunderte ihren Zweck erfüllen, weil sie anpassbar bleiben und mit geringem Aufwand unterhalten werden können. Und schließlich, darauf hat auch der diesjährige Schumacherpreisträger Thomas Sieverts hingewiesen, bildet auch die ästhetische Komponente – Schönheit – eine wichtige Voraussetzung für nachhaltige Architektur und Stadtentwicklung. Das ist kein Plädoyer für gefälliges Bauen, sondern Ausdruck der Überzeugung, dass formalästhetische Qualitäten die Akzeptanz eines Bauwerks erhöhen und eine spätere Entscheidung über Erhaltung oder Abriss maßgeblich beeinflussen. Verlogen ist nicht der Begriff Nachhaltige Architektur an sich, diskreditiert wird er vielmehr im Zusammenhang mit dem Dämmwahn, der von der Baustofflobby initiiert wurde und seit Jahren von der Politik wesentlich mitgetragen wird. Es ist kein Geheimnis, dass WDVS und Zwangslüftung problematisch sind. Es ist müßig, auf die Entflammbarkeit des Styropor, die ungelöste Entsorgungsfrage, Biozideinträge im Wasserkreislauf durch Auswaschungen und die Gesundheitsgefährdungen durch verschmutzte Lüftungsanlagen hinzuweisen.    Und wer glaubt, Folgeprobleme später lösen zu können und Nachhaltigkeit in der Architektur immer noch mit einem Mehr an technischer Raffinesse zu erreichen, ist gedanklich in der Spätmoderne der 1960er und 70er stecken geblieben. Das heute ausgeklügelste System ist spätestens in 10 bis 15 Jahren ein Dinosaurier, der von den Nachfolgegenerationen bestenfalls noch milde belächelt wird, bevor man ihn verschrottet. Lowtech statt Hightech muss die Devise sein. Wir müssen anders Energie erzeugen, statt dem Einsparwahn zu verfallen und damit nur Symptombekämpfung zu betreiben. Politik kann und muss den ökonomistischen Logiken Alternativen entgegensetzen. Sieverts hat Anreizsysteme wie eine recyling-fee vorgeschlagen. Das wäre ein Anfang. Doch solange die Politik versagt, sind Architekten mit ihrer Kreativität gefragt, um Einzelfall für Einzelfall Ausnahmezulassungen auszuhandeln und vermeintlich unumstößliche Verordnungen geschickt zu umgehen.       Jörg Seifert ist als freier Kritiker, Fachjournalist und Stadtforscher tätig, seit 2008 lehrt und forscht er an der HafenCity Universität Hamburg.
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Achim Schröer / 16.11.2013 / 13:45

Bauhaus Universität Weimar

Jein ...

Energieeffizienz kann sich sehen lassen, keine Frage.Von den Pionierbauten von Thomas Herzog bis zum Wohnhaus von Werner Sobek hat Architektur mit hoher Eleganz und niedrigem Energieverbrauch die Zeitschriften gefüllt. Das schafft Vorbilder - aber vielleicht führt es auch in die Irre? Denn die Fortschritte beim einzelnen Bau werden wieder durch den fortschreitenden Flächenverbrauch aufgefressen und konterkariert, wie im Fall der fast schon sprichwörtlichen überdimensionierten Passivhaus-Villa im Grünen mit SUV-Fuhrpark. Mit etwas weniger Wohnfläche, größeren Haushalten, kürzeren Wegen und den richtigen politischen Anreizen für all das, wäre wohl mehr erreicht, als mit allem bautechnischen Fortschritt. Ist also effiziente Architektur überflüssig? Nein: Auch wenn Architektur am Ende von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Entwicklungen steht, auf die sie selbst kaum einen Einfluss hat - dort entscheidet sie. Über Energieverbrauch, über Materialeinsatz, über Nutzbarkeit, Flexibilität und Lebensdauer, und nicht zuletzt, ob über Gestaltung oder über „die Burka fürs Haus“ diskutiert wird. Wichtig wäre dabei aber ein anderer Schwerpunkt als heute: Denn es hat sich herumgesprochen, dass Klimaziele nicht durch spektakuläre Neubauten erreicht werden. Die großen Potentiale stecken in der Modernisierung des Bestandes - und die großen Herausforderungen in der Gestaltung. Während es bei Denkmalen um den Erhalt vorhandener Qualitäten geht, können manch andere Bauten von einer Überarbeitung durchaus profitieren. Muck Petzet und viele andere sind hier auf einem guten Weg, aber in der Ausbildung und in den Fachzeitschriften spielt der Hype um den Neubau nach wie vor eine zu große Rolle. Also: Architektur bleibt wichtig - aber vor allem im Bestand! Achim Schröer ist seit 2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar. Davor: Studium der Stadt- und Regionalplanung, Referendariat und Bayerische Staatsbauverwaltung mit Schwerpunkt Kommunalberatung zu energieeffizientem Planen und Bauen, Referent für Kommunalpolitik bei der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Sebastian Nerz / 15.11.2013 / 10:10

Bioninformatiker & Bürgerrechtler, Berlin

Ja ...

Kann Bauen nachhaltig sein? Die Frage müsste anders lauten. Kann Leben nachhaltig sein? Wir verbrauchen Energie, atmen CO2 aus und erzeugen Wärme. Unser Lebensstil ist insgesamt nicht nachhaltig. Bauen ist da nur ein Teilbereich. Wir brauchen Wohnraum, jeder muss ein zu Hause haben – und Privatsphäre. Ein Verzicht auf Wohnraum oder eine beliebig enge Ballung ist nicht möglich. Zudem sind Großstädte zwar sparsamer im Bezug auf die Fläche – aber verschwenderisch bei Energie und katastrophal für Smog und nicht-menschliche Lebewesen. Aber wir bauen verschwenderisch, isolieren unsere Häuser schlecht und überheizen. Dennoch ist Wohnraum eine Notwendigkeit, der Versuch einer möglichst nachhaltigen Bauweise ist dann das kleinste Übel. Wo Energieaufwendung notwendig, muss sie reduziert werden. Eine nachhaltige Architektur ist so gesehen und provokativ formuliert das kleinste Übel. Grundsätzlich ist die Wachstumsmaxime, der sich unsere Gesellschaft unterworfen hat, unsinnig. Es gibt kein ewiges Wachstum, schon unser Lebensraum ist begrenzt. Die Architektur hat hier die Verantwortung, sich nicht dem Wachstumswahnsinn zu unterwerfen. Architekten sind Berater der Bauherren – und müssen so Auswüchse des Wahnsinns verhindern. Nachhaltig ist das immer noch nicht. Aber der Begriff wird sowieso falsch verwendet. Er wird auf wenige Jahre bezogen wo er sich doch auf Generationen beziehen müsste. Nachhaltiges Bauen ist nachhaltiger als es nicht zu tun. Aber es kann nur ein Schritt voran sein, kein Ende.  Der 1983 geborene Bioinformatiker (Dipl.-Inform.) Sebastian Nerz ist seit 2009 in der Piratenpartei. Er möchte das Selbstverständnis der Politiker grundlegend verändern. Er versteht sich als Bürgerrechtler und setzt sich für einen neuen, gernationenübergreifenden Nachhaltigkeitsbegriff ein. 
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Sebastian von Oppen / 14.11.2013 / 10:54

Architekt, Berlin

Nein ...

… aber die Frage ermöglicht auch nur diese Antwort, weil verlogene Architektur nicht nachhaltig ist. Es sei denn man hält den Begriff der Nachhaltigkeit selbst für verlogen, aber warum sollte man das tun? Das Problem des massenhaften Missbrauchs dieses Begriffs steht auf einem anderen Blatt und stellt den Begriff an sich nicht in Frage. Zumal die Übernutzung des Begriffs auch nur von jenen empfunden wird, die tagtäglich damit zu tun haben und bei denen sich eine gewisse Betriebsblindheit eingestellt hat. Der Vortext zur Frage impliziert meines Erachtens eine andere Fragestellung, nämlich die, ob energieeffiziente Neubauten verlogen sind, die ich auch mit Nein beantworten würde. Suffizienz (oder Verzicht) ist eine gute Sache, aber da wir vom Wachstum abhängig sind, wie der Junkie vom Crack, kann man dies von mir aus lieber effizient herstellen. Über luxuriöse Passivhäuser auf der grünen Wiese will ich hier gar nicht sprechen, da diese mit Nachhaltigkeit wenig zu tun haben. Unwohl fühle ich mich persönlich auch mit künstlicher Wohnraumlüftung bei Passivhäusern. Gegen eine sinnvolle Dämmung spricht aber aus meiner Sicht nichts, solange denkmalpflegerische Aspekte Vorrang haben. Klar ist auch, dass Nicht-bauen immer besser ist, als energieeffizient neu zu bauen. Aber auch Nicht-neu-bauen ist nachhaltige Architektur. Der Satz von Adolf Loos bringt es auf den Punkt: „Eine Veränderung, die keine Verbesserung ist, ist eine Verschlechterung.“ Komplexer wird der Zusammenhang von Architektur und Nachhaltigkeitszertifizierungen. Hier liegt der Verdacht der Verlogenheit nicht zu Unrecht besonders nahe, da ein unvermeidbarer pekuniärer Zusammenhang zwischen Zertifizierungsstelle und dem zertifizierungswilligen Bauherrn besteht. Die Zertifizierung wirbt nicht nur für das Gebäude, sondern das goldzertifizierte Gebäude wirbt auch für die Zertifizierungsstelle und diese wird ohnehin vom Bauherrn bezahlt. Aber immerhin wird dann in besonderem Maße Anstoß genommen, wenn sich ein zertifiziertes Gebäude später als nicht besonders nachhaltig herausstellt. Dies führt dazu, das Fragen gestellt werden, die bislang nicht gestellt wurden. Dies kann durchaus positiv sein. Man muss also keine Ehrfurcht vor zertifizierten Gebäuden haben, aber die Zertifizierung verändert dennoch insgesamt das Bauen um ein kleines Stück. So fangen Baustoffhersteller neuerdings an, die Inhaltsstoffe Ihrer Produkte preiszugeben. Es werden also neue Standards gesetzt, die zwar ggf. nur durch Tricksereien eingehalten werden, aber immerhin nun als Ideal im Raum stehen. Das ist sicher ein kleiner Fortschritt. Und es ist immer besser, eine Vielzahl von Nachhaltigkeitsaspekten zu betrachten, wie dies Zertifizierungssysteme tun, als sich auf eine einzige Zahl zu beschränken - nämlich den Bedarf an Kilowattstunden pro Quadratmeter und pro Jahr eines einzelnen Hauses (und das auch nur in Form einer Bedarfsberechnung im Vorfeld die möglicherweise durch die Realität komplett widerlegt werden kann). Dies ist tatsächlich idiotisch, zumal die Kilowattstunden ggf. sinken, aber die Quadratmeter pro Person Jahr für Jahr steigen.Es bleibt aber problematisch, dass eine Zertifizierung eine Objektivität suggeriert, die im Einzelfall zu absurden Ergebnissen führen kann. Das Thema Suffizienz kann durch eine Zertifizierung gar nicht abgedeckt werden und Ihre Apologeten, wie der Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen Werner Sobeck u.a., halten jeglichen Konsumverzicht ohnehin für unnötig. Deshalb ist er als Keynote-Speaker in der Immobilienwirtschaft auch sehr beliebt. Da ist eben wieder der Junkie und sein Crack - das Wirtschaftswachstum. Hier liegt der nächste Knackpunkt. Eine einfache Lösung gibt es nicht, denn das Wirtschaftswachstum finanziert auch solchen Luxus, wie unseren Sozialstaat, den viele Menschen sehr schätzen, die auch gleichzeitig Suffizienz fordern. Wichtig ist nur, daß der Begriff der Nachhaltigkeit nicht durch seinen Missbrauch in Frage gestellt werden sollte, da es sich um ein zeitloses Thema handelt und die Häme, die dem Begriff entgegenschlägt, nicht dazu führen darf, dass wir uns unserer Verantwortung gegenüber kommenden Generationen nicht stellen. Jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten. Sebastian von Oppen ist Architekt aus Berlin und mit einem kritischen Auge im Bereich Nachhaltigkeitszertifizierung tätig.
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Thomas Auer / 13.11.2013 / 11:22

Ingenieur, Stuttgart

Nein ...

Ist Nicht-Bauen wirklich nachhaltig? Wäre dies die Prämisse, dann würde es keine Entwicklung geben, keine Innovation! Tatsächlich aber leben 7 Mrd. Menschen auf diesem Planeten und es braucht im Bausektor einen nie gesehenen Innovationsschub, wenn wir die gesteckten Ziele erreichen wollen– Reduzierung der CO2-Emissionen um 90% bis 2050 (EU Carbon Roadmap) – bei gleichzeitiger Urbanisierung von bis zu 3 Mrd. Menschen weltweit. Innovation bezieht sich selbstverständlich auf neue Gebäude, sowie dem Umgang mit der Gebäudesubstanz.Natürlich ist die Bausubstanz ebenfalls eine enorme Ressource – sowohl ökologisch als auch kulturell. Diese gilt es hinreichend und ganzheitlich zu bewerten. Das kann doch aber nicht heißen, dass jedes noch so unsägliche Haus für alle Ewigkeit erhalten bleiben muss. Tatsächlich ist die Energie für den Gebäudebetrieb i.d.R. ein Vielfaches des Aufwands für den Bau des Gebäudes (über die Lebenszeit betrachtet), sprich eine ganzheitliche Betrachtung verschiebt das Optimum in Richtung Erhalt, jedoch nicht endlos. Auch Land ist eine Ressource und wenn in einem innerstädtischen Kontext diese nicht vernünftig genutzt ist, dann unterstützt dies letztlich Gentrifikation und führt dazu, dass mehr Menschen täglich in die Stadtzentren pendeln müssen, weil sie sich ein Leben in der Stadt nicht mehr leisten können.Die Vielzahl der Facetten und eine ökologische Bilanz, die abhängig von den Bilanzgrenzen ist (z.B. Energie im Betrieb oder Betrieb und Bau? Auf welche Lebensdauer betrachtet? Bilanzgrenze Haus oder Stadt?), ist gleichzeitig Fluch und Segen für die nachhaltige Architektur.Segen: Die Vielschichtigkeit ermöglicht einen kreativen Umgang mit einer gegebenen Aufgabe, was Architekten und Ingenieure besser nutzen sollten, sodass sich die Innovationszyklen erhöhen.Fluch: Leider kann irgendwie alles für Nachhaltig erklärt werden und zu viel Kreativität wird verschwendet für die Entwicklung einer „Nachhaltigkeitsstory“."Ist nachhaltige Architektur verlogen?" Leider muss dies mit „häufig ja“ beantwortet werden, was jedoch nicht das Bemühen in Frage stellen kann und darf, denn sowohl Herausforderung als auch Verantwortung ist enorm. Letztlich müssen wir (Architekten und Ingenieure) bei jeder Bauaufgabe – unabhängig von Zertifikaten – folgende Fragen beantworten:Was macht dieses Gebäude besonders (Aufenthaltsqualität, architektonisch, ökologisch, etc.)? Was leistet das Haus für den Nutzer, die Nachbarschaft und die Gesellschaft als Ganzes? Wenn wir ehrliche Antworten finden, dann hat es sich gelohnt!  Thomas Auer ist geschäftsführender Gesellschafter der TRANSSOLAR Energietechnik GmbH, Stuttgart, eine Beraterfirma für KlimaEngineering. Als ausgebildeter Diplomingenieur entwickelt er weltweit Konzepte für Gebäude und Stadtteile, die sich durch innovatives Design und Energieeffizienz auszeichnen, wie z. B. die Westarkade KfW Bank, – Frankfurt, Manitoba Hydro – Winnipeg, Lycée Charles de Gaulle - Damaskus und Toronto Lower Don. Er ist Mitgründer der Initiative Future City Lab, unterrichtete bis 2009 an der Universität Yale, New Haven, hatte Lehraufträge an der ESA in Paris, Universität Sassari auf Sardinien und ist nun an der Ryerson University Toronto tätig.
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Peter Reischer / 12.11.2013 / 11:33

Journalist & Redakteur, Wien

Ja ...

Es gibt viele verschiedene Zugänge zur, und auch Wahrnehmungen der Nachhaltigkeit: • Techniker wählen den Weg der Daten, Regeln und Zertifizierungen;• Architekten manchmal den der Ökologie (wenn sie ihn überhaupt beschreiten);• Normalsterbliche verstehen darunter Grün, Effizienz und erneuerbare   Energiequellen;• Politiker versprechen sich davon Wählerfang und Machterhalt;• die Wirtschaft benutzt ihn als Verkaufsstrategie. Mit dieser Vielfalt ist der Begriff zu einem ‚Unwort‘ verkommen; schwammig, beliebig und ungenau. Vielmehr müsste man doch Nachhaltigkeit als kategorischen Imperativ im Sinn des Philosophen Immanuel Kant verstehen: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“Wenn man diesen Satz auf die halbherzigen Versuche mancher Architekturen, die nachhaltig sein wollen, auf die Gesetzgebung und auch auf das gesellschaftliche Verhalten der meisten Menschen anwendet, kommt die ganze Schizophrenie zu Tage: Es ist alles eine Lüge! Nachhaltigkeit wird in unserer westlichen Zivilisation fast nur als Methode der Gewinnmaximierung und Profitsteigerung benutzt. Genauso, wie es das ‚Greenwashing‘ gibt, wird mit diesem Wort eine Legalisierung für verschiedene Produkte gerechtfertigt, für jede gebaute Monstrosität, für jeden Eingriff in die Natur. Deshalb kann Architektur in Größenordnungen wie sie Zaha Hadid, Herzog & de Meuron oder ähnliche Architekturzampanos bauen, gar nicht nachhaltig sein. Der Begriff ‚Nachhaltigkeit‘ ist mittlerweile auch untrennbar mit dem Klimawandel, mit den damit zusammenhängenden Umweltkatastrophen, verbunden. Das menschliche Gehirn kann scheinbar die Gefahr einer weltweiten Temperaturerhöhung um 1,7 (oder auch mehr ) Grad nicht wahrnehmen. Etwas, das in vielleicht 20 Jahren eintreten wird und langsam herannaht, sieht es nicht als unmittelbare Bedrohung. Die Katastrophen, Unwetter, Überschwemmungen die in Amerika und Asien stattfinden, die sind (im Fernsehen) weit weg . Australien, aber nicht Austria. Das Thema Nachhaltigkeit muss holistisch gedacht und gehandelt werden. Nachhaltigkeit muss einen Prozess auslösen, eine Transformation unseres Systems und unseres materiell und gewinnorientierten Denkens auslösen, ansonsten ist sie Makulatur. Sie muss ganzheitlich bei der Bildung der jetzigen und der kommenden Generationen beginnen. Das ist ein Prozess der sowohl ‚bottom up‘ wie auch ‚from up to down‘ gleichzeitig laufen muss.  Die Zivilgesellschaft ist zwar die große Hoffnung, aber sie braucht Unterstützung, eine Lobby sozusagen. Von jedem von uns. Von der Ethik, auf die sich Kant bezog, sind wir jedoch meilenweit entfernt. Peter Reischer, Mag. arch., studierte Architektur an der Technischen Universität Wien und an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Arch. Schlesinger, Arch. Holzbauer, O.M. Ungers, Diplom bei Prof. Architekt Hollein. Bis 2009 war er als Manager, Grafiker und in der Werbung tätig, heute ist er leitender Redakteur des Fachmagazins architektur und schreibt als freischaffender Journalist und Architekturkritiker für Zeitschriften und Magazine wie: Quer, Der Standard, NZZ, Falter, FiO, Baumeister, Die Furche u.a.
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Sabine Djahanschah / 12.11.2013 / 11:29

Architektin und Referatsleiterin DBU, Osnabrück

Jein ...

Es kommt drauf an, was man draus macht! Alles Leben ist an Stoffwechselprozesse gebunden. Die Natur macht daraus komplexe Kreisläufe, in denen sich ergänzende Regenerationsprozesse angelegt sind. Auch der Mensch hat über lange Zeit Bauformen genutzt, die mit regionalen Baustoffen und natürlichen Klimatisierungsstrategien noch relativ harmonisch in diese Kreisläufe eingebunden waren. Aufgrund unseres modernen Lebensstils, stetigem Bevölkerungswachstum und gestiegenen Komfortansprüchen ist eine Rückkehr zu diesen Bauformen unrealistisch. Trotzdem haben Planer heute die Chance, diese Prinzipien im Hochbau mit neuen Technologien und möglichst umfassenden Einsatz nachwachsender und regionaler Rohstoffe wieder aufzugreifen – und letztlich auch die Möglichkeit, über nachhaltige Stadt- und Architekturkonzepte alternative Angebote zu machen und Lebensstile positiv zu beeinflussen. Wenn jedoch weiterhin Architekten Nachhaltigkeit an ihre Fachplaner delegieren und auf überfrachtete Haustechnikkonzepte oder schön gerechnete Nachhaltigkeitszertifikate reduzieren, kann Nachhaltigkeit zum reinen Marketinginstrument verkommen. Dabei wäre der Architekt eine entscheidende Schlüsselfigur, die Vision vom nachhaltigen Lebensstil mit greifbaren Konzepten so überzeugend umzusetzen, dass nicht das abschreckende Bild einer zur Bewegungsunfähigkeit und Verzicht verurteilten Gesellschaft bedient wird, sondern das darin liegende Entwicklungspotential und der Lustgewinn Bauherrn und Nutzer überzeugt. Sabine Djahanschah ist seit 1996 Leiterin des Referats „Architektur und Bauwesen“ bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Nach ihrem Studium der Architektur an der RWTH Aachen war sie freie Mitarbeiterin bei verschiedenen Architekturbüros und 1995–1996 als freischaffende Architektin tätig. Sie ist Mitglied verschiedener Kommissionen, Beiräte und Jurys.
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Georg W. Reinberg / 12.11.2013 / 11:23

Architekt, Wien

Nein ...

Wir müssen ein System, das sich der Gewinnmaximierung und dem Wachstum verschrieben hat, hinterfragen. Denn dieses System kann prinzipiell nicht nachhaltig sein. Aber deswegen nachhaltige Architektur als verlogen zu bezeichnen, ist eine miese Sache. Warum?Nachhaltige Architektur berücksichtigt natürlich auch die Materialproduktion, den Baustellenbetrieb, die laufende Erneuerung und das Recycling. Und niemand hat jemals behauptet, nachhaltige Architektur alleine könne die Welt retten. Diese Behauptung der nachhaltigen Architektur zu unterstellen und sie dann der Verlogenheit zu bezichtigen, ist eine miese Sache!Gute Architekten, die sich bemühen, nachhaltig zu bauen, wissen natürlich, dass Nachhaltigkeit nicht nur die Ökologie, sondern ebenso die sozialen und ökonomischen Angelegenheiten umfasst.Oja, es ist sehr wichtig, dass wir außer über die Architektur auch über die Ökonomie, über unser soziales Zusammenleben, über unsere wirklichen Bedürfnisse und darüber nachdenken, was wir wirklich brauchen, um gut leben zu können.Es ist aber auch eine Tatsache, dass die Architekten sehr viel weiter sind als etwa Politiker, Verkehrsplaner oder sonstige Ingenieure, was die Nachhaltigkeit betrifft. In Österreich wurden z. B. die sektoralen Klimaziele im Baubereich übertroffen, im Bereich Verkehr und Industrie aber wurden sie weit verfehlt. Die Architektur ist also - was nachhaltige Konzepte betrifft - sehr viel weiter als viele andere Bereiche. Gerade ihr unterstellen zu wollen, sie könne nicht nachhaltig agieren, ist schlichtweg „verlogen“.Wir können heute Häuser aus Holz bauen, die enorme CO2-Deponien darstellen und voll recyclebar sind. Ich verfüge über ausgereifte Konzepte in der Sanierung oder für ganze Siedlungen, die - inklusive Bau und Recycling - mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen. Und ich möchte nicht an der Zukunft verzweifeln, sondern positive Perspektiven aufzeigen und fordere hiermit auch die sozialen Bereiche, die Ökonomie und auch die Politik auf, sich endlich soweit zu entwickeln, dass konkrete Projekte für eine nachhaltige Welt gezeigt werden.Nicht zuletzt geht dieser Aufruf auch an jene Journalisten, die versuchen, der nachhaltigen Architektur Verlogenheit zu unterstellen:Präsentiert endlich auf ehrliche Weise unsere wegweisenden Konzepte der nachhaltigen Architektur und fordert auch alle anderen Bereiche auf, endlich so nachhaltig zu agieren, wie die Architektur dies heute schon kann! Architekt Georg W. Reinberg führt seit 30 Jahren ein Architekturbüro in Wien. Er hat ca. 100 Projekte der Solararchitektur realisiert. Architekt Reinberg unterrichtet als Gastprofessor an der Donau Universität in Krems und ist als Vortragender an der TU Wien und verschiedensten Universitäten international tätig. Sein Büro bearbeitet im Zusammenhang mit seinen Projekten zahlreichen Forschungsprojekte tätig. Weiteres siehe: www.reinberg.net 
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Peter Reischer / 27.11.2013 / 14:41

Journalist & Kooperationspartner der Debatte

Jein ...

Resümee

 

Ist nachhaltige ARCHITEKTUR verlogen?
Sicherlich kann, soll man diese Frage so nicht stellen, wie auch Architekt Werner Hackermüller in seinem Kommentar richtig anmerkt. Es geht nicht um Architektur, diese wird oft nur als Vehikel benutzt um den Begriff Nachhaltigkeit zu versinnbildlichen. Im Prinzip geht es bei der Debatte, oder – besser gesagt – soll es bei dieser Debatte darum gehen, aufzurütteln, wach zu machen für die wahren Probleme und die Verschleierungsmechanismen, derer wir uns heute bedienen. Für viele Firmen und auch leider für viele Architekten, ist der Begriff ein Marketinginstrument geworden – dann ist Nachhaltigkeit verlogen. Nachhaltig verkauft sich eben gut.
Gott sei Dank gibt es aber auch immer mehr Konsumenten – und dazu zähle ich mich auch – die die Tatsachen hinterfragen. Die versuchen herauszufinden, wie mit einfachen, um nicht zu sagen billigen, Mitteln etwas 'nachhaltiger' gemacht werden kann. Zum Beispiel in der Architektur: Warum muss ein Neubau besser sein, als eine Renovierung oder das Alte? Oder energieeffizienter? Ist der Preis ein Argument, sich für oder gegen Nachhaltigkeit zu entscheiden? Soll er das sein, oder müssen wir auch in dieser Hinsicht umdenken? Ist Bescheidenheit vielleicht die beste Nachhaltigkeit, so wie die nicht verbrauchte Energie die effizienteste ist?

Die Kommentare von Thomas Auer und Sebastian von Oppen haben einen wesentlichen Punkt der Diskussion aufgegriffen, Verzicht oder Suffizienz sind die Themen der Zukunft. Ich bin allerdings als unverwüstlicher Optimist der Ansicht, dass die Zivilgesellschaft den 'turn-around' schaffen wird. Jeder Einzelne von uns muss Vorbild sein, mit Regeln, Zertifikate, Normen und Gesetzen wird es sicher nicht klappen. Das ist auch als Aufruf an alle Architekturschaffenden (wie Georg Reinberg und viele andere) zu verstehen, im Sinne von Immanuel Kant so weiter zu machen und sich nicht entmutigen zu lassen.

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Sebastian von Oppen / 28.11.2013 / 10:29

Jein ...

Lieber Herr Reischer, Vielen Dank für den abschliessenden Kommentar. In einem Punkt sage ich nun aber auch nochmal Jein"...mit Regeln, Zertifikate, Normen und Gesetzen wird es sicher nicht klappen..."Regeln, Zertifikate, Normen und Gesetze sind Krücken, die man als Kranker nun mal braucht, aber die nicht ausreichen. Ich glaube es ist falsch zu glauben, dass alles alleine der Markt regelt (und das ist das Gegenmodell). Dieses Gegenmodell wäre: Wir warten bis es richtig weh tut und dann wird die Menschheit schon reagieren, aber ist es dann nicht vielleicht zu spät? Die Lüge ist tatsächlich ein unangenehmes Nebenprodukt dieser ganzen Nachhaltigkeitsdebatte, aber besser als gar keine Debatte.Die ressourcenschonensten Gesellschaften der Welt sind nicht unsere mit Ihren Gesetzen und Normen, sondern die in den ärmsten Ländern dieser Welt. Die eigentliche Frage ist: Wie bekommen wir unsere Zivilgesellschaft so umgebaut, dass sich ein angemessener Wohlstand aufrecherhalten lässt ohne diese verflixte Abhängigkeit vom Wachstum, den wir ja eigentlich nicht mehr brauchen? Wenn ich die Antwort wüsste, würde ich mich als Nobelpreisträger zum König der Welt wählen lassen und es wäre ein Singen und Tanzen auf Immerdar...Herzliche GrüßeSebastian von Oppen
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