"Macht die Energiewende den Weg frei für das Einfamilienhaus im Grünen?"

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So lange Architekten zurück denken können, gilt das Mantra „Dichter ist besser“. Seitdem versuchen wir Städte kompakt zu bauen, Vorstädte einzudämmen; wir warnen vor dem Einfamilienhaus als zivilisatorische Todsünde und loben das mehrgeschossige Wohnen. Die Realität zeigt davon ziemlich unbeeindruckt.

Zum einen wird mit der urbanen Explosion in Asien und anderswo immer klarer, dass eine unbegrenzte Zunahme in der Bebauungsdichte ab einem bestimmten Punkt auf Kosten der Lebensqualität geht – Hong Kong ist Spitze in der Dichte, doch finden nicht viele Menschen 40stöckige Wohntürme mit Minimalabständen von 15 Metern auch lebenswert. Zum anderen träumt ein Großteil der Menschen ausgesprochen oder insgeheim immer noch den Traum vom Einfamilienhaus mit Garten. Wer beruflich an die Stadt gebunden ist, lebt seine Sehnsucht nach dem Land am Wochenende aus und trifft seinesgleichen verlässlich im Stadtfluchtstau auf der Autobahn oder in überfüllten Zügen wieder.

Gleichzeitig wird das Dichtediktat von unserer rückläufigen Bevölkerungsentwicklung konterkariert. 2050 werden in Deutschland nur noch circa 60 Millionen Menschen wohnen, dass sind gut 20 Millionen weniger als jetzt und das Äquivalent dessen, was die DDR einmal als Bevölkerung hatte. Schon jetzt entvölkern sich ganze Landstriche in den östlichen Bundesländern, stellenweise ist die Grundversorgung auf dem Land nicht mehr gewährleistet. Was machen wir aber mit all dem Raum? Überlassen wir die entsiedelte Landschaft einfach sich selbst zur automatischen Renaturierung, so wie MVRDV das vor Jahren für die Schweiz vorschlug?

Ausgerechnet die Energiewende eröffnet nun ein Szenario, das den Traum vom Haus im Grünen nun auch unter ökologischen Gesichtspunkten diskutabel erscheinen lässt. Ab dem Moment, ab dem wir den automobilen Individualverkehr vollkommen auf nachwachsende Energien umstellen und mit unseren Häusern unseren kompletten Eigenenergiebdarf befriedigen können, wären Siedlungsformen mit niedriger Dichte ökologisch nicht mehr per se schlechter als die kompakte Stadt. Es wäre der Antichrist der orthodoxen Raumplanung: Sustainable Suburbia?

 

Werner Sobek / 15.6.2012 / 11:09

Architekt und Ingenieur, Stuttgart

Jein ...

Die Energiewende ermöglicht uns (hoffentlich) den baldigen Wechsel von fossilen und nuklearen Energieträgern hin zu einer nachhaltigen Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen. Unsere Energie wird dadurch endlich ökologisch korrekt - jedoch sicher nicht billiger. Die Energiewende entscheidet deshalb auch nicht darüber, ob wir künftig mehr oder weniger Einfamilienhäuser im Grünen haben werden. Hierfür sind ganz andere Fragestellungen entscheidend - sowohl gesellschaftlicher als auch ökologischer und ökonomischer Natur. Wir sollten uns endlich verstärkt diesen wichtigen Aspekten widmen, statt immer nur die Energieeffizienz als alleinigen Maßstab für eine nachhaltig gebaute Umwelt zu verwenden. Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Werner Sobek, geb. 1953, Architekt und beratender Ingenieur, lebt und arbeitet in Stuttgart und Chicago, Büros in Stuttgart, Dubai, Frankfurt, Istanbul, Kairo, Moskau, New York und Sao Paulo, Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren an der Universität Stuttgart, Mies van der Rohe Professor am Illinois Institute of Technology in Chicago, seit Juli 2007 Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB.
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Ludger Hovestadt / 15.6.2012 / 11:07

Architekt und Erfinder, Zürich

Nein ...

naja, das könnte man meinen. wenn saubere energie im reichtum einfach da ist, wenn alles, was wir brauchen überall in globaler logistik verfügbar ist. sogar recycling überall. dann könnte man sich in ein kleines zuhause zurückziehen und alles wäre schön ... katastrophal langweilig würde ich sagen. ich denke, dass der traum vom grünen eigenheim die gleiche ursache hat, wie die tägliche beunruhigung über die globalen zustände. ihr spiegelbild ist. beide lehnen die kulturellen und technologischen entwicklungen ab und führen geradewegs in einen totalitarismus aus wohlmeinender empathie und aggresiver dummheit. Getreu der unsäglichen vorstellung, dass wenn wir nur alle nett zueinander sind, alles gut würde. das könnte man vielleicht von steinen sagen, nicht einmal von topfpflanzen. nein, es wird im wörtlichen sinne katastrophal langweilig. ich möchte den menschen als das wesen charakterisieren, dass nur 3 tage langeweile aushält. dann fängt er an zu spielen, zu experimentieren, unsinn zu machen, wird auch böse, sprengt jede noch so gute ordnung. so sind wir als menschen entstanden, so ist unsere kultur entstanden. und das spielt sich oft nur schlecht versteckt in den nachbarschaften unserer vororte ab. es ist immer schon eine zu schöne vorstellung, dass wir uns dem argument der knappheiten, der gerechten verteilung, der optimierungen unterordnen, einordnen und einnisten könnten. jetzt, im reichtum sauberer energien wird es anstrengender, intelektuell herausfordernd. da reicht das eigenheim sicher nicht mehr aus. wir brauchen mehr anregung, mehr herausforderung an uns selbst, wie sie nur die differenziertheit einer stadt bieten kann. weil sie die natur in ihren knappheiten nicht mehr bieten kann. soviel zum glück im grünen. ade.   Ludger Hovestadt ist Architekt und Informatiker und seit 2000 Professor für Computer Aided Architectural Design an der ETH Zürich, Institute for Technology in Architecture (ITA). Er arbeitet an der Grenze der Berechenbarkeit und prägt dabei die Begriffe „Narrative Infrastrukturen“ und „Serious Story Telling“, um komplexe Informationstechnologien in der Architektur verfügbar zu machen. Er ist Erfinder des digitalSTROM® Chip und Gründer mehrerer Firmen für Smart Building Technology. Zuletzt erschien von ihm „Beyond the Grid – Architecture and Information Technology. Applications of a Digital Architectonic (Birkhäuser, 2009). Zur Zeit arbeitet er an einem Buch über einen optimistischen Weg von der Energiekrise zur Energiekultur.
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Mathias Müller, Daniel Niggli / 14.6.2012 / 14:40

Achitekten, EM2N, Zürich

Nein ...

Die Antwort ist klar: Nein! Das Einfamilienhaus als Produkt der Suburbanisierungswelle nach dem zweiten Weltkrieg ist eine historische Randerscheinung. Das Phänomen Einfamilienhaus kam aufgrund einer speziellen Konstellation von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum, sowie einer Explosion der individuellen Mobilität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer kurzen Blüte. Genauso wird es Lauf der Geschichte während der kommenden Jahrzehnte auch wieder entsorgt werden. Weltweite Urbanisierung. Ein kurzer Blick auf die weltweiten Fakten zeichnet das Bild einer heftigen, immer noch anhaltenden Urbanisierung. (aus:http://de.wikipedia.org/wiki/Urbanisierung). „Historisch gesehen ist eine Zunahme des Anteils der Stadtbevölkerung festzustellen (…). Um 1800 lebten nur etwa 25% der deutschen Bevölkerung in Städten und rund 75% auf dem Land (…). Im Jahr 2008 lebten weltweit erstmals in der Menschheitsgeschichte mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen rechnet mit 5 Milliarden Städtern im Jahr 2030. In Zukunft wird sich die Urbanisierung am stärksten in Afrika und Asien vollziehen.“ Dichte ist Attraktiv. Weltweit gehört die Zukunft also der dichten Stadt. Warum ist dies so? Dichte ist grundsätzlich eine kulturelle Erscheinung. Die europäischen Städte sind nicht nur entstanden, weil man dichter zusammenrückte, um sich gegenseitig gegen äussere Gefahren zu schützen, sondern auch weil die Menschen die soziale, wirtschaftliche und intellektuelle Interaktion der Stadt suchten. Das Sprichwort sagt: „Stadtluft macht frei“. (Hier genauer erklärt: http://de.wikipedia.org/wiki/Stadtluft_macht_frei) „Der Ausspruch „Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag“ umschreibt einen Rechtsgrundsatz im Mittelalter. Aus Siedlungen rund um Burgen und Klöster, die etwa ab dem 11. Jahrhundert von freigekauften Leibeigenen und anderen Angehörigen des 3. Standes gegründet wurden, entstanden neben den alten römischen oder auch germanischen Gründungen weitere Städte. Dabei setzten sich immer mehr Leibeigene in die Städte ab, wo sie für ihre Grundherren zumeist unauffindbar waren. So wurde es Rechtsbrauch, dass ein in einer Stadt wohnender Unfreier nach Jahr und Tag nicht mehr von seinem Dienstherrn zurückgefordert werden konnte und somit ein Insasse (auch Stadtbewohner) wurde. Wenn der Dienstherr aber mit sieben Zeugen beweisen konnte, dass der Leibeigene sein Eigentum sei, musste er ihm wieder dienen. Diese Regelung wurde durch das Statutum in favorem principum (1231/32) zugunsten der Fürsten aufgegeben.“ Die Stadt ist also der Ort des Austauschs, der Begegnung und der sozialen Mobilität. Die Bildung von sogenannten Megacities wie Istanbul, Lagos oder Mexico City hat auch heute noch schlicht damit zu tun, dass die Landbevölkerung ihre Zukunft in der Stadt sieht und dahin abwandert. In Indien flüchten sich Bauern wie bei uns im Mittelalter in die Stadt als letzten Ausweg vor der Schuldsklaverei. In China wird versucht, die Landflucht mit äusserst harten Massnahmen zu verhindern. Trotzdem strömen Millionen von rechtlosen illegalen Wanderarbeitern auf der Suche nach einem besseren Leben in die Städte. Dichte hilft schrumpfen. Man mag einwenden, diese Entwicklungen hätten für unsere mitteleuropäische Situation nur beschränkte Gültigkeit - schrumpft nicht unsere Bevölkerung, stehen nicht in Ostdeutschland ganze Städte leer? Grundsätzlich wird die Attraktivität von Städten von Schrumpfungsszenarien nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, in einer Situation der Ressourcenverknappung bietet die dichte Stadt weit grössere Effizienz als das undichte Land. Wenn schon unsere Sozialwerke unbezahlbar werden, wer soll all die Strassen bauen und unterhalten auf denen die Ökomobile rollen? Wer kommt für die höheren Kosten der Müllentsorgung, der Gesundheitsversorgung, der Ausbildung in ländlichen Situationen auf? Dichte ist wirtschaftlich, Undichte muss man sich erst leisten können. Dichte ist Standortfaktor. Zudem basiert unsere wissens- und technologiebasierte Gesellschaft auf intensivem sozialen und wissenschaftlichem Austausch. Dass das Internet hierfür kein Ersatz sein kann zeigen die Entwicklungszentralen von Firmen wie Apple, Microsoft oder Google welche – wie könnte es anders sein – in grossen Metropolen liegen und als dichte campusartige Cluster organisiert sind. Nachfrage nach EFH nimmt ab. Schlussendlich kommen zwei gesellschaftliche Megatrends hinzu, welche dem Leben im Einfamilienhaus klar widersprechen: Überalterung und der Trend zum 1- oder 2-Personenhaushalt. 2009 waren in den alten Bundesländern von 100 Haushalten ca. 40 Einpersonenhaushalte, sowie ca. je 30 Mehrpersonenhaushalte ohne und mit Kindern. (Quellehttp://www.sozialpolitik-aktuell.de/tl_files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Familienpolitik/Datensammlung/PDF-Dateien/abbVII7.pdf). 2009 lebten nur noch 28.2% der westdeutschen Bevölkerung in Haushalten von 4 oder mehr Personen. Die klassische Kundschaft des Einfamilienhauses, die Familie mit 2 Kindern macht also nur noch etwa ein Drittel der Haushalte aus und wird immer weniger. Dieser Trend wird sich mit der Entwicklung von neuen Formen des Zusammenlebens wie die Patchworkfamilie noch verschärfen. Gleichzeitig wird unsere Gesellschaft immer älter. Der Kinder- und Jugendanteil an der Bevölkerung wird von heute ungefähr 20% auf um 15-16% im Jahr 2050 sinken, während der Prozentsatz an Alten und Hochbetagten von heute 25.4% auf gegen 45-46% steigen wird. Diese Leute sind definitiv keine Bewohner von Einfamilienhäusern. Sie suchen die sozialen Netze und Versorgungseinrichtungen der Städte. Zusammenfassend kann man sagen, dass Einfamilienhäuser zwar unter Umständen ökologisch machbar werden könnten, aber dass sämtliche sozialen, demografischen und wirtschaftlichen Indikatoren darauf hindeuten, dass die Nachfrage nach Einfamilienhäusern tendenziell abnimmt. Darum unser Tip für die fleissigen Bausparer und Häuslebauer: EFH verkaufen solange man noch einen findet, der es einem abnimmt, und dann nichts wie ab in die Stadt!     Mathias Müller (*1966) und Daniel Niggli (*1970) gründeten 1997 das Architekturbüro EM2N in Zürich. Seitdem zeichneten sie mehr als 100 Wettbwerbe und realisierten zahlreiche Bauten in der Schweiz und im Ausland. 2005 waren Mathias Müller und Daniel Niggli Gastprofessoren an der ETH Lausanne und von 2009–2011 Gastdozenten an der ETH Zürich.  
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Petra Kahlfeld / 14.6.2012 / 14:37

Kahlfeld Architekten, Berlin

Nein ...

Eine in Mitteleuropa und für Mitteleuropa geführte Debatte darüber, daß man endlich ohne schlechtes Gewissen in einem großen Einfamilienhaus ohne nachbarschaftliche Störungen und Kontakte weit weg vom Moloch Stadt, bezogen auf sich selbst und seine Lieben wohnen kann, ist absolut lächerlich! Die mitteleuropäischen Städte sind weit entfernt von den horrenden Dichte-Szenarien, die für asiatische oder südamerikanische Städte aufgerufen werden. Solch eine Dichte wird es bei uns nicht geben, im Gegenteil. Laßt uns statt dessen werben für die Stadt als Zentrum der Kultur, der Vielfalt, der Offenheit, Toleranz und der Lebensqualität und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten. In der Vielfalt der Stadt spiegelt sich die Viefalt ihrer Bewohner: Junge, Alte, ohne Arbeit, mit Arbeit, mit Kinder und ohne Kinder, Arme, Reiche, Arbeiter und Intellektuelle, Ausgeflippte und Langeweiler. Mit anderen konkurrierenden Lebensmodellen vor der Nase wird man weniger schnell spießig, borniert, intolerant und einsam. Das Leben auf dem Land in eindimensionaler Wohnfunktion ist mit deutlich mehr Sozialkontrolle, Reduktion von sozialen Kontakten, intellektueller Herausforderung, Anregung und Lebensqualität über lange Anfahrten zur Arbeit und zu Dienstleistungen verbunden. Selbst wenn der Sprit aus nachwachsenden Quellen kommt und das traute Heim mit Geothermie und Photovoltaik kein Energieverbraucher, sondern ein Energieversorger ist, bleiben etliche Fragen an die Wohnform im „Grünen“ offen. Unter der Annahme, daß die Arbeitsstelle gewiss weiterhin in der Stadt sein wird: - ergeben sich lange Anfahrtswege und eine Zunahme der Verkehrsproduktion - Zunahme der versiegelten Flächen durch Infrastruktur und Bauland - eine immer weitergeführte Verwischung der erlebbaren und lesbaren Bilder von Stadtzentrum, Vorstadt und unbebautem Land. Es leidet das soziale Gefüge und die Lebensqualität durch eine selbstverordnete Beschränkung und Konzentration auf das traute Heim und den Heimarbeitsplatz. Passend zur gerade beschlossenen Betreuungspauschale kann/muß dann einer (guess who?!) zu Hause bleiben, die Kinder versorgen und zum einhundertsten Male am Tag die Küchenarbeitsplatte abwischen. Freundin, Freund? Weit weg Kino? Weit weg Selbst der Frustkauf nicht möglich, weil der letzte kleine Lebensmittelladen gerade geschlossen hat....   Petra Kahlfeldt, geb. 1960, Architektin, BDA, 1987 Gründung des Büros Kahlfeld Architekten mit Paul Kahlfeld, seit 2000 Mitglied des Landesdenkmalrats der Stadt Berlin, 2004-2008 Professorin im Lehr- und Forschungsgebiet „Denkmalpflege und Entwerfen“ HafenCity Universität Hamburg, seit 2008 Kuratoriumsmitglied des Architekten- und Ingenieurvereins (AIV) zu Berlin, Mitglied der Gestaltungsbeiräte von Ostfildern und Landshut.
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Hans Ibelings / 14.6.2012 / 14:32

Architekturkritiker, Amsterdam

Jein ...

Dieser Frage muss die Diskussion über den Zusammenhang von Dichte und Lebensqualität und welchen Anteil die Dichte tatsächlich an einem guten Leben hat vorausgehen. Die meisten jener Städte, die es üblicherweise unter die besten Zehn der „Best Places“ schaffen, verfügen über eine relativ niedrige oder zumindest durchschnittliche Dichte, selbst wenn man die Großstadtregion weglässt und nur die Innenstadt berücksichtigt. Zürich und Vancouver zählen zu den „guten“ Städten mit höherer Dichte, mit durchschnittlich 4.000 bis 5.000 Einwohnern pro Quadratkilometer. In vielen Städten mit bester Bewertung liegt der Durchschnitt jedoch zwischen ein- und zweitausend Einwohnern, wie etwa in Helsinki oder Auckland. Im Gegensatz dazu sind einige jener Städte, die sich gewöhnlich als unbeliebteste Orte auf der Welt herausstellen – wie etwa Lagos (7.900 Einwohner/km2), Teheran (10.000) und Colombo (17.300) – sehr dicht besiedelt. Dies scheint jedoch das Gefühl für Zusammengehörigkeit nicht unmittelbar zu verbessern, sonst würden diese Städte nicht am Ende der Bewertungsskala landen. Dennoch besitzen einige der „schlimmsten“ Städte, wie etwa Harare, mit 2.800 bzw. 2.000 Einwohnern pro Quadratkilometer eine Dichte, die nahezu identisch ist mit dem paradiesischen Sydney. Interessanterweise sind auch das fürchterliche Colombo und das entzückende Barcelona in ihrer Dichte vergleichbar (17.000 und 16.000). Eine hohe Dichte allein ermöglicht noch kein gutes Leben, vor allem nicht dort, wo die Ansammlung von Menschen ein Nebenprodukt von Armut und Ungleichheit ist. Es mag banal klingen, aber das Stadtleben ist angenehmer, wenn die Bewohner sich etwas leisten können. Es ist kein Zufall, dass sich die schönsten Städte meist in reichen und demokratischen Ländern befinden. Die Städte mit hoher Lebensqualität teilen ein weiteres Merkmal, sie liegen alle in Ländern, in denen das Einkommen vergleichsweise gerecht verteilt ist: im Nordwesten und Norden von Europa (nicht jedoch im Vereinigten Königreich, wo es höchst ungerecht verteilt ist), in Kanada, Australien, Neuseeland. Basierend auf diesen Beobachtungen könnte es ein interessanter Forschungsansatz sein zu hinterfragen, was schlimmer für das Stadtleben ist: die Zersiedelung oder ihr sozio-ökonomisches Gegenstück: die ungerechte Verteilung des Einkommens. Vielleicht besteht die Aufgabe also nicht darin,Menschen näher zusammen zu bringen, sondern deren Einkommen, um das Gefühl für Zusammengehörigkeit zu stärken. So gefasst übersteigt die Thematik jedoch sicherlich die fachliche Kompetenz und Verantwortung eines Architekten oder Stadtplaners.   Hans Ibelings ist Kunsthistoriker, Architekturkritiker, Autor und Gründer der internationalen Architekturzeitschrift A10 new European architecture.
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Philipp Oswalt / 14.6.2012 / 14:29

Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau

Jein ...

Wir sind nicht in der Lage zu beantworten, ob Dichte und Kompaktheit die richtige Stadt- und Gebäudeform für die Zukunft sind oder nicht. Nicht einmal rein energetisch gesehen. Schon bei Gebäuden lässt sich das nicht pauschal beantworten. Eine große Oberfläche erhöht die Möglichkeit der Austausch zwischen Innen und Außen an Wärme, Strahlung, Luft, Licht usw. Das kann je nach Eigenschaft der Oberfläche und Art des Gebäudes wünschenswert sein oder nicht. Deswegen sind klimatisch optimierte Gebäude nicht immer kompakt. Es gibt genug Fälle, in denen Gebäudeoberflächen aus energetischen und klimatischen Gründen maximiert sind und die Gebäudevolumetrie fraktalen Geometrien verwandt ist. Nicht viel anders verhält es sich mit der Stadtform. Kompakte Siedlungs- und Stadtformen vermeiden vermeintlich Mobilitätsaufwand. Doch gibt es Systemökologen, die darauf hinweisen, dass steigende Siedlungsdichten mit exzessiverem Reiseverhalten einhergehen kann, was die vermeintliche Einsparung an Mobilitätsenergie im Alltag mehr als überkompensiert. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln, Energie und anderen Dingen kann die Effizientsgewinne in der Alltagsmobilität konterkarieren. Es gibt auf dem Globus eine große Bandbreite an Siedlungsformen und es wäre mehr als verwegen zu behaupten, dass die Qualität der Siedlungsform mit zunehmender Dichte steigt. Man kann nicht einmal sagen, dass eine höhere Dichte per se urbaner wäre. Doch auch die gegenteilige Behauptung macht keinen Sinn. Es ist auch nicht die Aufgabe von Architekten und Planern, Menschen vorzuschreiben, ob sie eher in Städten oder auf dem Land leben sollen. Ziel bei der Gestaltung von Siedlungsstukturen sollte aber sein, dass sie nicht alleine individuelle Interessen adressieren, sondern das Fortleben der Gesellschaft(en) als ganzes befördern und die Qualität des Zusammenlebens erhöhen. Hierfür Modelle hoher wie geringer Dichte zu entwickeln ist die Herausforderung von Architekten, Stadtplanern und Ingenieuren. Was das Einfamilienhaus betrifft, muss man allerdings konstatieren, dass es ganz unabhängig von Dichtefragen obsolet ist. Einfamilienhaussiedlungen sind in ihrer Monofunktionalität antiquiertes Beispiel der "funktionalen", also funktionsgetrennten Stadt. Bevor man weitere Einfamilienhausghettos erstellt, sollte man lieber beginnen, in bestehenden Siedlungen das Baurecht zu lockern und Funktionsmischung zulassen, so dass sich hier etwa Büro-, Gewerbe- und Einzelhandelnutzungen kleinmasststäblich entwickeln können. Während das Modell der funktionellen Stadt eigentlich schon lange in Verruf geraten ist, zeichnet sich der fällige Paradigmenwechsel bislang noch nicht ab. Das Einfamilienhaus ist auch Kernstück einer Konsumgesellschaft, in der Produktion und Konsumtion rigide getrennt sind. Gearbeitet und produziert wird andernorts, im Einfamilienhaus ist der Konsument zu Hause, der sich hier regeneriert und hierfür konsumiert. Wenn das Haus zum Kraftwerk wird, ist dies nur der erste Schritt, diese künstliche Sterilität zu durchbrechen. Energiewende und Entwicklungen in den Kommunikationstechnologien haben neue Formen der Verbindung von Produktion und Konsumption eingeführt, die sich auch in anderen Lebensbereichen durchsetzen und bald das Modell der Konsumgesellschaft als ähnlich überholt erscheinen lassen. Das Haus der Zukunft ist eben keine reine Schlafstätte, sondern Ort der Produktion und Prozessierung von Energie, Lebensmitteln und Gegenständen, es ist Maschine, Werkstatt, Atelier und Büro. Vieles wird hier plötzlich selbstverständlich sein, was heute noch jenseits der Vorstellungskraft liegt. Dieses Haus kann global vernetzt oder autark sein, allein auf weiter Flur stehen oder in großer Zahl vertikal verdichtet sein. Nichts spricht heute dafür, dass eine dieser Optionen in der Zukunft ausgeschlossen sein wird. Vielmehr werden hoch verdichtete Strukturen mit äußert dünn besiedelten Räume koexistieren.   Philipp Oswalt, geb. 1964, Architekt und Publizist in Berlin. Mitinitator und Co-kurator der kulturellen Zwischennutzung des Palast der Republik ZwischenPalastNutzung/ Volkspalast, Leiter des Projektes Schrumpfende Städte der Kulturstiftung des Bundes 2002-2008, Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher zur zeitgenössischen Architektur und Stadtentwicklung, seit Herbst 2006 Professor für Architekturtheorie und Entwurf an der Uni Kassel, seit 2009 Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.
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