"Ist die autofeindliche Stadt erstrebenswert?"

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Autogerechte Stadt in Hamburg 2012, Foto: BKULT 


Die autogerechte Stadt ist ein Leitbild, dass sich tief in unseren Alltag eingeschrieben hat. Mehrspurige Hauptverkehrsstrasse, Tempo 50 und öffentlicher Raum als Parkplätze zeugen auch im 21. Jahrhundert von der Dominanz des Automobils im Großstadtverkehr – als wäre die Umweltbewegung und Ideen einer „autofreien Stadt“ ungehört geblieben. Das massive Verkehrsaufkommen und die wirtschaftliche Potenz der deutschen Automobilindustrie scheinen wenig Raum für Veränderung zu bieten. Zugleich wird vielerorts der Ausbau des Bus- und Bahnnetzes sowie neuer Mobilitätsdienstleistungen angegangen. Selbst rund um den New Yorker Times Square werden Fahrspuren Fahrradfahrern und Füßgängern zugeschlagen.

 

Es ist jedenfalls was im Umbruch. Der Verkehrsraum wird wieder als öffentlicher Raum diskutiert, den es zu gestalten gilt. Ob dabei Verteuerung oder Umbau adäquate Mittel zum Zweck sind bleibt offen. Die baulichen Veränderungen hin zu gleichberechtigten Verkehrsmitteln sind jedenfalls noch im Frühstadium einer gestalterisch anspruchsvollen Umsetzung. Mal wird die Großzügigkeit alter Boulevards beschworen, mal der „shared space“ als Mittel von Entschleunigung proklamiert. Neue Wahrheiten zur stadtgerechten Mobilität werden verkündet, die neue Feindbilder wie zum Beispiel den „Kampfradler“ hervorbringen. Solche Phänomene führen uns zu der Frage: ist die autofeindliche Stadt erstrebenswert?

 

PS: vgl. Hamburger Appell für mehr Baukultur in der Verkehrsinfrastruktur (hamburger-appell-2012.pdf)

 

Engelbert Lütke Daldrup / 6.11.2012 / 8:25

Stadtplaner, Leipzig

Ja ...

... wenn man „autofeindlich“ nicht überspitzt interpretiert. Die Entwicklung einer stadtverträglichen Mobilität ist eine Schlüsselaufgabe nachhaltiger Stadtentwicklung.Eine neue Mobilitätskultur muss sich auf einer neuen Balance von Fußgängern, Fahrradverkehr, öffentlichem Personenverkehr und deutlich reduziertem Autoverkehr gründen. Ziel ist ein stadtverträglicher, multi- und intermodaler Verkehr mit klarer Priorität beim Umweltverbund. Neue Angebotsformen wie Leihfahrräder und Car-Sharing entstehen. Auch Mobilitätsmanagement kann helfen. Der sich in vielen Städten abzeichnende Wertewandel weg vom Auto - vor allem bei jungen Erwachsenen -unterstützt diese Entwicklung. Für eine umweltverträgliche Mobilität sind allerdings fördernde steuerliche Anreize erforderlich und eine ausreichende Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV).Auch der Einsatz von Fahrzeugen mit alternativen Antriebsformen kann ein Beitrag zu einem Umweltverbund sein, wenn die Energie regenerativen Quellen entstammt und Lärmemissionen verringert werden. Flächenverbrauch und Unfälle können aber auch Elektroautos kaum reduzieren.Vor allem muss der Güter- und Wirtschaftsverkehr stadtverträglicher organisiert werden. Die über das Internet vermittelte Individualisierung der Waren- und Dienstleistungsnachfrage erfordert eine innovative Neuorganisation der Kurier-, Express- und Paketdienste mit dezentralen Güterverkehrszentren sowie mit kleineren, elektrisch oder hybrid angetriebenen Lieferfahrzeugen für den städtischen Bereich.Die Städte müssen von Lärm und Schadstoffen des Autoverkehrs entlastet werden. Damit entstehen endlich auch bessere Möglichkeiten zur Gestaltung des öffentlichen Räume, der Hauptstraßen und Plätze.Prof. Dr.-Ing. Engelbert Lütke Daldrup, Jahrgang 1956, ist Stadtplaner und Gesellschafter der Agentur für Stadtentwicklung GmbH in Berlin. Er war zehn Jahre Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig (Stadtbaurat) und bis Ende 2009 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Berlin. Lütke Daldrup ist Honorar-Professor an der TU Berlin und an der Universität Leipzig sowie Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste.
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Weert Canzler / 15.8.2012 / 7:56

Mobilitätsforscher, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Ja ...

... wenn wir das Auto meinen, das wir kennen: das Universalauto mit Verbrennungsmotor. Dieses Auto hat ausgedient in der Stadt, zu lange hat es den urbanen Raum beherrscht. Zu lange hat es alle anderen Verkehrsmittel an den Rand gedrängt. Zurecht wehrt sich die Stadt, wehren sich seine Bewohner gegen die Rennreiselimousine. Gegen den Ressourcenfresser, den Lärmmacher, den Luftverschmutzer!Doch Vorsicht, die Stadt ohne Rennreiselimousine ist keine Stadt ohne technisch unterstützte Selbstbeweglichkeit. Eine Idylle aus Zufußgehen und sanftem Radfahren ist weder zu erwarten noch zu wünschen. Moderne Gesellschaften lassen sich nicht beliebig verlangsamen. Die moderne Stadt ist kein reiner Begegnungsraum der Bedächtigen, Rücksichtsvollen und Müßigen. Denn Urbanität heißt immer auch Geschwindigkeit, Hektik, Beschleunigung. Schnelle S-Bahnen sind das Zeichen großer Städte. Auch individuelle Gefährte der Mobilität, nennen wir sie in Abgrenzung zum Auto mal Emobile (zugegeben: eine Hilfsbezeichnung, denn noch fehlt uns ein wirklich guter Name), gehören dazu. Dabei handelt es sich um elektrisch betriebene, leise, leichte Fahrzeuge für den individuellen Transport. Übrigens einer, der die attraktiven Seiten des überkommenen Autos, nämlich eigener Raum zu sein und dem eigenen Zeitregime zu unterliegen, übernimmt. Allerdings wird er verknüpft sein, konsequent verknüpft. In diesem Szenario sind die urbanen Emobile Teil eines über Smartphones integriertes Mobilitätsangebotes, einer (etwas blutarm formuliert, auch hier fehlt noch der passende Begriff) intermodalen Mobilitätsdienstleistung. (E)Fahrräder, Tram, Bus, U-, S-Bahn plus Emobile bilden diese Dienstleistung, dazu kommt eine entsprechende Infrastruktur mit Ladezonen, Umstiegspunkten und Smart Grids (selbstredend eird sie regenerativ gespeist, denn fossil ist auch gestern).In der autofeindlichen Stadt von morgen sind die Städter, wie auch ihre Besucher, in hohem Maße selbstbeweglich. Dafür nutzen sie verschiedene Techniken, verschiedene Verkehrsmittel, in einer je individuellen Zusammenstellung. Autos von gestern wird es im Übrigen auch geben, allerdings viel weniger. Sie fristen ein kärgliches Dasein in einem Geflecht von Ausnahmegenehmigungen und Sondernutzungszonen. Sie sind im wörtlichen Sinne Oldtimer und werden von ihren Besitzern trotzig als Hobby gepflegt. Dr. Wert Canzler, geb. 1960, Politik- und Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Mobilitätsforschung, seit 2009 Senior researcher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 1996 Promotion zum Thema "Das Zauberlehrlings-Syndrom. Entstehung und Stabilität des Automobil-Leitbildes", Lehrtätigkeit an öffentlichen und privaten Hochschulen sowie Mitarbeit im Innovationszentrum für Mobilität udn gesellschaftlichen Wandel (InnoZ).
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Christian Salewski / 15.8.2012 / 7:53

Städtebauer, ETH Zürich

Ja ...

... da wo die Stadt in diesem Sinne autofreundlich ist, ist sie fussgänger- und fahrradfeindlich, und wo sie autofeindlich ist, ist sie fussgänger- und/oder (das ist nämlich oft ein Unterschied) fahrradfreundlich. Betrachten wir die Städte mit den höchsten Anteilen an Langsamverkehr (Fahrräder und Fussgänger) wie Zürich oder Amsterdam, so finden wir alte, funktionsgemischte und kleinteilige Zentren. Hier ist nichts autogerecht, aber auch nicht fahrradgerecht oder gar günstig für die Strassenbahnen. Und dennoch liegt nicht nur der Anteil der Fussgänger, sonder auch der Tram und der Fahrräder genau hier am höchsten, in den alten, kleinen, autofeindlichen Innenstädten.In allen Stadterweiterungen der letzten 100 Jahre ist der Anteil des Autoverkehrs höher, und je weiter wir uns von den alten Zentren entfernen, desto mehr steigt er. Warum können wir dann anscheinend keine neuen Städte bauen, die wie die alten funktionieren? Selbst die Versuche, die so aussehen wie alte Städte (als ob es darum ginge), weisen eine wesentliche Veränderung auf, nämlich eine allgemeine Massstabsvergrösserung: Mehr Wohnfläche pro Kopf, breitere Strassen (auch durch Fahrradwege und Tramgleise), voluminösere Einkaufszentren, weitere Freiflächen pro Einwohner, grössere Arbeitsstätten und Büroparks und so weiter. Hier ist die Stadt autogerecht, weil sie es sein muss – anders können die längeren und vielfältigeren Wege zu Arbeit, Ausbildung, Einkauf und Freizeit kaum zurückgelegt werden. Dabei hat autogerechtes Leben viele schlechte Folgen, vor allem soziale: ungewünschte Begegnungen werden weniger, Gesellschaften sortieren sich nach und nach in gleich zu gleich.Es ist letztlich eine Folge des technischen Fortschritts, der 'economies of scale' und unseres Wohlstandes, dass wir uns grössere Wohnungen, Gärten und Autos leisten können. Infolge breitet sich die Siedlungsfläche immer weiter aus, zumindest solange der (meist automobile) Transport günstig oder wenigstens bezahlbar bleibt. Doch die persönlichen Folgen der Dichte und der Beschränkungen der alten Stadt werden wohl auch in Zukunft nur für wenige annehmbar sein. Die meisten Menschen mögen ihre Autos und geniessen ihren Lebensstil in der autogerechten Stadt. Daher ist meine Antwort letztlich eine persönliche, die offensichtlich nur von einer kleinen Minderheit geteilt wird. Christian Salewski, geb. 1974, ist Oberassistent und Dozent für Städtebau an der ETH Zürich. Er ist Architekt, Städtebauer, strategischer Planer und leitet die internationale Forschungsplattform "Airports and Cities". Für seine Forschung erhielt Christian Förderung von der Studienstiftung des Deutschen Volkes, DAAD, Stimuleringsfonds voor Architectuur, Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk Onderzoek NWO, ETH Zürich und EIT Climate-KIC.
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Felix Huber / 14.8.2012 / 8:11

Verkehrsplaner, BU Wuppertal

Jein ...

... eine autofreie Stadt ist noch nicht automatische eine lebenswerte, eine ansprechende und eine in allen Teilen erreichbare Stadt.Ja, denn die Menge der Autos in den Städten ist zu groß – die Dosis macht das Gift! Ja, denn die heutigen Autos sind Hochleistungsmaschinen für Renngeschwindigkeit und große Reichweite – dies ist nicht mit urbanen Nahbereichsqualitäten und Nahmobilität vereinbar! Ja, denn die autogerechte Stadt führt zu Stadträumen minderer Sozial- und Gestaltqualität! Ja, denn die heutigen Autos sind technische Wunderwerke der passiven Sicherheit und technische Krücken der Fußgänger- und Radfahrersicherheit! Ja, denn die heutigen Autos sind innengeräusch- und nicht außenschalloptimiert!Nein, führen in unseren Städten „smarte Gentlecars“ – stadtverträglich, flächensparsam, verträglich schnell, leise und abgasfrei! Nein, würden wir diese „Gentlecars“ in Autoteilerkonzepten als Ergänzung des Umweltverbundes in der multimodalen Flächenbedienung nutzen! Nein, würden wir unsere autogerecht gestalteten Straßen im Sinne einer höheren Stufe der Mobilitätskultur für den Umweltverbund und einen multimodalen, postfossilen Verkehr umgestalten! Prof. Dr.-Ing. Felix Huber leitet das Lehr- und Forschungsgebiet Umweltverträgliche Infrastrukturplanung, Stadtbauwesen der Abteilung Bauingenieurwesen der Bergischen Universität Wuppertal. Er ist Inhaber und war langjähriger Geschäftsführer des Ingenieurbüros VSU, Verkehr, Städtebau, Umweltschutz GmbH in Aachen. Er engagiert sich in diversen Ausschüssen der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), ist delegierter Vertreter der Bundesrepublik beim Weltstraßenverband (PIARC), Mitglied des Hauptvorstandes der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft und Fachkollege der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
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Sabine Kluth / 14.8.2012 / 8:07

Stellv. Bundesvorsitzende des ADFC, Braunschweig/Bremen

Jein ...

... heute geht es für zukunftsorientierte Städte und ihre Bewohner um die Rücknahme von Privilegien für den motorisierten Kraftverkehr zugunsten von mehr Lebensqualität. Privilegien wie: • Bereitstellen von riesigen Parkraumflächen in Straßen und auf Plätzen. • Bereitstellen von Straßenräumen für immer mehr und breitere Fahrbahnen. • Gewähren von Geschwindigkeiten in den Städten, die das Todes-Risiko bei Unfällen mit nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmern drastisch erhöhen und die damit Angsträume schaffen. • Zulassen von Geschwindigkeit und hohem Fahrzeugaufkommen in Stadtkernen mit dem Effekt von Trennwirkung der Fahrbahnen für Quartiere und Plätze. • Beschleunigen von motorisiertem Verkehr an Lichtsignalanlagen zu Lasten von anderen Verkehrsteilnehmern. • Gewähren von Lärm- und Schadstoffausstoß ohne maßgebliche Auflagen zur Reduktion ganz zu schweigen von Forderungen nach Finanzierung der schädlichen Auswirkungen. Die Rücknahme von diesen einseitigen Privilegien bietet Spielraum für Städte, damit die Menschen die Stadträume wieder bevölkern, Begegnung stattfindet, die Geschwindigkeit sich dem menschlichen Maß anpasst, Rad gefahren und zu Fuß gegangen wird. Ist die autofeindliche Stadt erstrebenswert? Nein, Städte mit dem menschlichen Maßstab sind erstrebenswert! Sabine Kluth, geb. 1967, seit 2010 Stellvertretende Bundesvorsitzende im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club e.V., Architekturstudium an der Technische Universität Braunschweig, Diplom 1995, derzeit angestellt Architektin, Projektleitung im Bereich Lehre und Forschung, seit 2006 Bürgermitglied im Planungs- und Umweltausschuss berufen durch den Rat der Stadt Braunschweig.
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Ulrich Klaus Becker / 13.8.2012 / 11:07

Vizepräsident für Verkehr des ADAC, Schleswig/München

Nein ...

... Mobilität zählt zu den Grundsäulen einer modernen Gesellschaft und ist so komplex, dass wir es uns nicht leisten können, einzelne Gruppen in der Ausübung ihrer Mobilität ohne negative Konsequenzen für das Gesamtsystem zu beschränken. Allerdings kann ich eine rein autogerechte Stadt ebenso wenig für gut heißen. Wäre eine Stadt autofeindlich, hätte dies drastische Folgen für den städtischen Personen- und Güterverkehr. Der ÖPNV, der bereits heute in vielen Großstädten seine Belastungsgrenze erreicht oder überschritten hat, würde unweigerlich kollabieren. Schließlich stellt das Auto mit Anteilen von 58 Prozent am Wegeaufkommen und 79 Prozent an der Verkehrsleistung das mit Abstand wichtigste Verkehrsmittel in Deutschland dar. Abgesehen davon, drohen Innenstädte zu veröden, wenn sie mit dem Pkw immer schlechter erreichbar sind. Dies hat schon die Abwanderung des Einzelhandels auf die Grüne Wiese bzw. von Wohnbevölkerung ins Umland in der Vergangenheit eindrucksvoll gezeigt. Zudem müsste die Straßeninfrastruktur selbst in einer autofeindlichen Stadt mit hohem Kostenaufwand erhalten werden, schließlich muss die Ver- und Entsorgung der Stadtbevölkerung gewährleistet bleiben.Außerdem: Wie wäre es zu rechtfertigen, mit den Autofahrern gerade diejenigen auszusperren, die mit jährlichen Steuern und Abgaben in Höhe von 53 Milliarden Euro die Finanzierung der Straßeninfrastruktur tragen? Viele Menschen sind auf das Auto zwingend angewiesen, sie würden durch eine autofeindliche Politik benachteiligt. Der ADAC plädiert deshalb dafür, die Erreichbarkeit der Städte für alle Verkehrsteilnehmer zu sichern, und zwar für Bewohner, Pendler oder Wirtschaftsverkehr gleichermaßen. Ein zukunftsfähiges Verkehrskonzept muss nachhaltig und intermodal sein und darauf abzielen, die Stärken aller Verkehrsmittel optimal einzusetzen. Ulrich Klaus Becker, seit 2007 ADAC Vizepräsident für Verkehr, Anwalt und Notar seit 1978 bzw. 1980 in der Societät Becker und Partner in Schleswig; seit Beginn der Mitgliedschaft im ADAC 1971 diverse Ämter beim ADAC Schleswig-Holstein e.V.; Mitglied des Hauptausschusses des Deutschen Verkehrssicherheitsrates, des Präsidiums des Deutschen Verkehrsforums, des Präsidiums ProMobilität, des Beirates des erdgas mobil e.V. und der IST (Intelligent Transport Systems) - Advisory Group Brüssel; Vorsitzender des Lenkungskreises Straßenverkehr im Deutschen Verkehrsforum.
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Hermann Knoflacher / 13.8.2012 / 10:55

Verkehrsplaner, TU Wien

Ja ...

... obwohl ist die Kategorie „Feind“ auf eine Maschine wie das Auto grundsätzlich nicht anwendbar ist. Städte sind das Ergebnis komplexer sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen zwischen Menschen in einem jahrtausendelangen Entwicklungsprozess. Verkehrlich sind sie in den Binnenbeziehungen Orte der Mikromobilität aus eigener Kraft in vielfältigen differenziert gestalteten Lebensräumen nach menschlichem Maß in einem sicheren attraktiven Umfeld. Gegen die vielfältigen Bedrohungen von außen versuchten sich die Städte seit jeher zu schützen. Der gestellten Frage kann daher nur im übertragenen Sinn beantwortet werden, indem man unter „Feind“ eine als Bedrohung wahrgenommene (natürliche) Erscheinung (Seuche ist der größte Feind der Menschheit) interpretiert.Das Auto, wie es heute behandelt wird, stellt eine Bedrohung nicht nur des urbanen Lebens, sondern der grundlegenden Strukturen einer menschengerechten Stadt dar. Die individuelle Beziehung zwischen Mensch und Auto wurde im 20. Jahrhundert durch Vorschriften, die Planungs- und Baupraxis und die Kultur der autoorientierten Gesellschaft über die Bedürfnisse einer menschengerechten, gesunden und sicheren Stadt und ihrer Lebensräume gestellt. Die dadurch erfolgte Umwandlung ehemaliger Lebensräume in Todeszonen und Abstellflächen für Maschinen bedroht und zerstört die Lebensqualität urbaner Räume, die lokale Wirtschaft, die Gesundheit und Sicherheit der Bevölkerung. Es handelt sich um einen feindlichen Akt gegen den Organismus einer menschlichen Stadt, dem zu begegnen ist, aber nicht emotional feindlich, sondern sachkundig und ursachenbezogen.Die Antwort auf die Frage ist daher durch die Wertehierarchie zu finden. Sicherheit, Erhaltung und Förderung der Gesundheit, ungestörte soziale Beziehungen und die Vielfalt der Möglichkeiten ohne Abhängigkeit von externen Energiequellen, die Schönheit der Gestaltung und die Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten für die Menschen in Freiheit kann man als erstrebenswerte Ziele bezeichnen und damit die Frage mit einem klaren „Ja“ beantworten. Em. O. Univ. Prof. DI Dr. Hermann Knoflacher, geb. 1940, Studium Bauingenieurwesen, Vermessungswesen, Mathematik an der TU Wien, eigenes Ingenieurbüro seit 1971, zahlreiche Gesamtverkehrskonzepte in Österreich und im Ausland geplant und realisiert, Leitung von internationalen Forschungsgruppen und Projekten u.a. in der OECD, PIARC, 1968 Gründung des Institutes für Verkehrswesen im Kuratorium für Verkehrssicherheit, 1975 Professor für Verkehrsplanung an der TU Wien, dort 1985-2008 Vorstand der Institutes für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, liest an Universitäten in Europa, Japan, Indien, Thailand.
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Weert Canzler / 15.8.2012 / 7:56

Mobilitätsforscher, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Ja ...

... wenn wir das Auto meinen, das wir kennen: das Universalauto mit Verbrennungsmotor. Dieses Auto hat ausgedient in der Stadt, zu lange hat es den urbanen Raum beherrscht. Zu lange hat es alle anderen Verkehrsmittel an den Rand gedrängt. Zurecht wehrt sich die Stadt, wehren sich seine Bewohner gegen die Rennreiselimousine. Gegen den Ressourcenfresser, den Lärmmacher, den Luftverschmutzer!

Doch Vorsicht, die Stadt ohne Rennreiselimousine ist keine Stadt ohne technisch unterstützte Selbstbeweglichkeit. Eine Idylle aus Zufußgehen und sanftem Radfahren ist weder zu erwarten noch zu wünschen. Moderne Gesellschaften lassen sich nicht beliebig verlangsamen. Die moderne Stadt ist kein reiner Begegnungsraum der Bedächtigen, Rücksichtsvollen und Müßigen. Denn Urbanität heißt immer auch Geschwindigkeit, Hektik, Beschleunigung. Schnelle S-Bahnen sind das Zeichen großer Städte. Auch individuelle Gefährte der Mobilität, nennen wir sie in Abgrenzung zum Auto mal Emobile (zugegeben: eine Hilfsbezeichnung, denn noch fehlt uns ein wirklich guter Name), gehören dazu. Dabei handelt es sich um elektrisch betriebene, leise, leichte Fahrzeuge für den individuellen Transport. Übrigens einer, der die attraktiven Seiten des überkommenen Autos, nämlich eigener Raum zu sein und dem eigenen Zeitregime zu unterliegen, übernimmt. Allerdings wird er verknüpft sein, konsequent verknüpft. In diesem Szenario sind die urbanen Emobile Teil eines über Smartphones integriertes Mobilitätsangebotes, einer (etwas blutarm formuliert, auch hier fehlt noch der passende Begriff) intermodalen Mobilitätsdienstleistung. (E)Fahrräder, Tram, Bus, U-, S-Bahn plus Emobile bilden diese Dienstleistung, dazu kommt eine entsprechende Infrastruktur mit Ladezonen, Umstiegspunkten und Smart Grids (selbstredend eird sie regenerativ gespeist, denn fossil ist auch gestern).

In der autofeindlichen Stadt von morgen sind die Städter, wie auch ihre Besucher, in hohem Maße selbstbeweglich. Dafür nutzen sie verschiedene Techniken, verschiedene Verkehrsmittel, in einer je individuellen Zusammenstellung. Autos von gestern wird es im Übrigen auch geben, allerdings viel weniger. Sie fristen ein kärgliches Dasein in einem Geflecht von Ausnahmegenehmigungen und Sondernutzungszonen. Sie sind im wörtlichen Sinne Oldtimer und werden von ihren Besitzern trotzig als Hobby gepflegt.

Dr. Wert Canzler, geb. 1960, Politik- und Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Mobilitätsforschung, seit 2009 Senior researcher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 1996 Promotion zum Thema "Das Zauberlehrlings-Syndrom. Entstehung und Stabilität des Automobil-Leitbildes", Lehrtätigkeit an öffentlichen und privaten Hochschulen sowie Mitarbeit im Innovationszentrum für Mobilität udn gesellschaftlichen Wandel (InnoZ).

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Sylvia Stöbe / 20.8.2012 / 12:02

Jein ...

Beitrag / KommentarJe älter man wird, desto mehr begreift man, dass die heute genannten Alternativen zum Auto für den älter werdenden Menschen nicht nutzbar sind. In der Straßenbahn hat man Mühe sich festzuhalten und auch beim Bezahlen am Automaten ist der ältere Mensch überfordert. Das Gehen fällt schwer, zumal wenn man etwas zu transportieren hat. Fahrradfahren geht gar nicht mehr, weil man Angst hat zu stürzen. Welche Alternative gibt es hier? Das kleine Batterieauto für zwei Personen plus Wasserkiste für einen erschwinglichen Preis nutzbar nur in der Stadt? Wo kann man das kaufen?
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