Problem Kaputtbesitzen: "Brauchen wir einen Gebäude-Tüv?"
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Nein! 43%
Im Dezember 2013 holte die Hamburger Polizei in einer nächtlichen Eilräumung etwa 90 Bewohnerinnen und Bewohner der sogenannten Esso-Häuser an der Reeperbahn aus ihren Wohnungen, weil Mieter eine Erschütterung wahrgenommen hatten und man die Standfestigkeit der Sechziger-Jahre-Häuser akut gefährdet sah. Die Räumung machte den Weg frei für den Abriss der umkämpften Gebäude und deren Neubebauung durch die Immobilienfirma, die das Areal fünf Jahre zuvor gekauft hatte. Die „Initiative Essohäuser“, in der Mieter und Nachbarn organisiert sind, hat den Vorbesitzern und den aktuellen Eigentümern attestiert „über Jahrzehnte nicht ausreichend in die Instandhaltung investiert” zu haben – und wirft den zuständigen Behörden vor, diese Form den “Kaputtbesitzens” nicht kontrolliert und verhindert zu haben.
Tatsächlich scheint sich das gezielte Verwahrlosenlassen von Immobilien gerade in wachsenden Metropolen durchaus zu lohnen: Statt in den vergleichweise günstigen Altbestand zu investieren, lassen Eigentümer die Häuser vergammeln, um schließlich feststellen zu lassen, dass eine Sanierung unwirtschaftlich wäre. Auch privatisierte Großsiedlungen in weniger gefragte Städten fallen heute als “Schrottimmobilien” bisweilen an die Kommunen zurück, weil internationale Finanzinvestoren ihre Bestände nicht gepflegt haben.
Zwar gibt es im Baugesetzbuch den § 177, der das „Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot“ regelt, demzufolge die Gemeinden die „Beseitigung von Misständen“ anordnen können und sollen. De facto fehlt es aber in den meisten Kommunen an Personal, Mitteln oder auch an politischem Willen, dieses Gebot gegenüber den Immobilieneigentümer durchzusetzen. Die Frage ist: Brauchen wir, um die Altbestände unserer Städte vor dem Profitinteresse von Investoren zu retten, einen handlungsfähig und personell gut ausgestatteten Gebäude-Tüv, der überwacht, dass die Eigentümer ihrer Pflicht zur Instandhaltung nachkommen, statt auf einen profitablen Abriss zu setzen oder einfach die Mieten zu kassieren, ohne sich um die Pflege der Immobilien zu kümmern?
Diese Debatte ist Gastkuratiert von Christrioph Twickel, Journalist und Buchautor. Er hat die Hamburger »Recht auf Stadt«-Bewegung als Journalist begleitet, ist Mitinitiator und Sprecher von »Not In Our Name, Marke Hamburg« und Autor des Buches „GENTRIFIDINGSBUMS oder Eine Stadt für alle“. Zu weiteren Debatten-Beiträge von Christoph Twickel auf BKULT: "Können wir noch lebenswerte Stadtquartiere bauen?", „Brauchen wir noch IBAs?
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Kaputtbesitzen und Wohnungsknappheit sind Geschwister, die schon seit der Zeit der Industrialisierung gemeinsam auftreten. Schon im 19. Jahrhundert wurde über die unhaltbaren Zustände in den Slums von z.B. London geschrieben, und schon damals führte die erst Angst vor Seuchen oder weitreichenden Unruhen zu der Erkenntnis, dass der Markt dieses Problem nicht lösen würde – weil die Besitzer bestens an den Elendsunterkünften verdienten. Dabei operierten die Slumlords nicht im Untergrund, sondern waren mit der besseren Gesellschaft so gut vernetzt, dass noch 1971 allenfalls ein Künstler wie Hans Haacke es wagen konnte, diese Verbindungen offenzulegen.
Als die Wohnungsproblematik noch so drängend war, dass sie die Mittelschicht betraf, war auch in Deutschland Konsens, dass es Aufgabe des Staates sei, „breiten Schichten der Bevölkerung“ zu sicherem, bezahlbaren und gesunden Wohnraum zu verhelfen. Die Förderpolitik, mit deren Hilfe dieses Ziel erreicht werden sollte, war sicher in mancher Hinsicht problematisch, aber sie hat immerhin dazu geführt, dass es einen Bestand an brauchbaren Wohnungen gab, die der öffentlichen Hand gehörten und nicht völlig der Logik des Marktes unterworfen waren. Und gegen diesen Bestand mussten auch diejenigen konkurrieren, die lieber den letzen Rest Kapital aus ihrem Immobilien schlagen wollten. Heute müssen auch die Wohnungsunternehmen in öffentlichem Besitz Rendite erwirtschaften, mit der an anderer Stelle Löcher in den kommunalen Etats gestopft werden und können so nur noch bedingt ausgleichend wirken. Auch in diesem Bereich nehmen Leerstände, Diskriminierung und Instandhaltungsrückstau in bedenklichem Maße zu.
In innerstädtischen Lagen haben die Mieter von günstigem Wohnraum heute kaum noch Aussicht darauf, sich bei einem Wohnungswechsel nicht zu verschlechtern, was die Bereitschaft in vollkommen heruntergekommenen Häusern auszuharren sicher verstärkt. Und in entspannten Märkten finden sie möglicherweise keinen Vermieter, der nicht Vorbehalte gegenüber prekär Beschäftigten, Empfängern von Transferleistungen, Alleinerziehenden oder Migranten pflegt und seine Wohnung im Zweifel lieber leerstehen lässt.
Ob ein Gebäude-Tüv denjenigen helfen kann, deren Vermieter ihre Immobilien verlottern lassen, ist also fraglich. Aber es gibt viele andere Instrumente, die Hausbesitzer zu einem nachhaltigeren Umgang mit ihren Immobilien anregen könnten: von bei einer strengen Zweckentfremdungsverordnung bis zu einer Grundsteuer, die Leerstand bestraft, ist vieles denkbar. Das alles bringt jedoch nichts, wenn den Kommunen das Personal und das Geld für die Umsetzung fehlt – auch das klang ja in der Frage schon an.
Maren Harnack, Dr.-Ing., studierte Architektur, Stadtplanung und Sozialwissenschaften in Stuttgart, Delft und London. Seit 2011 ist sie Professorin für Städtebau an der Fachhochschule Frankfurt am Main und arbeitet daneben als freie Stadtplanerin, und freie Architektin, sowie in zahlreichen Forschungsprojekten.
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